Fragen und Ideen nach Vorlage der neuen Zahlen zur Kirchenentwicklung

Ungeahnte Möglichkeiten

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Kirchenbänke leeren sich
Nachweis

Foto: kna / Rudolf Wichert

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Die Kirchenbänke leeren sich weiter

Mehr als 400 000 Menschen sind im vergangenen Jahr aus der katholischen Kirche ausgetreten. Sie wird weiter schrumpfen, und das wird schmerzhafte Auswirkungen haben. Wie können wir gut damit umgehen – und aus der schlechten Lage das Beste machen?

„Die Zahlen“, sagt Georg Bätzing, „zeigen, dass die Kirche in einer umfassenden Krise steckt.“ Sie seien alarmierend. Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, meint damit jene Zahlen aus der Kirchenstatistik für das Jahr 2023. Aber er hätte auch die von 2022 meinen können. Oder die aus den Jahren davor. Seit langem erzählen die Zahlen dieselbe Geschichte. Diese Geschichte handelt von einer Kirche, von der sich viele Menschen abwenden – und deren Mitglieder von der Mehrheit zur Minderheit werden. 

Was tun? Bätzing betont, Resignation, Rückzug und Angst seien die falschen Antworten. Auch eine kleiner werdende Kirche habe den Auftrag, „die frohe Botschaft vom liebenden, schöpferischen und befreienden Gott zu verkünden“. Wie kann das gehen: froh statt frustriert zu sein und beherzt statt bitter? Wie können Aufbrüche inmitten von Abbrüchen aussehen? Wo können wir Neues wagen, statt Altem hinterherzutrauern?

Wer wir sind

402 694 Menschen sind 2023 aus der Kirche ausgetreten. Das sind zwar deutlich weniger als die 522 821 im Jahr zuvor, aber es ist eben auch der zweithöchste Wert aller Zeiten. Also: Ja, wir werden weniger. Aber: Wir sind immer noch viele. 20,3 Millionen Katholikinnen und Katholiken gibt es in Deutschland, das sind 24 Prozent der Bevölkerung. 

Und manchmal spüren wir, dass die Kirche immer noch eine relevante Größte in der Gesellschaft ist, dass sie Menschen erreichen und etwas bewirken kann. Etwa, als sich kürzlich die deutschen Bischöfe in einer gemeinsamen Erklärung gegen die in Teilen rechtsextreme AfD stellten: „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar.“ Diese Erklärung wurde weit über die Kirche hinaus beachtet. 

Wir könnten uns also fragen: Wofür wollen wir, wenn wir weniger werden, künftig gemeinsam einstehen? Was ist uns wichtig

Wer zu uns gehört

Früher war die Sache klar: Wer sonntags zum Gottesdienst geht, der gehört zur Gemeinde. Anwesenheit galt als Pflicht. Mancherorts kriegte man schon einen Spruch zu hören, wenn man um 10 Uhr nicht am üblichen Platz saß: „Na, Herr Nachbar, waren Sie krank?“ Die Menschen, die nur an Weihnachten in der Kirche auftauchten, wurden U-Boot-Christen genannt. 

Heute ist die Sache komplizierter: Zugehörigkeit zur Gemeinde definiert sich bei weitem nicht mehr so wie früher durch den Besuch des Sonntagsgottesdienstes. Im vergangenen Jahr gingen 6,2 Prozent der Gläubigen hin; das war zwar etwas mehr als im Jahr zuvor (5,7 Prozent), aber immer noch wenig. Die allermeisten Katholikinnen und Katholiken kommen nicht regelmäßig. Sie engagieren sich bei Kolping, in der Jugendarbeit oder beim Besuchsdienst im Krankenhaus – und fühlen sich dadurch als Teil der Gemeinde. 

Einerseits könnten wir uns also fragen: Wie würden Gottesdienste wieder attraktiver für viele Menschen werden? Und andererseits könnten wir unseren Frieden machen mit dem, was ist. Es also gelassener nehmen, dass die Kirchen leerer werden. Manches lässt sich nicht ändern. Was wir tun können, ist: unseren Glauben leben, so gut es geht. Und anderen zeigen, wie gut das tut. 
 

Kirchenentwicklung 2023
Die ernüchternden Zahlen der Kirchenstatistik im vergangenen Jahr. Grafik: Dom Medien

Wie wir feiern

Die Zahl der Taufen, Erstkommunionfeiern, Firmungen und Trauungen ist 2023 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen – teilweise deutlich: 2022 haben 35 467 Paare kirchlich geheiratet, 2023 nur noch 27 565. Wegmarken des Lebens zu feiern, bleibt sehr vielen Menschen wichtig. Heute brauchen sie dafür aber, anders als früher, nicht mehr unbedingt die Kirche. Weil es qualitativ hochwertige Alternativen gibt, etwa einen Trauredner für eine Hochzeit.

Wir könnten uns also fragen: Wie könnten wir kirchliche Feiern so weiterentwickeln, dass sie mehr Menschen begeistern – ohne sie beliebig werden zu lassen? Und wie könnten wir entspannt damit umgehen, wenn ihnen manches im Gottesdienst fremd ist? Vielleicht hilft es schon, wenn der Pfarrer am Anfang in gutem Ton die Regeln erklärt. Was die Menschen später aus dem Gottesdienst mitnehmen fürs Leben, das können wir getrost Gott überlassen.

Wie wir trauern

Die Zahl der Bestattungen ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken, auf 226 179. In einer alternden Gesellschaft aber wird sie künftig eher wieder steigen. Und alle Menschen, die um einen geliebten Angehörigen trauern, sehnen sich nach persönlichen Worten, tröstenden Gesten, einer schönen Zeremonie. Tote würdevoll zu bestatten, ist und bleibt ein unendlich wichtiges Werk christlicher Barmherzigkeit. Die Kirche ist eine Dienstleisterin, im wahrsten Sinne des Wortes.

Wir könnten uns fragen: Wie könnte die Qualität von Bestattungen gesteigert werden? Wie könnte man Standards definieren, welche Fortbildungen könnte man anbieten? Wie könnten wir es schaffen, dass möglichst oft Menschen in all ihrer Trauer auch mit dem Hauch eines guten Gefühls von einer Bestattung nach Hause gehen?

Wer uns leitet

Die Zahl der Priester ist weiter gesunken, von 11 987 auf 11 702. Dass der Priestermangel sich noch drastisch verschärfen wird, ist bekannt. Vielerorts wird deshalb das Gemeindeleben längst anders organisiert als früher. Manche Gläubigen leiden darunter, dass nicht mehr alles so ist, wie es mal war. 

Wir könnten uns fragen: Könnten Mangel und Veränderung nicht auch eine Chance sein? Wenn neue Leitungsmodelle entstehen, Ehrenamtliche mehr Verantwortung übernehmen und wir alle unseren Glauben stärker in die eigene Hand nehmen – könnte dann nicht eine modernere, buntere Kirche wachsen, die ungeahnte Möglichkeiten eröffnet?

Andreas Lesch