Gespräch mit "Wort zum Sonntag"-Sprecherin Lissy Eichert

Erfahrungen werden zur Botschaft

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Porträt von Lissy Eichert
Nachweis

Foto: Ben Knabe

Lissy Eichert ist eines der Gesichter für Jesus und seine Kirche im deutschen Fernsehen. Seit 2015 spricht sie in regelmäßigen Abständen das „Wort zum Sonntag“ am späten Samstagabend in der ARD. Zum Abschied aus dem Sprecherkreis blickt sie zurück.

Aufgewachsen im Sauerland, lebt Lissy Eichert (59) seit mehr als 30 Jahren in Berlin-Neukölln. Mit weiteren Mitgliedern der Pallottinischen Gemeinschaft engagiert sich die Pastoralreferentin für die „Kirche im sozialen Brennpunkt“: Obdachlosen-, Jugend- und Gemeindearbeit,  Kirchenasyl, Offene Kirche, soziales Catering – an Aufgaben mangelt es ihr nicht. Und Jesus ist bei ihr immer dabei. Um sein Reich geht es ihr bei allem, was sie anpackt. Am 21. Dezember wird sie zum letzten Mal das „Wort zum Sonntag“ sprechen. Worüber, verrät sie nicht.

Frau Eichert, ich vermute, das „Wort zum Sonntag“ zählte früher nicht zu Ihren „Lieblingsfernsehserien“, oder?

Stimmt, aber es war fester Bestandteil des Samstagsabends unserer Eltern. Als Jugendliche nutzten meine Geschwister und ich die frommen fünf Minuten, um uns vor dem Spätfilm mit Knabberzeug und Getränken einzudecken. Als mich 2013 der Leiter der Hörfunk- und Fernseharbeit im Erzbistum Berlin fragte, ob ich mir vorstellen könnte, eine Sprecherin zu werden, war ich erstmal von den Socken, dass es das „Wort zum Sonntag“ immer noch gibt.

Seit 2015 gehören Sie zum Team der Sprecherinnen und Sprecher. Was hat Sie bewogen, diese Aufgabe zu übernehmen?

Einerseits fühlte ich mich gebauchpinselt, dass man mir dieses anspruchsvolle Fernsehformat zutraut. Andererseits hatte ich Schiss. In dieser Zwickmühle habe ich Gott gefragt, was ich machen soll. In der Bibel las ich dann im Psalm 40: „Gerechtigkeit verkünde ich in großer Versammlung; meine Lippen verschließe ich nicht“ (Vers 10) und die Entscheidung war gefallen.

Gibt es ein Herzensanliegen, das Ihre Worte durchzieht? Eine zentrale Botschaft, die Sie vermitteln möchten?

Das „Wort zum Sonntag“ sprechen zu dürfen, ist Privileg und Chance zugleich. Als Sprecherin kreuze ich am sehr späten Samstagabend im Privatbereich der Zuschauer auf, die ich weder kenne noch weiß, in welcher Situation, welcher Stimmung sie sind. Und weil ich ja nicht mich verkünden will, sondern das Wort Gottes, muss ich Worte finden, die Gottes Liebe und Gottes Gerechtigkeit ausdrücken. Also die Botschaft der Bibel für heute übersetzen. Dabei ist es ein Unterschied, ob ich in einer Talkshow meine persönliche Haltung zu einem Thema vertrete oder zu diesem Thema das „Wort zum Sonntag“ spreche.

Könnten Sie ein Beispiel dafür nennen?

Im März 2022, nach Beginn des von Wladimir Putin befohlenen Angriffskriegs auf die Ukraine, habe ich im „Wort zum Sonntag“ einen fiktiven Brief an Putin geschrieben. An den Mann, der sich selbst einen orthodoxen Christen nennt. Der die Gebote Gottes also kennt. Auch das Gebot: Du sollst nicht töten. Ich habe ihn eindringlich gebeten: „Stoppen Sie den Krieg. Er zerstört alles, was Menschen heilig ist.“ In einer Podiumsdiskussion hätte ich die Invasion als Verstoß gegen das Völkerrecht einschließlich der Charta der Vereinten Nationen angeprangert und das Völkerrecht auf Selbstverteidigung betont. 

Sie sind in Nord-Neukölln zu Hause, nahe der Berliner Sonnenallee. Liegen die Themen da vor der Pfarrhaustür?

Das stimmt. Zum einen sind es soziale Themen, also soziale Bedürftigkeit, Armut, Obdachlosigkeit, steigende Mieten, Ausgrenzung von Menschen, die wem auch immer nicht passen. Dazu gab es ein „Wort zum Sonntag“ über den alten Mann, der in unserer Straße Flaschen sammelt, weil die Rente nicht reicht, obwohl er 45 Jahre gearbeitet hat.

Die zweite Quelle für Themen ist die Gottsuche. Die Türen unserer Kirche St. Christophorus stehen offen. Es kommen Menschen, die keine Freude am Leben haben, Trost suchen oder geistliche Begleitung, um Gott zu finden oder wiederzufinden. Sie wollen ihr Herz ausschütten, jemandem ihre Lebensängste, ihre Einsamkeit oder ihre Schuldgefühle anvertrauen können – jemanden, der ihnen zuhört. Manchen tut es auch gut, einfach in den Arm genommen zu werden, um ihre Sehnsucht nach Nähe für diesen Moment zu stillen.     

Darf oder muss das „Wort zum Sonntag“ als ein produktiver Zwischenruf der Kirchen auch politisch beziehungsweise gesellschaftskritisch sein?

Es kann gar nicht unpolitisch sein, weil der Mensch ein soziales und politisches Wesen ist. Die Bibel ist voll von Befreiungsgeschichten, es geht um das Reich Gottes und um Gerechtigkeit. Aus dieser Perspektive beleuchten wir Sprecher und Sprecherinnen gesellschaftliche Zusammenhänge. Und da muss auch Klartext geredet werden.

Als bekannt wurde, dass Bomben, die in Deutschland produziert worden waren, 2020 im Jemen eingesetzt wurden, habe ich mich aus biblischer Perspektive kritisch mit den deutschen Waffenexporten auseinandergesetzt. Eine Zuschrift, die ich auf mein „Wort zum Sonntag“ bekam, war von dem Priester und Begründer der „neuen politischen Theologie“ Johann Baptist Metz. Sie bestand aus einem Wort: „Danke“.   

Als Pastoralreferentin predigen Sie regelmäßig in Gottesdiensten. Ist das vier Minuten lange „Wort zum Sonntag“ eine „Mini-Predigt“?

Bei beiden Verkündigungsformen geht es darum, den Menschen zu dienen. Sie also weder zu überreden noch zu manipulieren, nicht zu moralisieren oder zu ideologisieren. Ich muss mich im Prozess der „Wortgeburt“ fragen: Bin ich authentisch? Ist die Botschaft gedeckt mit dem Leben, mit mir, mit der gesellschaftlichen Situation? Ist sie alltagstauglich, hilft sie zu leben? Und ich muss nach innen hören: Was willst du, Gott, das ich sagen soll?       

Sie sprechen von „Wortgeburt“. Heißt das, Sie haben Hebammen und Geburtshelfer?

Gott sei Dank habe ich die! Das Wort entsteht im Austausch mit der Redakteurin, mit den Mitgliedern meiner Gemeinschaft, mit Experten für Sachfragen und vor allem mit Freundinnen und Freunden, die mir ihre Erlebnisse und Erfahrungen erzählen und mir erlauben, sie im „Wort zum Sonntag“ – natürlich anonymisiert – zu verwenden.

Eine Frau aus unserer Gemeinde hatte mir erzählt, wie sie bei der Beerdigung ihres Mannes am offenen Grab stand und plötzlich innerlich wusste: „Hier isser nich.“ Ihre Erfahrung wurde zur Botschaft eines Wortes zum Ostersonntag.       

Wie reagieren Zuschauerinnen und Zuschauer auf Ihre klare Rede von Jesus und vom Reich Gottes?

Interessant finde ich, dass es mehr Rückmeldungen auf „fromme Worte“ gibt als auf Worte zu gesellschaftspolitischen Themen. Beim Wort zum Pfingstsonntag zum Beispiel war der Heilige Geist die Hauptperson. Am Sonntag darauf kamen zwei Berlinerinnen zu uns nach St. Christophorus. Sie wollten „mal gucken, wie das so in echt ist“. Bei politischen Themen sind die Zuschauer eher erstaunt, dass das „Wort zum Sonntag“ so aktuell ist, gar nicht altbacken und abgehoben, wie sie dachten.

Am 21. Dezember werden Sie zum 68. und letzten Mal das „Wort zum Sonntag“ sprechen. Hand aufs Herz, werden Sie auch künftig am sehr späten Samstagabend vor dem Fernseher sitzen?

Na klar! Inzwischen ist es fest in die Samstagabend-Kultur unsrer Gemeinschaft integriert. Wir schauen es uns zusammen an und diskutieren darüber. Da geht es – bei Knabberzeug und Kaltgetränken – lebhaft zur Sache.

Juliane Bittner