Wenn Fasten zur Qual wird, läuft etwas schief

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Eine Kehrschaufel und ein Kehrbesen
Nachweis

Foto: istockphoto/voyagerix

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Einmal auskehren und schauen: Wie kann ich als Christ mein Leben wieder neu ausrichten auf das, was wichtig ist?

Selbstkasteiung und Askese müssen nicht sein. Aber: „Liebe deinen Nächsten“ wäre ein überdenkenswerter Vorsatz für die Fastenzeit, findet Diakon Carsten
Lehmann.

Am Aschermittwoch erlebte ich als Kind und Jugendlicher die stets gleiche Prozedur. Im Gottesdienst verlas der Pfarrer die Fastengebote. Fastentage, Abstinenztage, eine sättigende Mahlzeit pro Tag. Kein Fleisch an den Abstinenztagen, Genussmittel waren verboten. In meiner Erinnerung war die   
Liste scheinbar endlos und die Möglichkeiten, etwas falsch zu machen und mit einem Bein schon in den Vorhöfen der Hölle zu stehen, war damit quasi im gleichen Maß gewachsen. Bei all der Unsicherheit war es da schon sicherer, Lutheraner zu sein, denn der Pfarrer versicherte uns, dass bei denen zumindest zweifelsfrei feststand, dass sie garantiert in die Hölle kommen. Das gab zumindest ein geringes Maß an Sicherheit.

Biber und Otter wurden einfach zu Fischen erklärt

Allerdings muss man sagen, wir Katholiken haben uns durch die Fastenregeln auch zu wahren Meistern der Ausnahmen entwickelt. Dass das Kirchenrecht vorsieht, dass ab dem 14. Lebensjahr beziehungsweise ab der Volljährigkeit und nur bis zum 60. Lebensjahr Fast- und Abstinenztage einzuhalten sind, wissen bestimmt viele. Die Sonntage sind auch keine Fastentage, klar.   

Aber liturgisch beginnt der Sonntag mit der Vesper am Vorabend – somit würde der Milka-Zartbitter und dem Wochenendbier am Samstagabend kirchenrechtlich nichts entgegenstehen. Sitzen Sie bei Protestanten am Tisch (Gott sei Dank ist mein Vater ein solcher), sind Sie vom Fastengebot ausgenommen. Bei Krankheit, Reisen, schwerer körperlicher Arbeit natürlich auch (für pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist diese letzte Regel quasi nutzlos). Flüssiges bricht das Fasten nicht, natürlich, das wissen wir!  

Das Konzil von Konstanz von 1414 bis 1418 legte im Übrigen fest, dass Biber und Otter nicht dem Fleisch, sondern den Fischen zuzuordnen wären, denn schließlich würden sie die meiste Zeit ja unter Wasser leben. Den Fastenden kam das mehr als gelegen – den Bibern nicht so sehr, sie waren damit beinahe vom Aussterben bedroht. Stünden sie heute nicht unter Naturschutz –, einem fetten, saftigen Biberbraten an einem Freitag der Fas-  
tenzeit würde nichts entgegenstehen. Aber sie können den Biber auch durch ein paar Maultaschen ersetzen. Denn bei den „Herrgottsb’scheißerle“ sieht der Allmächtige das Fleisch ja nicht, da es zwischen dem Teig versteckt ist.  

So manche Fastenregel leuchtet uns heute ein, wer krank ist, heranwächst oder schwer arbeitet, darf sich durch Fasten nicht selber in Gefahr bringen. Biber, Maultaschen und Protestantengesellschaft wohl eher nicht so sehr. Unser emeritierter Weihbischof Theodor Kettmann hat viele schlaue Dinge gesagt, aber ein Satz ist mir besonders im Gedächtnis geblieben.   

Kurz nach meiner Diakonenweihe sagte er einmal zu mir: „Wenn Beten wirklich anstrengend und belastend wird, dann läuft irgendwas schief.“ Wenn Fasten zur Qual wird, zum inhaltsleeren Ritual, das mir Kraft raubt, statt mir Kraft zu geben, dann läuft wohl auch etwas schief. Dass wir Vergebung finden durch Werke des Fastens, der Liebe, durch Beten: So hören wir es heute in der Oration. Selbstkasteiung, harte Entsagungen und Askese kann man in diese Worte hineininterpretieren, man muss es aber nicht. Gottesliebe und Nächstenliebe sind im Alten und Neuen Testament untrennbar miteinander verbunden und mit der Nächstenliebe genauso untrennbar die Eigenliebe. 

Selbstliebe und Selbstsorge im guten Sinne

Manchmal ist das das Schwerste. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Das wäre doch auch ein überdenkenswerter Vorsatz für die Fastenzeit. Was tut dir wirklich gut? Was macht dich stark? Was hindert dich am Leben und was führt dich mitten hinein in das Leben in Fülle?   

Eine ehrliche Bestandsaufnahme muss uns nicht unbedingt die Schokolade am Abend vermiesen, erspart aber wahrscheinlich so manchen Biber. Jede Selbstachtung, also Selbstliebe und Selbstsorge im guten Sinne, macht uns stark – auch und besonders für den Dienst am Nächsten.

Carsten Lehmann