Interview zum Abschied von Akademiedirektor Thomas Arnold

Kirche braucht Debattenmut

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Portrait Thomas Arnold
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Foto: Amac Garbe

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Thomas Arnold tritt zum 31. Januar als Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen zurück, um im Leitungsstab des Sächsischen Staatsministerium des Innern neue Aufgaben zu übernehmen.

Seit 2016 leitete er die Katholische Akademie Dresden-Meißen, nun wechselt Thomas Arnold ins sächsische Innenministerium. Ein Gespräch über gesellschaftspolitische Krisen und „Hausaufgaben“ der Kirche.

Nach acht Jahren verlässt Direktor Thomas Arnold die Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen Ende Januar. Mit neuen Gesprächformaten wie dem „Sachsensofa“, dem mobilen „Cafe Hoffnung“ oder dem Podcast „Mit Herz und Haltung“ griff er immer wieder gesellschaftspolitische und kirchliche Debatten auf und machte die Bistumsakademie bundesweit bekannt. Im Interview spricht er über Herausforderungen im Superwahljahr, kirchliche Relevanz und den Umgang mit der AfD.

Herr Arnold, das gesellschaftspolitische Klima ist in den vergangenen Jahren rauer geworden, gleichzeitig ist die Vertrauenskrise der Kirche gewachsen. Wie kann unter diesen Bedingungen katholische Akademiearbeit gelingen?

Es braucht auf jeden Fall den Mut zu Debatten und den Mut, Polarisierungen auszuhalten. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir es schaffen müssen, als Akademien die verschiedenen Sichtweisen in der Gesellschaft – sofern sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen – miteinander ins Gespräch zu bringen.
Ich habe die Akademie in den vergangenen Jahren als einen Ort erlebt, der von allen gesellschaftlichen Gruppen akzeptiert wurde und wo auch Streit geführt werden kann. Diese Chance hat Kirche sich auch aus den Erfahrungen von 1989 erarbeitet und sollte sie nicht verspielen. Die große Kunst wird sein, sprachfähige Christen in diese Debatten einzubringen, die auf Grundlage ihres Glaubens argumentieren. Aber insgesamt: Ja, die Stimmung hat sich verändert.

Was bedeutet das konkret für die Akademiearbeit?

Es ist eine größere Herausforderung geworden, mit kirchlichen Positionen in gesellschaftlichen Debatten Akzeptanz zu finden. Ich höre zunehmend: „Ihr habt jede Akzeptanz für eure Positionen verspielt, weil ihr an ganz anderen Stellen Mist gebaut habt.“

Dass die gesellschaftliche Relevanz von Kirche sinkt, ist ja bundesweit zu beobachten.

Ja, aber in Ostdeutschland stellt sich die Situation anders dar: In Sachsen sind nur drei Prozent der Bevölkerung katholisch – da gab es nie solch eine gesellschaftliche Relevanz, wie sie in volkskirchlichen Regionen zum Selbstverständnis von Kirche dazugehört. Hier musste sie sich immer durch Inhalte etablieren.
Natürlich ist sie bei den gesellschaftlichen Multiplikatoren akzeptiert. Besonders geschätzt, gesucht und gebraucht wird sie aber da, wo sie gerade bei brennenden, polarisierenden Debatten Räume öffnet.

Ein solcher Brennpunkt sind die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg – in den Umfragen liegt überall die AfD vorn. Wie soll Kirche damit umgehen?

Kirche sollte den Mut haben, klar zu benennen, dass die AfD keine Partei ist, die aus dem Verständnis eines christlichen Menschenbildes heraus wählbar ist. Das hat sie auch immer wieder versucht zu sagen, aber natürlich hat sie immer Bedenken gehabt, dass sie damit die eigenen Schäfchen verprellt. Deshalb war sie vielleicht in den vergangenen Jahren zurückhaltender mit Äußerungen dazu.

Ist das für 2024 ausreichend?

Für 2024 ist jetzt wichtig, klar zu sagen: Es kommt darauf an, das Gewissen zu schulen und damit genau auf die Parteiprogramme sowie die Personen und deren Haltungen zu schauen. Sind das wirklich Menschen, denen man Macht geben will, ein Land zu gestalten?
In den Pfarrgemeinden erlebe ich unglaublich viele Menschen, die interessiert sind an politischen Prozessen und am Wohl der Gesellschaft. Ich finde, es sollte Aufgabe von Kirchenmitarbeitern sein, jetzt zu motivieren, dass Christen sich da einbringen. Das wäre ein gutes und notwendiges Zeichen der Ermutigung. Ich wünsche mir von der Kirche, dass sie sich nicht nur an der AfD abarbeitet und wie das Kaninchen auf die Schlange starrt, sondern Menschen und Positionen in der Mitte der Gesellschaft stärkt. Jetzt ist die Zeit für Mut!

Vor dem Hintergrund der geringen gesellschaftlichen Relevanz von Kirche – hat es öffentlich überhaupt eine Wirkung, wie sie sich zur AfD positioniert?

Medial schon. Mir scheint aber ein anderer Punkt entscheidend: Natürlich kann Kirche sich ständig zur AfD äußern und die Unvereinbarkeit betonen. Aber man muss auch sehen, dass die Menschen, die bereit sind, die AfD zu wählen, nicht alle rechtsextrem sind – und deshalb kommt es darauf an, genau hinzuhören, was die Menschen motiviert, diese Partei zu wählen.

Und was motiviert sie?

Das ist meines Erachtens in Sachsen nicht zuerst oder allein die Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Es hat vielmehr etwas mit den Erfahrungen von 1989 und danach zu tun und den jetzt erneut aufkommenden vielfältigen Veränderungen und Krisen. Aber das Land wird nur so gut sein, wie es seine Bürger gestalten. 
Deswegen hilft jammern nicht. Ich vermisse Wertschätzung für die wenigen, die sich für andere einbringen, und den Aufbruch der vielen, selbst mit anzupacken, damit es besser wird. Biedermeier 2.0 darf nicht die Lösung sein.

Wie steht es denn um die Akzeptanz der Akademiearbeit nach innen, ins katholische Milieu?

Wir dürfen nicht vergessen, dass auch Kirchengemeinden und Bistümer derzeit in einem großen Veränderungsprozess sind. Da sind die Zusammenlegungen, aber auch die Frage: Wer sind wir als Kirche heute noch? Diese Veränderungen verunsichern, sie bringen das Gefühl von Beheimatung durcheinander, entheimaten vielleicht sogar. Das bindet enorme Ressourcen, auch um es emotional zu verkraften: Denn für viele Katholiken ist die Pfarrei bisher Heimat.
Ich erlebe aber andererseits auch, dass gerade die kirchlichen Reformaufbrüche, etwa durch den Synodalen Weg, die Gemeinden dynamisiert haben. Sicher brachte es auch Polarisierungen mit sich. Aber es ist doch in Sachsen eine neue Lust entstanden, über Reformen in der katholischen Kirche zu diskutieren. Noch 2016 hätte hier ein Referent zum Thema Frauenweihe und Zölibat vor nur wenigen Menschen gestanden. Das ist heute anders.

Im Zuge der Sparprozesse in den Bistümern müssen auch die Akademien Federn lassen. Ist Bildungarbeit noch kirchliches Kerngeschäft?

Ja. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich Kirche nur noch auf Liturgie und Gemeindearbeit zurückziehen will. Was die knapperen Finanzen angeht: Ich finde es sehr bedauerlich, dass sich die katholische Kirche in Deutschland in den vergangenen Jahren entschieden hat, das Solidarprinzip zum Ausgleich zwischen reichen und armen Regionen nicht mutig weiterzuentwickeln. Zumal es nicht nur ein Ost-West-Gefälle gibt und es sich verschärfen wird. Ich glaube, dass wir in den kommenden Jahren neu über Solidarität zwischen Bistümern nachdenken müssen.

Karin Wollschläger