Konsum in der Kirche

Image
Kirchenraum
Nachweis

Fotos: Bastian Modrow/Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg

Caption

In St. Jakobi werden Computer und Smartphones eines örtlichen Händlers feilgeboten. 

Unter dem Titel „Heilige Geschäfte“ wird in vier evangelischen Kirchen in Lübeck dem Kommerz Raum gegeben. Die künstlerische Provokation ist eine mit Hintergedanken, über die zu debattieren lohnt.

Die Lübecker können derzeit ihre Einkäufe mit einem Kirchgang verbinden: Vier Geschäfte aus der Hansestadt verkaufen bis 5. November in vier Kirchen ihre Produkte. Was nach einem neuen Geschäftsmodell klingt, ist in Wahrheit eine Ausstellung des Berliner Konzeptkünstlers Christian Jankowski unter dem Titel „Heilige Geschäfte“. Obst, Gemüse und Müsli aus dem Biosupermarkt „Landwege“ werden in der evangelisch-reformierten Kirche angeboten. Smartphones und Fernseher des Geschäfts Jessen-Lenz sind in St. Jakobi eingezogen. Auf Sesseln des Möbelgeschäfts Bolia können Besucher in der Kulturkirche St. Petri verweilen. Und Holtex bietet in der Wichernkirche Pullover, Hosen und Kleider an. Zur Anprobe wurde eigens eine Umkleidekabine aufgestellt.

Jankowski ist bekannt dafür, dass er gewohnte Situationen auf den Kopf stellt. Eins seiner Werke zeigt ihn als Jäger, der im Supermarkt mit Pfeil und Bogen Lebensmittel erlegt. Ein halbes Jahr lang hat er sich im Auftrag des Kunstvereins Overbeck-Gesellschaft mit Lübeck beschäftigt. Als zentrale Merkmale machte er den Handel und die stadtbildprägenden Kirchen aus. „Beides ist Lübeck quasi in die DNA geschrieben“, meint der 55-Jährige.

Früher sei der Glaube für die Menschen identitätsstiftend gewesen, sagt Jankowski. Gotteshäuser seien öffentliche Orte gewesen, wo man sich begegnete und Geschäfte machte. Heute stünden die Kirchen meist nicht mehr im Zentrum des Lebens. „Dafür ist etwa der Besitz des neuesten iPhones zum identitätsstiftenden Merkmal geworden.“

Die Ausstellung soll Handel und Kirchen vereinen. Im ersten Schritt drehte Jankowski Videos mit Lübecker Pastorinnen und Pas­toren, die durch Geschäfte gehen und über Konsum und Kirche sprechen. Die Clips sind ebenfalls bis zum 5. November in der Overbeck-Gesellschaft (Königstraße 11, Zugang über die Bürgergärten) zu sehen.

Im zweiten Schritt sind die Geschäfte in die Kirchen gekommen und führen verschiedene Gruppen zum Gespräch zusammen. Touristen und Kunden treffen bei den „Heiligen Geschäften“ auf Gottesdienstbesucher, Theologen und Verkäufer.

Das Projekt stößt in Lübeck auch auf Kritik, die in einem Rahmenprogramm zur Ausstellung aufgefangen werden soll. Im Gemeinderat sei viel diskutiert worden, es hätten ihn schon viele Fragen erreicht, sagt Pastor Lutz Jedeck von St. Jakobi. „Das Projekt provoziert. Das soll es auch.“

Kirche als letzte Bastion der Reinheit?

Für viele Menschen sei der Kirch­raum ein heiliger Raum, „vielleicht sogar die letzte Bastion von Reinheit“. Da provoziere es, dass er mit weltlichen Bedürfnissen konfrontiert werde. Jedeck: „Aber Martin Luther formulierte: ‚Wo Du Dein Herz dranhängst, das ist dein Gott.‘ Die daraus entstehende Diskussion ist der große Reiz, den das Kunstprojekt ausmacht.“

Pastorin Imke Akkermann-­Dorn von der ev.-reformierten Kirche sieht in dem Projekt eine Chance. In Zeiten des Überkonsums und des wachsenden Bewusstseins dafür biete die Ausstellung Gelegenheit zum Gespräch.

Dem Künstler Jankowski ist es wichtig, dass kirchliche Abläufe durch die Ausstellung nicht gestört werden. Die Kirchen sind täglich von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Der Verkauf pausiert während der Gottesdienste.

Nadine Heggen