Praktische Hilfe in der Fahrradwerkstatt

600 Räder für Menschen in Not

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Nicht jeder kann sich ein neues Fahrrad leisten – und manchmal fehlt sogar das Geld für eine Reparatur. Die Lingener „Fahrradwerkstatt“ bietet in dieser Situation praktische Hilfe an – jetzt auch in neuen Räumen.


Beste Laune: Werkstattleiter Hugo Kruip (v.l.) und Projektleiter Christian Eilers freuen sich über die ehrenamtliche Mitarbeit von Kawa Taha Athmann und Alois Schmidt. Foto: Diek-Münchow

Alois Schmidt schraubt die kleine Birne aus dem Rücklicht. „Die ist kaputt“, sagt er und sucht im Regal nach Ersatz. Fix eingedreht und ausprobiert – jetzt leuchtet wieder alles. Währenddessen hat Hugo Kruip mit dem jungen Mann aus Syrien, dem das Fahrrad gehört, die Kette etwas nachgespannt. Auch die anderen Reparaturen an Bremse und Dynamo sind fast erledigt – nach gut 30 Minuten radelt der Besucher zufrieden davon.

Christian Eilers blickt ihm mit einem Lächeln hinterher. Der Diakon der Pfarreiengemeinschaft Maria Königin/St. Marien in Lingen leitet das Projekt „Fahrradwerkstatt für Menschen in Not.“ Neben ihm, Alois Schmidt und Hugo Kruip gehören fünf weitere Männer zu dem ehrenamtlichen Werkstatt-Team. Jeden Dienstag öffnen sie die Räume neben dem Jugendzentrum in Lingen. Erst vor kurzem sind sie hier eingezogen und haben jetzt deutlich mehr Platz für vier Reparaturplätze, für ein Lager mit gesammelten Rädern, für Werkzeug und Zubehör.

Die größeren Räume, die die Stadt Lingen bereitgestellt hat, waren nach Worten von Eilers wichtig. Auch jetzt herrscht wieder Hochbetrieb – an manchen Nachmittagen kommen bis zu 30 Besucher. Und das sind nicht nur geflüchtete Menschen, sondern auch Lingener, denen das Geld für ein neues oder für die Reparatur ihres alten Rads fehlt. In dieser Werkstatt können sie gegen eine Spende zwischen zehn und 60 Euro ein gebrauchtes Fahrrad bekommen oder ihr eigenes mit Hilfe der Ehrenamtlichen instand setzen – nicht umsonst, aber zu günstigen Konditionen. „Neue Ersatzteile geben wir zum Einkaufspreis ab, gebrauchte Teile bekommen die Leute so“, sagt Eilers. Für die Reparatur berechnen die Männer nichts, ihre Arbeitsleistung ist quasi ein Geschenk an die Kunden. Aber die sollen nicht nur einfach danebenstehen, sondern mit anpacken: Sie lernen, wie man einen Schlauch flickt, die Kette nachspannt, ein Rad wechselt oder ein Rücklicht austauscht. „Es ist eine Mitmach-Werkstatt“, sagt Eilers.

Der Bedarf ist groß. „Manchmal stehen die Leute schon eine halbe Stunde vor der Tür, bevor wir aufmachen“, erzählt Werkstattleiter Kruip. Denn vor allem die Flüchtlinge in den umliegenden Dörfern oder am Stadtrand brauchen ein Fahrrad, um zum Sprachkurs, zur Schule, zur Behörde oder zur Arbeit zu kommen. Wer sich integrieren will und soll, muss mobil sein. Aber die wenigsten können sich ein Auto leisten und die Abfahrtszeit der Busse passen nicht immer zum Stundenplan oder dem nächsten Termin. Wer in der Werkstatt nach einem Rad fragt, legt in der Regel einen Berechtigungsschein des SKM-Vereins für soziale Dienste vor. Der Diakon sagt aber auch, dass „wir es hier eher unbürokratisch halten.“

„Ich will in der Rente etwas Sinnvolles tun“

Dieser Grundsatz, unkompliziert und praktisch zu helfen, prägt die Arbeit des Teams seit Beginn. Christian Eilers erzählt von den Überlegungen vor etwa fünf Jahren im Pfarrgemeinderat und von der ersten Aktion, bei der Schulmaterial für bedürftige Familien gesammelt wurde. Und dann, als immer mehr Geflüchtete im Emsland ein neues Zuhause suchten, von einer Fahrrad-Sammelaktion. 300 gebrauchte Räder wurden dabei gespendet und mit der Marienschule und der Gesamtschule Emsland verkehrssicher gemacht. Vor zwei Jahren bekam das Team einen Platz im Jugendzentrum und jetzt die neuen Räume daneben. „Mittlerweile haben wir fast 600 Fahrräder bekommen und wieder abgegeben“, sagt Eilers und zeigt den kleinen Restbestand im Lager. „Aber wir suchen noch weitere Räder.“

Denn die Männer wollen gern noch weiter helfen. Kruip hat sichtlich Spaß an der Sache. „Ich will in der Rente etwas Sinnvolles tun“, sagt er. Genauso geht es Schmidt, 85 Jahre alt und von Beruf Maschinenbauer. Helfen, mit den Leuten reden, mit Zange und Schraubenschlüssel arbeiten – das hält ihn fit. Zu dem Team gehören auch zwei Flüchtlinge. Kawa Taha Athmann, der im Irak als Automechaniker gearbeitet hat, kommt dafür extra mit dem Bus aus Messingen: „Hier in der Fahrradwerkstatt lerne ich die deutsche Sprache, ich bekomme viel Kontakt zu den Menschen und Kollegen“. Mazyar Jaafar sagt: „Als ich nach Deutschland kam, wurde mir viel geholfen. Ich habe keine Arbeit und kann daher jetzt auch helfen. Das beruhigt mein Herz.“

Petra Diek-Münchow
 
Die neuen Räume befinden sich in Lingen an der Konrad-Adenauer-Allee/Ecke Gasthausdamm. Die Werkstatt ist dienstags zwischen 16 und 18.30 Uhr geöffnet. Infos unter Telefon 0591 610 61 16.