Nina Brunetto fand mit gut 30 Jahren ihren Glauben

Alles Zufall? Eher Fügung!

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Nina Brunetto steht am Taufbrunnen der Antoniterkirche in Köln.
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Foto: Robert Boecker

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Nina Brunetto am Taufbrunnen der Antoniterkirche in der Kölner Innenstadt. Hier wurde sie getauft. 

Nina Brunetto lebte mehr als 30 Jahre lang ohne Glauben und Kirche. Ihr fehlte nichts. An Gott glauben? Das war etwas für andere, nicht für sie. Doch dann traf sie Menschen, die ihr von Gott erzählten. „Ich hatte irgendwann das Gefühl, das ist kein Zufall, dass ich jetzt diese Menschen treffe“, sagt Brunetto.

Es fing mit einem Buchtipp an: Ein Bekannter, der mit Nina Brunetto über Kirche und Glauben diskutierte, empfahl ihr die Bücher des Autors Frank Berzbach. Sie gefielen ihr. Da Berzbach genau wie sie in Köln wohnt, nahm sie Kontakt zu ihm auf.

Was nicht unbedingt zu erwarten war: Die beiden wurden ein Paar. Berzbach ist sein katholischer Glaube wichtig. In seiner Wohnung steht ein kleiner Altar. „Ich habe mich gewundert, weil er gar nicht so aussieht“, sagt Brunetto und spielt damit auf die vielen auffälligen Tätowierungen auf den Armen an. Sie selbst hatte damals mit dem Glauben noch immer nichts zu tun. Er, so erzählt sie, nahm es gelassen: „Du bist nicht nicht gläubig. Die Werte, die du lebst, sind christlich.“

Im Frühjahr vergangenen Jahres begleitete sie Berzbach dann zu einer Veranstaltung in der Benediktiner-Abtei Münsterschwarzach. Beim festlichen Abendessen wurde sie an den Tisch mit dem Abt gesetzt. Brunetto schämte sich fast, als ungetaufte Nichtgläubige an diesem Ort zu sein. Umso überraschter war sie, wie herzlich der Abt sie aufnahm. Er lehnte sie nicht ab, verurteilte sie nicht, versuchte nicht, sie zu missionieren.

Dieser Abend beeindruckte die heute 33-Jährige – so stark, dass sie das Buch, das sie später über ihre Glaubensgeschichte geschrieben hat, danach benannte: „Dinner mit dem Abt“ heißt es.

Der Abend brachte Brunetto ins Nachdenken. Sie merkte, wie sehr Vorurteile über die Institution Kirche ihr Denken bestimmten, und wollte mehr über den Glauben erfahren.

"Ich hatte immer das Gefühl, jemand kommt auf mich zu."

Mit ihrem katholischen Partner Frank Berzbach ging sie bei Spaziergängen und im Urlaub in Kirchen, zusammen besuchten sie Gottesdienste und diskutierten über den Glauben. Über eine Freundin lernte sie eine evangelische Gemeinde in Köln kennen, die sich stark in der queeren Community engagiert; sie lief sogar mit der evangelischen Gruppe auf der Parade des Christopher Street Day mit.

Nina Brunetto merkte: Die Kirchen sind doch bunter, als sie angenommen hatte. Und sie erlebte dort Gemeinschaft. „So wie die Leute mit mir umgegangen sind, habe ich das lange nicht erlebt“, sagt sie. „Ich hatte immer das Gefühl, jemand kommt auf mich zu.“

Sie wurde auch innerlich ergriffen von der christlichen Botschaft. Eine angehende evangelische Pastorin schenkte ihr die Geschichte von den „Spuren im Sand“. Für viele Menschen, die sich schon lange mit dem Glauben befassen, ist die ein bisschen angestaubt. So sehr, dass die Verlagslektorin Brunetto empfahl, diesen Teil doch aus dem Buch zu streichen. Aber für Brunetto drückt sie den Kern ihrer Gottesbeziehung aus. Als sie die „Spuren im Sand“ das erste Mal las, sagt sie, war sie zu Tränen gerührt.

In dem Text, den die kanadische Autorin Margaret Fishback Powers 1964 schrieb, geht es um einen Menschen, der im Traum bei einem Strandspaziergang zusammen mit Gott auf sein Leben zurückblickt. Er sieht in langen Lebensphasen zwei Fußspuren im Sand – die eigenen und die von Gott. Doch dann gibt es Lebensabschnitte mit nur einer Spur. Und zwar ausgerechnet in den besonders schweren Phasen des Lebens. Der Mensch fragt Gott vorwurfsvoll, wo er in dieser Zeit gewesen sei. „Da habe ich dich getragen“, lautet Gottes Antwort.

„Aus der tiefsten Seele“ habe ihr diese Geschichte gesprochen, sagt Brunetto. „Mein Gefühl war immer, ich muss mich selbst tragen.“ Ihre Eltern waren getrennt und hatten angesichts von Arbeit und eigenen Problemen nicht die Kraft, ihrer Tochter ausreichend Halt zu geben. Heute sagt sie: „Gott ist da. Auch in den schwierigsten Phasen. Vielleicht bin ich durch die Täler in meinem Leben deshalb durchgekommen. Das ist so ein tröstendes Gefühl.“

"Jeder Mensch kann solche Momente finden. Man muss nur die Augen offenhalten."

In wenigen Monaten befasste sich Brunetto so intensiv mit dem Glauben, dass sie beschloss, sich taufen zu lassen. Mit ihrem Freund war sie oft in einer katholischen Gemeinde und bekam Kontakt zu aufgeschlossenen, inspirierenden Geistlichen. Doch schließlich zog es sie zur evangelischen Kirche. In der katholischen Kirche schreckte sie ab, dass Frauen nicht geweiht werden können und dass mit dem Papst und den Bischöfen einzelne Personen so viel Macht haben.

Als Spruch zur Taufe im September vergangenen Jahres wählte sie einen Satz aus dem ersten Korintherbrief: „All eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“ Für Brunetto ist das die zentrale Aussage des Christentums.

Mit ihrem frischen Glauben sieht sie vor allem die vielen positiven Seiten der Kirchen: wie viele Menschen sich für andere engagieren zum Beispiel und welche Hoffnung die Kirchen und ihre Botschaft vermitteln, gerade in der heutigen Zeit. „Man kann keinen Krieg verhindern, aber man kann sich darauf konzentrieren, was man selbst tun kann“, sagt Brunetto. So engagiert sie sich mit ihrem Partner in der Flüchtlingshilfe und hat sich nach dem Hamas-Überfall auf Israel an Mahnwachen vor der Synagoge beteiligt.

Nina Brunetto hat ihre Heimat im Glauben gefunden. „Da ist jemand, der aufpasst“, sagt sie im Rückblick auf ihr bisheriges Leben. „Jeder Mensch kann solche Momente in seiner Biografie finden. Man muss nur die Augen offenhalten.“

Ulrich Waschki