Theologe kämpft für Erhalt von Kreuzen im öffentlichen Raum
„Das Kreuz fordert heraus“
Foto: Matthias Kindler
Das Erzbistum Berlin baut derzeit die Sankt Hedwigs-Kathedrale aufwendig um. Die liegt nicht weit vom wiedererrichteten Berliner Stadtschloss entfernt, auf dessen Kuppeldach nach langem Streit wieder das preußisch-königliche Kreuz von einst prangt. Nun hat das Erzbistum entschieden, das Kreuz auf der eigenen Kathedrale abzunehmen und es von der Kuppel auf das Tympanon über dem Eingangsportal zu versetzen. Streit darüber ist noch nicht ausgebrochen. Aber es gibt das Bedürfnis, über die Bedeutung des christlichen Zentralsymbols neu nachzudenken. Die katholische Akademie Berlin lud deshalb zur Diskussion ein: „Wohin mit dem Kreuz? – Im Spannungsfeld von weltanschaulicher Neutralität und positiver Religionsfreiheit“.
Streitobjekt von Anfang an
Von Anfang an schien es zumindest in Berlin Ärger um das Kreuz als solches zu geben. Das gilt auch für das wohl älteste Kreuz in der Stadt, das Spandauer Kreuz. Es ist ein kleiner Kreis, in dessen Mitte sich eine Christusfigur mit Händen und Füßen festhält, ein so genanntes Radkreuz. Es lag am Ende des 10. Jahrhunderts in einer kleinen Holzkirche und wurde in den 1980er Jahren bei Bauarbeiten gefunden. Es war ein erstes christliches Symbol in einer ansonsten heidnischen Umgebung. Und die wehrte sich. „Die slawische Religion formt sich erst in Abgrenzung zum Christentum aus. Es gibt in keiner anderen Region des riesigen Slawengebietes so viele Kultstätten wie hier in diesem schmalen Zipfel der Nordwest-Slawen“, sagt Matthias Wemhoff, Landesarchäologe von Berlin. Das Kreuz symbolisierte den Herrschaftsanspruch des Christentums. Zumindest empfanden die Slawen das so.
Doch obwohl sich die christliche Religion in ganz Europa durchsetzte, sind Kreuze bis heute Streitobjekte. Denn nicht wenige sehen darin weiterhin das Herrschaftssymbol einer Kirche, die diese Macht gar nicht mehr besitzt und schon längst an Ansehen und Vertrauen in der Gesellschaft verloren hat.
Als vor wenigen Jahren die Universität Wien ihre Hörsäle umbaute, blieben alle Wände plötzlich weiß. Die Universitätsleitung verfügte, dass im Zusammenhang mit den Arbeiten auch die religiösen Symbole von den Wänden verschwinden sollten, erinnert sich Jan-Heiner Tück, Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte der katholisch-theologischen Fakultät an der Universität Wien. Als Argument für die Kruzifixentfernung wurde der Akzeptanzverlust des Christentums genannt – erst recht nach den Missbrauchs-Skandalen. „Auch ist klar, dass Dozenten und Studenten an der Uni Wien unterschiedliche religiöse Überzeugungen und weltanschauliche Orientierungen mitbringen. Nicht nur Agnostiker und bekennende Atheisten dürften Probleme mit dem Kreuz haben, auch für Juden und Muslime ist das Kreuz ein hochambivalentes Symbol. Im kulturellen Gedächtnis der Juden hallt der Vorwurf des Gottesmordes nach. Im Erinnerungshaushalt der Muslime ist das Thema Kreuzzüge nach wie vor virulent“, sagt Tück.
Doch beim katholischen Theologen Tück löste diese universitäre Entscheidung gegen das Kruzifix Unbehagen aus. Schließlich erlaubte der Europäische Gerichtshof 2011 Kreuze in Klassenzimmern. Begründung: Das Kreuz sei ein passives Symbol, das Nicht- oder Andersgläubigen zugemutet werden könne. Sollte das dann aber nicht auch für Universitätsgebäude gelten? Tück wird seitdem nicht müde, für den Erhalt des Kreuzes im öffentlichen Raum zu kämpfen. Aber nicht wie etwa der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der das Kreuz allein als Zeichen der kulturellen Geschichte seines Landes sieht. Nein, das Kreuz sei viel mehr, betont Tück. Es biete die Möglichkeit der Identifikation mit Religion und damit gehe es um Religionsfreiheit.
Erhalt des Kreuzes im öffentlichen Raum
„Würde der säkulare Staat die Entfernung religiöser Symbole aus dem öffentlichen Raum systematisch betreiben, wäre er meines Erachtens weltanschaulich nicht mehr neutral, weil er faktisch die negative Religionsfreiheit stärker gewichten würde als die positive. Die Möglichkeit der Bürger, sich frei mit religiösen Sinngehalten zu identifizieren oder sich auch kritisch zu ihnen zu verhalten, würde im öffentlichen Raum unterbunden, wenn nicht ganz annulliert. Eine klare Bevorzugung des Nicht-Religiösen wäre die Folge“, sagt Tück.
Erinnerung an menschliche Fehlbarkeit
Dann kommt der Dogmatiker in tiefes theologisches Fahrwasser. Den „Skandal des Kreuzes“ müsse eine Gesellschaft aushalten. Denn das Kreuz bedeute eine religiöse Bewusstseinserweiterung. „Es ist und bleibt ein Skandal, den Foltertod eines unschuldigen Menschen sichtbar zu machen. Eines Menschen von dem Christen öffentlich bekennen, dass er Christus, der Sohn Gottes ist, der für unsere Sünden gestorben ist. Das Kreuz bringt ans Licht, was gerne in der Grauzone vergessen wird, das Leiden der Opfer, die keine Stimme haben oder mundtot gemacht werden.“
„Das Kreuz erinnert an die Verwundbarkeit und Fehlbarkeit menschlicher Existenz, die wir uns gerne verschleiern. Es spiegelt die Erlösungsbedürftigkeit und Sterblichkeit, der niemand entrinnt. Es ist aber auch Zeichen gewaltfreien Widerstandes gegen Unrecht und Inhumanität, sowie Zeichen für die Hoffnung auf Auferstehung und das Ewige Leben.“ Damit weise das Kreuz in die Zukunft und warne vor jenen, die immer mehr Leistung und Selbstoptimierung forderten, erklärt der Theologe. Das Kreuz sei somit ein Gegenzeichen, das die Wissenschaft vor Hybris und Selbstüberschätzung warnen könne. Diese Argumentation gelte nicht nur in Wien, sondern überall – ob beim Kuppelkreuz des Berliner Stadtschlosses oder der Gipfelkreuzdebatte.
Das Kreuz ist für Tück das einfachste und zugleich komplexeste Zeichen. Es verbinde das Vertikale mit der Horizontalen. Das Kreuz sei ein Zeichen für alle, ob gläubig oder nicht. „Die Vertikale steht gegen eine Form von Transzendenzvergessenheit. Man muss nicht an Gott glauben. Man kann im Sinne einer ‚Als ob-Theologie‘ eine andere Instanz für möglich halten, in der man das Eigene noch einmal spiegelt. Wenn man das Eigene nicht mehr von Außen oder von Oben spiegelt, droht es schnell, flach zu werden. Umgekehrt wird die Vertikale von der Horizontalen unterbrochen, das bedeutet eine gewissen Welt- und Geschichtssensibilität. Es ist ein Deutangebot für den homo viator, der immer wieder Markierungen auf den Wegen braucht“, referiert der Dogmatiker. Der „homo viator“, das sei der Mensch auf seinem Lebensweg. Ob gläubig oder nicht, jedem Menschen könne das Kreuz Richtung und Hinweis für die eigene Existenz sein, ist sich Tück sicher.
„Erschreckender Traditionsabbruch“
Wenn Menschen das Kreuz denn sehen wollen. Der Mittelalterarchäologe Matthias Wemhoff ist auch Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin. Er erlebt nicht nur bei seinen Studenten einen „erschreckenden Traditionsabbruch“. „Bei vielen, die heute anfangen, ist das alles nur eine Frage des Materialismus. Kirche und Religion waren eine große Geschichte, um an das Geld der Leute zu kommen und hatten immer nur mit Macht zu tun. Es gibt bei vielen keine Vorstellung davon, was Glauben heißt. Beim Kreuz muss man mal eine Passionserfahrung haben, um bei diesem Symbol etwas empfinden zu können. Das fehlt“, bedauert Wemhoff.
Der Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, kommt am Ende der Veranstaltung wieder zurück zum Spandauer Kreuz, das für ihn ein Kreuz offen hin zu den Menschen ist: „Wir haben nicht ein Siegeskreuz, sondern ein elendes Kreuz. Das offene Kreuz ist ein Zeichen für eine schwache Kirche. Es ist ein Abdruck des Leides der Menschen, der Sklaven, der Entrechteten und ein Abdruck der Liebe Gottes.“
Die Versetzung des Kreuzes an der Kathedrale ist für Koch eine gute Entscheidung für die ganze Stadt: „Das heruntergenommene Kreuz wird den Bebel-Platz prägen. Es war ja bislang, wenn man vor St. Hedwig stand, nie zu sehen. Jetzt werden wir es sehen.“