Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Hamburg

Als die Waffen schwiegen

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Ein Panzer steht vor dem südlichen Portal der „Neuen Elbbrücke“ (Schwarz-Weiß-Foto)
Nachweis

Bildnachweis: Imperial War Museum London

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3. Mai 1945 – Ein Cromwell-Panzer der 7th Armoured Division vor dem südlichen Portal der „Neuen Elbbrücke“ (von 1887). Das Neugotische Portal der Brücke wurde später aufgrund einer Vergrößerung der Fahrbahnen abgerissen.

Kriegsende 1945 in Hamburg: Zwei Zeitzeuginnen erzählen, wie sie es erlebt haben – und eine Ausstellung in der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr fragt, ob wirklich von Befreiten und Befreiern die Rede sein kann.

An zwei Dinge erinnern sich Marlene Brosch (88) und Maria Palm (89), beide katholisch, unabhängig voneinander mit fast identischen Worten: „Wir gingen, das weiß ich heute noch, im Trainingsanzug ins Bett. Der Koffer stand daneben“, erzählt Marlene Brosch in ihrer Wohnung nahe am Kleinen Michel. Wenn die Sirenen heulten, standen sie und ihre Mutter auf und gingen in den Keller. Ähnlich war es bei Maria Palm, die in Barmbek lebt: „Wir haben ja immer mit Zeug geschlafen“, erinnert sie sich, „das gepackte Köfferchen“ immer in Griffnähe. Kennengelernt haben sich die beiden 1946 auf dem Weg zu ihrer katholischen Schule an St. Marien, dem späteren Dom. Es war vor allem Prälat Msgr. Bernard Wintermann, der sie beide beeindruckte, an den ihre Erinnerungen ähnlich sind. „Das war ein ganz kluger Mann. Und er war so menschlich“, erinnert sich Marlene Brosch. „Es war toll, wie er mit den jungen Menschen, den Kindern umging“, sagt Maria Palm. Ihren Schulabschluss machten Brosch und Palm 1951. Doch ihre Lebenswege, die sie für die Schulzeit zusammengeführt hatten, sollten noch einmal für viele Jahre ganz unterschiedlich verlaufen, bis sie sich wieder kreuzten.

Ihr Zuhause wurde ausgebombt

Marlene Brosch hatte Glück, dass ihre Tante Martha aus Bremen sie 1943 in ihren ersten Schulferien mit zu einer Tante nach Borgholzhausen bei Osnabrück nahm. 13 Geschwister hatte die Mutter, aber mit Tante Martha war das Verhältnis besonders eng. Ihre Ehemänner fuhren zur See, sie trafen sich oft in Bremen, wo Marlene zur Welt gekommen war. Gewohnt hatten sie und ihre Mutter in Hamburg. Es war Ende Juli, als die „Operation Gomorrha“ begann, bei der etwa 70 Prozent der Wohnungen und der Innenstadt von Hamburg zerstört wurden – auch die elterliche Wohnung. Ihre Mutter habe eigentlich in einem Kaufhaus Zuflucht suchen sollen, doch sie zog „einen kleinen mickrigen Bunker in unserer Umgebung“ vor, sagt Brosch. 300 Menschen sollen im Kaufhaus erstickt sein.

Maria Palm (li.) und Marlene Brosch (re.) erlebten das Ende des Krieges und die Zeit danach.
1951 machten sie ihren Schulabschluss. Fotos: Marco Heinen

Die Mutter folgte nach Borgholzhausen, hatte oft Heimweih. Im Güterwaggon ging es 1946 wieder an die Elbe. Der Vater, aus dem Krieg heimgekehrt, fand für die Familie ein Zimmer am Schwanenwik 33, direkt an der Außenalster. 28 Quadratmeter, kaum Tageslicht, Gemeinschaftsklo und ein altes Karpfenbecken als Badewanne. „Zum gelegentlichen Baden gingen wir ins Bartholomäus-Bad“, so Brosch, „und in die Alster.“ Am Uhlenhorster Fährhaus saß das Mädchen oft, las Bücher, blickte auf das Wasser. „Ich habe meine Kindheit als glücklich empfunden. Kann ich nicht anders sagen. Wir haben viel gespielt, wir waren viel an der Altstadt draußen.“

Als im Sommer 1943 die Bomben fielen, rettete sich Maria Palms Mutter zusammen mit ihr und zwei der drei Brüder aus der Etagenwohnung, die zerstört wurde, in einen Bunker in der Schellingstraße. Als der Vater, der als Mechaniker zum Arbeitsdienst zwangsverpflichtet worden war, sie rausholen wollte, herrschte Chaos. „Ich weiß nur, dass ich geschrien habe, laut geschrien“, sagt Maria Palm. Stunden später verließen sie den Bunker. Dabei lief ein Bruder weg; der Dreijährige war plötzlich nicht mehr da.

Ein traumatisches Erlebnis für die damals Neunjährige und ihre Mutter. Zum Glück wurde er wiedergefunden und die Familie – der dritte Bruder war bei einer Tante in Billbrook – in die Versöhnungskirche nahe am Elbekanal gebracht. Zu Fuß machte sich die Familie von dort aus nach Billbrook auf den Weg. Aber mehr als ein paar Wochen konnten sie in den beengten Verhältnissen bei der Tante nicht bleiben.

Im Güterwaggon ging es für die Mutter und die Kinder ins hessische Ludwigstein, nahe der thüringischen Landesgrenze. Anfang 1945 dann die Rückkehr nach Hamburg, in die Wohnung von Oma Agnes im Hinterhaus am Graumannsweg, nahe an der Alster. Der Krieg dauerte noch an. Drei Monate voller Angst.

Erst am 3. Mai wurde Hamburg kampflos an britische Streitkräfte übergeben. NS-Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann wurde in diesem Zusammenhang oft als Retter dargestellt, auch für Palm erschien er als „ein außergewöhnlicher Mensch“. Dann die britischen Soldaten, die Schokolade mitbrachten. „Sie glauben gar nicht, wie die Männer uns schützend geholfen haben.“ Und doch, „eigentlich sind wir ein bisschen traumatisiert“, jetzt im Alter, da komme alles noch einmal ins Gespräch.

Gedenken oft sehr vereinfacht

In diesem Jahr ganz besonders, 80 Jahre danach. „Befreite und Befreier? Kriegsende in Hamburg 1945“ lautet der Titel einer kleinen Ausstellung in der Bibliothek der Helmut-Schmidt-Universität. Sie beleuchtet, wie sich „Befreite“ und „Befreier“ damals selbst sahen, wie sie gesehen wurden und wie ihre Rolle aus der historischen Distanz vielleicht differenzierter zu bewerten ist – auch die des Gauleiters Kaufmann.

Helmut Stubbe da Luz, Historiker der Uni und verantwortlich für den lesenswerten Katalog zur Ausstellung, hält den Begriff „Befreiung“ für „komplexe, vergangene Vorkommnisse“ für ein großes Wort. „Es kann dazu dienen, jene Komplexität zu reduzieren und einen bilanzierenden Gesamteindruck zu gewinnen. Doch ist auch das Risiko einer Simplifizierung damit verbunden“, schreibt er.

Sönke Neitzel, Experte für Militärgeschichte an der Universität Potsdam, mahnte in einem Vortrag zur Ausstellungseröffnung, man solle „eine Komplexitätsreduzierung aus den 50er und 60er Jahren nicht durch eine neue ersetzen“. Dies sei bei Gedenkreden oft der Fall. Zur Erinnerung gehöre auch die Einbeziehung der Opfer des Bombenkriegs und der Opfer von Flucht und Vertreibung. Und die toten Wehrmachtssoldaten sollten nicht vergessen werden. Dreiviertel aller getöteten Deutschen seien Wehrmachtsangehörige gewesen, so Neitzel.

Marlene Brosche und Maria Palm trafen sich übrigens um die Jahrtausendwende zufällig bei einer Veranstaltung der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands wieder. Beide hatten längst Familien gegründet, ihren Weg gemacht. Sie sind befreundet, sehen sich ab und an und sprechen manchmal auch über das, was war, damals.

Zur Sache

„Befreite und Befreier? Kriegsende in Hamburg 1945“, bis 28. November in der Bibliothek der Universität der Bundeswehr, Holstenhofweg 85, Mo bis Do 9 bis 16 Uhr, Fr bis 14 Uhr. Eintritt frei. Großes Begleitprogramm unter www.ub.hsu-hh.de im Internet.

Marco Heinen