Corona-Gedenktag
80.000 Einzelschicksale
Mitten in der dritten Corona-Welle haben Staat und Kirchen am Sonntag bundesweit der Toten in der Pandemie gedacht. Vor allem aber der nationale Trauerakt und ein ökumenischer Gottesdienst in Berlin sollten den Toten und Angehörigen ein Gesicht und eine Stimme geben.
Fast 80.000 an oder mit dem Coronavirus Gestorbene in Deutschland und rund drei Millionen weltweit - das ist die traurige Zwischenbilanz nach mehr als einem Jahr Pandemie. Hinzu kommen viele Menschen, die zwar nicht an dem Virus gestorben sind, aber aufgrund der Kontaktbeschränkungen dennoch in Einsamkeit. Auch an sie wollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnern, der am vergangenen Wochenende zu einem zentralen Gedenken eingeladen hatte. Stellvertretend wurden dabei auch Fotos von rund 120 Verstorbenen aus ganz Deutschland gezeigt.
In seiner Rede im Konzerthaus Berlin sagte der Bundespräsident, das Leiden und Sterben sei in der Öffentlichkeit oft unsichtbar geblieben. Zugleich warnte der Bundespräsident: "Eine Gesellschaft, die dieses Leid verdrängt, wird als ganze Schaden nehmen."
Und so gab Steinmeier vor allem den Angehörigen Raum. Anita Schedel aus Passau etwa erinnerte an ihren Mann, der als Arzt vor einem Jahr an Covid-19 gestorben war. Zehntausende seien alleingelassen mit der Trauer, weil selbst tröstende Rituale wegen der Pandemie unmöglich seien. Immer noch würden Menschen sterben. Mittlerweile sei bekannt, wie richtig und wichtig die Einhaltung der Hygieneregeln sei.
Angesichts zunehmender Corona-Müdigkeit appellierte Schedel: "Halten Sie durch. Es kommt auf jeden Einzelnen an." Niemand könne ihr ihren Mann zurückbringen. Aber jeder Einzelne, dem ihr Schicksal und das der Angehörigen und Freunde der 80.000 Corona-Toten in Deutschland erspart bleibe, sei es wert. "Bleiben Sie stark und zuversichtlich, ich versuche es auch zu sein." Andere Angehörige dankten Steinmeier für dessen Initiative, die Kraft und Trost gebe.
Dass die Pandemie das Sterben verändert habe, griff auch der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, in seiner Predigt im zentralen Gottesdienst in der Berliner Gedächtniskirche auf. Es fehle so viel, sagte er: Besuche im Krankenhaus, letzte Aussprachen, Trost in der Angst, die vertraute Hand, das Verweilen mit den Verstorbenen, letzte Worte, die Liebe, Schmerz, Trauer und Verzeihen ausdrücken. "Was hier alles fehlt, was einem an Nähe und Zuneigung geraubt wird durch die Pandemie, das verwundet die Seele." Bätzing hatte sich zuvor bereits für einen jährlichen nationalen Corona-Gedenktag ausgesprochen.
An das vielfache Leid, das die Pandemie auch über den Tod hinaus verursacht, wurde in Berlin ebenfalls erinnert. Im Gottesdienst beklagten stellvertretend ein im vergangenen Jahr lebensgefährlich an Covid-19 Erkrankter, ein Intensivpfleger und eine Sopranistin die weitreichenden Folgen. Und auch Steinmeier sprach beim Gedenkakt über jene, die in wirtschaftliche Not geraten sind, sowie jene, "die seelisch krank geworden sind vor Einsamkeit und Enge", und über Menschen, die in der Pandemie zu Hause Gewalt erlitten haben.
Der Zeitpunkt des Gedenkens hatte schon im Vorfeld durchaus Kritik hervorgerufen. Es käme zu früh, da das Ende der Pandemie noch nicht absehbar sei und die Intensivstationen sich wieder füllten, hatte es zum Beispiel geheißen. Dem setzten Steinmeier und die Kirchen die Hoffnung auf Gemeinschaft entgegen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, sagte in seiner Predigt, in der Gemeinschaft der Trauernden liege eine Kraft als Nähe, Trost und Hoffnung. "Es gibt auch sowas wie öffentliche Seelsorge", sagte er im ZDF.
Und der Bundespräsident appellierte daran, über Schmerz, Leid und Wut zu sprechen, sich aber nicht in Schuldzuweisungen und im Blick zurück zu verlieren: "Sammeln wir noch einmal Kraft für den Weg nach vorn, den Weg heraus aus der Pandemie, den wir gehen wollen und gehen werden, wenn wir ihn gemeinsam gehen." Die Pandemie, die zum Abstand zwinge, dürfe nicht auch noch die Gesellschaft auseinandertreiben.
kna/Alexander Riedel