Hilfswerk Missio sammelt alte Smartphones

"Wir sitzen auf einem Goldschatz"

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Alte Handys liegen auf einem Tisch
Nachweis

Foto: istockphoto

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Richtig wertvoll: Coltan und Gold aus alten Smartphones können recycelt und wiederverwertet werden.

500 000 ausrangierte Smartphones hat das Hilfswerk Missio schon gesammelt und recyceln lassen. Jetzt wird die Aktion durch neue Vorschriften komplizierter, aber sie geht weiter. Denn jedes wiederverwertete Gerät mindert menschliches Leid.

Beim Katholikentag in Erfurt waren sie wiederzusehen: die großen, goldenen Flügel am Stand des Hilfswerks Missio Aachen. Viele Besucherinnen und Besucher blieben stehen, posierten davor und machten ein Foto. Jörg Nowak, stellvertretender Pressesprecher von Missio, hat diese Gelegenheiten genutzt und gefragt: „Wissen Sie eigentlich, was diese Flügel mit dem Kongo, Ghana und Ihrem Smartphone zu tun haben?“

Seit 2016 sammelt das Hilfswerk alte, ausrangierte Smartphones, um es über Partner recyceln oder für den Wiederverkauf reparieren zu lassen. Denn in jedem Gerät stecken Gold, Coltan und andere wertvolle Mineralien. In Deutschland gibt es bis zu 200 Millionen alte Handys, die niemand mehr nutzt, die bisher aber auch niemand an Missio gegeben hat. „Bis zu 6000 Kilogramm Gold sind das – und das liegt in unseren Wohnungen herum. Wir sitzen auf einem Goldschatz und den müssen wir heben“, sagt Nowak. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt: Wenn alle alten Smartphones recycelt würden, könnten die gewonnenen Mineralien den Bedarf für alle neuen Geräte in Deutschland für die nächsten zehn Jahren decken. „Eine unglaubliche Zahl“, sagt Nowak. „Und wir könnten damit so viel Leid im Kongo und in Ghana verhindern.“

Der Kongo ist einer der Haupt-Exporteure seltener Mineralien – und Bürgerkriegsland. Rebellen und Regierungstruppen kämpfen um politische Macht und um die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen. Rebellen entführen Männer und Frauen und zwingen sie, in illegalen Minen nach den wertvollen Materialien zu schürfen. Nowak erinnert sich an eine Frau, die er während eines Besuchs im Land vor einigen Jahren traf. Sie war von Rebellen entführt und zur Arbeit in den Minen gezwungen worden. Sie erzählte ihm, dass regelmäßig Helikopter in der Nähe des Camps landeten, die Mineralien abholten und Waffen ins Lager brachten. Auf solch dubiosen Wegen gelangen die Mineralien über Ruanda bis nach Asien. „So besteht die Gefahr, dass diese Blutmineralien in unseren Smartphones landen“, sagt Nowak.

Politisch setzt sich Missio dafür ein, dass die Hersteller von Smartphones ihre Materialien aus zertifizierten Minen kaufen müssen, an denen Rebellen nicht beteiligt sind. Vor Ort unterstützt das Hilfswerk Menschen wie die Sozialarbeiterin Thérèse Mema Mapenzi. Sie hat in den vergangenen zehn Jahren mehrere Traumazentren für Frauen im Ostkongo aufgebaut. „Tagsüber müssen die Frauen in den Minen der Rebellen schuften, nachts werden sie von ihnen vergewaltigt. Gelingt ihnen die Flucht, gelten sie als Rebellenbräute und werden von ihren Familien verstoßen“, sagt Nowak. „Diese Frauen sind absolut traumatisiert.“ In den von Missio geförderten Trauma-Zentren finden sie Zuflucht und psychologische Hilfe.

Die Sammelaktion soll helfen, den Teufelskreis zu durchbrechen

Pfarrer Dirk Bingener, Entwicklungshilfe Ministerin Svenja Schulze und missio-Projektpartnerin Schwester Rose finden die Engelsflügel himmlisch, die jene 6000 Kilogramm Gold visualisieren, die in den ausgemusterten Handys in Deutschland stecken.
Pfarrer Dirk Bingener, Entwicklungshilfe Ministerin Svenja Schulze und missio-Projektpartnerin Schwester Rose stehen vor Engelsflügeln, die jene 6000 Kilogramm Gold visualisieren, die in den ausgemusterten Handys in Deutschland stecken. Foto: missio/Christian Schnaubelt

Und welche Rolle spielt Ghana? In der Hauptstadt Accra liegt eine der größten Elektroschrott-Müllhalden Afrikas. Hier landen nicht nur Geräte, die in Afrika verkauft wurden, sondern auch Smartphones und Computer aus Europa. „Ich habe dort Geräte gesehen, die von deutschen Discountern verkauft werden. Bohrmaschinen deutscher Marken, deutsche Computertastaturen“, sagt Nowak. Tausende Menschen leben auf und von der Müllkippe. Sie versuchen, Geräte zu reparieren, um sie zu verkaufen, oder bauen sie auseinander, um Messing oder Kupfer zu gewinnen. „Es sind katastrophale Bedingungen dort. Die Menschen verbrennen Kabel, um an das Kupfer darin zu gelangen“, sagt Nowak. Kinder, die auf der Halde aufwachsen und arbeiten, haben eine Lebenserwartung von 30 bis 40 Jahren. „Wir wollen sie da rausholen“, sagt Nowak. Daher unterstützt Missio den Aufbau eines Tageszentrums für Kinder, in dem sie essen, spielen und lernen können und auf den Besuch einer regulären Schule vorbereitet werden.

Mit der Handy-Sammelaktion möchte Missio auf den Teufelskreis aus Handy-Produktion, Mineralien-Verbrauch und Müllhalden-Elend aufmerksam machen. Doch das Sammeln ist kompliziert geworden: Die Bedingungen sind strenger geworden, unter denen Paketdienste alte Handys transportieren. „Je nach Gerät soll etwa der Akku entfernt werden. Das ist häufig aber gar nicht möglich“, sagt Nowak. Eine frustrierende Situation für das Hilfswerk. Die Sammelaktion zu stoppen, wie andere Organisationen es getan haben, kommt für Missio aber nicht infrage. Das Hilfswerk will nun ein Netzwerk von Sammelstellen aufbauen. „Wir wollen in Ordinariaten, Jugendhäusern oder Bildungsstätten dauerhafte Annahmestellen einrichten“, sagt Nowak. Bei einer Menge von 400 Handys pro Transportbox sei die Abholung der Geräte leichter zu organisieren.

500 000 Smartphones hat Missio in den vergangenen acht Jahren mit mehreren katholischen Kooperationspartnern gesammelt. „Eigentlich ist das ja gar nicht unsere Aufgabe. Wir sind eine Hilfsorganisation, kein Recyclingunternehmen“, sagt Nowak. Aber Missio will die Gesellschaft für das Problem sensibilisieren. „Wir können erklären, was unsere Smartphones mit den Menschen im Kongo oder in Ghana zu tun haben. Dass mein Handy, mein Verhalten etwas mit ihrem Leben zu tun hat“, sagt Nowak. „Und ich will nicht Teil einer Lieferkette sein, von der Rebellen profitieren.“

Weitere Infos zur Aktion unter: www.missio-hilft.de/handyspenden

Kerstin Ostendorf