Klimapilger Wolfgang Löbnitz

1450 Kilometer für den Klimaschutz

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Ab Mitte August pilgert Wolfgang Löbnitz von Polen bis Schottland. Weil er sich als Christ verpflichtet fühlt, die Schöpfung zu bewahren. Und weil er zeigen will, dass jeder Mensch etwas für den Klimaschutz tun kann.

Sie wollen was bewegen: Wolfgang Löbnitz (vorn, in der roten Jacke) und die Klimapilger, hier bei einer Demonstration im November 2017 zu Beginn der UN-Klimakonferenz in Bonn.
Sie wollen was bewegen: Wolfgang Löbnitz (vorn, in der roten Jacke) und die Klimapilger, hier bei einer Demonstration im November 2017 zu Beginn der UN-Klimakonferenz in Bonn.


Von Andreas Lesch

Wolfgang Löbnitz weiß noch genau, wie er seine Frau angerufen und ihr gesagt hat: „Pass mal auf, wir haben jetzt ein bisschen Stress.“ Er hatte sich für eine Woche beim Klimapilgern 2015 angemeldet, aber nun wollte er bis zum Ende dabeibleiben. Von Münster bis zum Ziel, zur UN-Klimakonferenz in Paris. Seine Frau, erzählt er, habe gemerkt, dass sie ihm das nicht mehr ausreden kann. Also pilgerte Löbnitz weiter – und war begeistert: „Das hat mich total gefangen genommen.“ 

Der Hamburger Löbnitz ist bei jedem Klimapilgern mitmarschiert. Auch in diesem Jahr, beim fünften Ökumenischen Pilgerweg für Klimagerechtigkeit, macht er sich wieder auf den Weg. Start ist am 14. August in Zielona Góra (Polen), Ziel am 29. Oktober in Glasgow, dem Ort der UN-Klimakonferenz. Der Weg: 77 Tagesetappen und gut 1450 Kilometer durch Polen, Deutschland, die Niederlande und England bis nach Schottland. Warum nimmt ein Mann diese Strapazen auf sich, als Rentner, mit 68 Jahren? Was treibt ihn an?

„Ich bin auf dem Weg für meine Kinder, für meine Enkelkinder und für meinen Urenkel“, sagt Löbnitz. Er will ihnen keine von Klimakatastrophen verwüstete Welt hinterlassen. Und er weiß, dass die Menschen schnell handeln müssen, um das Schlimmste zu verhindern. „Als Christ fühle ich mich der Schöpfung gegenüber verpflichtet“, sagt er. „Wir haben den Auftrag bekommen, uns um die Schöpfung zu kümmern – nicht, sie auszubeuten und kaputtzumachen. Das muss man leben. Wir wollen zeigen: Jeder kann etwas tun.“

Durch das Klimapilgern will Löbnitz Denkanstöße geben. Das funktioniert. Wenn er Menschen unterwegs vom Klimapilgern erzählt, ob sie nun für oder gegen Klimaschutz sind, dann sagen sie alle: „Boah, das ist eine tolle sportliche Leistung!“ Sie staunen, dass er mehr als 1000 Kilometer zu Fuß geht – und ahnen, dass ihm sein Anliegen ernst ist. 

„Immer wieder so kleine Wunder“

Die meisten Leute, sagt Löbnitz, unterstützten seine Gedanken. Die wenigen, die den menschengemachten Klimawandel leugneten, schöben irgendwelche vermeintlichen Beweise vor – obwohl die Fakten zu dem Thema längst wissenschaftlich belegt sind. „Das sind Leute, die ganz einfach nicht wollen“, sagt Löbnitz. „Die haben Angst, irgendetwas zu verlieren.“ Doch er hofft, dass er auch im Gespräch mit ihnen etwas bewegen kann. Dass sie vielleicht erkennen: „Mensch, du hast recht. Ich muss nicht so viel Fleisch essen.“ Ab und zu ein gutes Stück vom Landwirt um die Ecke reicht, es müssen nicht die Massen aus dem Supermarkt sein. Löbnitz sagt: „Es gibt immer wieder so kleine Wunder.“ 

Für diese Wunder setzt er sich ein. Er hat die Route ausgetüftelt und gehört zum Kern der Klimapilgerer. Mit acht Leuten geht er die komplette Strecke, von Zielona Góra bis Glasgow; weitere Pilger gehen einzelne Etappen mit. Größer als 30 Personen soll die Gruppe nicht werden. Und alles läuft corona-konform: Die Dauerpilger müssen geimpft oder genesen sein, sie haben Masken und Desinfektionsmittel dabei und richten sich überall nach den aktuellen Regeln. Sollte ein Land wegen explodierender Zahlen dichtmachen, würden sie abbrechen. Sie hoffen, dass es so weit nicht kommt. Denn ihr Weg ist ihnen wichtig.

Unterwegs, sagt Löbnitz, lerne man, genügsam zu leben und sich über Kleinigkeiten zu freuen. Die Pilger gehen pro Tag 20 bis 25 Kilometer, und sie übernachten in Gemeindehäusern, auf dem Fußboden, auf Isomatten, in Schlafsäcken. Manchmal alle in einem Raum. Sie teilen sich zwei Toiletten, und sie können nicht duschen – Löbnitz sagt, „mehr oder weniger Katzenwäsche“ sei das, was geht. 

Morgens machen sie Frühstück, packen ihre Sachen und ein Lunchpaket für unterwegs. Dann gibt’s einen kurzen Impuls oder eine Andacht, letzte Ansagen – und weiter geht’s. Wenn die Pilger einen Ort erreichen, versuchen sie, eng beieinanderzubleiben, um als Gruppe zu wirken. Wenn sie die Orte verlassen, „fällt jeder so in sein persönliches Wohlfühltempo“, sagt Löbnitz. Aber sie achten darauf, dass sie sich nicht aus den Augen verlieren; deshalb trägt am Anfang und am Ende des Zuges jemand ein Banner.

„Wir berühren die Leute“

Immer wieder steuern die Klimapilger Schmerzpunkte an. Orte, an denen Natur zerstört oder Klimaschutz durchkreuzt wird. 2018 waren sie etwa beim Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe, 30 Kilometer südlich von Cottbus. An Schmerzpunkten halten die Pilger eine Andacht und teilen Informationen. Manchmal gehen sie danach eine Viertelstunde schweigend weiter, so dass jeder nachdenken kann.

Die Pilger suchen aber auch Kraftorte auf: Kapellen und Kirchen am Weg. „Wir sind ja eine Prozession, keine Demonstration“, sagt Löbnitz. Die Pilger beten und singen dort etwas aus ihrem eigenen Buch – mal auf Deutsch, mal auf Französisch, Englisch, Niederländisch oder Polnisch. Löbnitz nimmt die Herausforderung tapfer: „Ich kann kein Polnisch, aber ich bemühe mich dann redlich, eine Aussprache zu finden, die dem nahekommt.“

Wenn die Pilger sich aus einer Gemeinde verabschieden, singen sie das beliebte irische Segenslied „Möge die Straße …“. Dann fließen auch mal Tränen – und Löbnitz spürt, „dass wir die Leute berühren mit dem, was wir da tun“. Er weiß, wie dramatisch das Klimaproblem ist. Aber er versucht, nicht zu verzweifeln: „Mein Glaube gibt mir Hoffnung, dass sich noch alles zum Guten wenden kann.“ Er und seine Frau fahren kaum noch Auto und verreisen nicht mit dem Flugzeug. Die angedachte Solaranlage jedoch haben sie nicht installiert, weil ihr Dach auf der Südseite nicht genug Fläche hat. Erdöl beziehen sie nicht mehr, Erdgas aber schon noch. Löbnitz sagt: „Es bleibt viel zu tun.“