Citypastoral in Kassel

Am Feierabend über Gott reden

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Vor einem Jahr hat Kassel eine Citypastoral bekommen. Kerstin Leitschuh nahm als Referentin ihre Arbeit auf. Sie will Kirche ganz anders erfahrbar machen – sie traf elf Gäste im Kaufhaus und führte Gespräche über Gott. Von Evelyn Schwab



Treffpunkt Kaufhaus – Gespräche in Kassel.


Nicht in einem Bildungshaus oder im Sonntagsgottesdienst, sondern mitten im turbulenten Einkaufsgeschehen sollte ein Projekt Impulse verbreiten. Beim Talk im Kaufhaus – in der Event Lounge im Galeria, wo die Stadt Kassel einen Infopoint eingerichtet hat – traf die Citypastoral-Referentin im vergangenen Jahr gemeinsam mit Kassel Marketing auf elf Gäste aus Kultur, Politik oder Stadtgesellschaft. Kerstin Leitschuh, die vor einem Jahr ihre Arbeit als Referentin aufgenommen hat, ist Politikwissenschaftlerin und Germanistin, keine Theologin. Sie will als Brückenbauerin und Übersetzerin Menschen mit christlicher Spiritualität berühren.
Ende Oktober antwortete etwa Dr. Dirk Pörschmann, Leiter von Kassels Museum für Sepulkralkultur, im Kaufhaus so auf ihre Frage nach Gott: „Ich glaube, dass das Göttliche im Lebendigen steckt.“ In diesen Zeiten zwar schwer zu sehen, doch es lasse sich finden: „In der wahrhaften zwischenmenschlichen Begegnung, wo Menschen aufeinander zugehen.“ Und die Frage nach Sterben und Tod? In Pörschmanns Vorstellung wandelt sich die Seele – „in welcher Form auch immer“ – im Tod in einen anderen Zustand: „Ich glaube nicht, dass sie verlorengeht.“
Gott als Kraft, die Menschen zu Großem inspiriere, diese Worte wählte die SPD-Landtagsabgeordnete Esther Kalveram bei einem Feierabendgespräch. Die ehemalige Buchhändlerin hat sich als Teenager bewusst dafür entschieden, zur evangelischen Kirche gehören zu wollen. Und hat es bis heute nicht bereut. Gottes Kraft spüre sie in großen Kathedralen ebenso wie in besonderen kleinen Momenten.
Auch Miki Lazar, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Kassel, des „documenta forums“ und des Kunstprojekts Lichte Wege, kam zum Feierabendtalk der Citypastoral. Ein Aspekt des Gesprächs mit Kerstin Leitschuh war der Wert des Dialogs. „Reden ist das Wichtigste“, betonte Lazar damals. Sein Vater habe ihn Humanität gelehrt. Das bedeute für ihn „Menschenliebe, Toleranz, Offenheit“. Kerstin Leitschuh befragte ihn ebenso nach seiner Vorstellung von Gott. Lazar antwortete: „Für mich gibt es etwas, das über allem ist, und ich als Mensch bin nicht in der Lage, mir das vorzustellen.“ Zudem verriet Lazar, dass er „nicht als religiöser Mensch in die jüdische Gemeinde“ gehe. Es sei eine Gemeinschaft, in die er hineingeboren wurde. Er helfe aus Verbundenheit mit, so der Inhaber einer Firma für visuelle Kommunikation.
Die Reihe war als Projekt ge-plant und ist im Dezember ausgelaufen. Inzwischen hat sich der eine oder andere bei Kerstin Leitschuh gemeldet, der selbst einmal gerne Gesprächspartner sein möchte, wenn im Kaufhaus über persönliche und gesellschaftliche Werte, über Glaube und Hoffnung, über Gott und die Welt geredet wird. Leitschuh erklärt: „In den nächsten Wochen bespreche ich mit Kassel Marketing, ob und wie wir weitermachen.“  

Alle Gespräche: https://www.citypastoral-kassel.de/citypastoralkassel/index.php

 

DREI FRAGEN AN

Partner finden in einer offenen Stadtgesellschaft
Auch Menschen, die normalerweise nicht in die Kirche gehen, will die Citypastoral Kassel erreichen. Nach einem Jahr Aufbauarbeit glaubt Kerstin Leitschuh, dass sie gerade genau am richtigen Ort ist.

Medien, Kultur und Vernetzung heißen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit. Womit kamen Sie gut voran, was braucht noch weiteren Anschub?
Ich bin auf offene Kooperationspartner in der Stadtgesellschaft getroffen, die mit mir größere oder kleine Projekt machen. Vom Museum für Sepulkralkultur bis zu Kulturschaffenden.
Beispielsweise habe ich am Kasseler Weihnachtmarkt täglich das Türchen des Märchenadventskalenders geöffnet. Dazu hatte ich 23 Vertreter von Einrichtungen oder Initiativen eingeladen, die einen inhaltlichen Bezug zu den Märchen hinter der Adventskalendertür hatten.
In den Märchen geht es häufig um erfüllte und unerfüllte Wünsche, Mut und Selbstvertrauen, das Leben miteinander teilen und sich gegenseitig helfen und ganz oft auch um Gott. Dafür waren meine Gäste wunderbare Beispiele, wie solche Werte in Kassel praktiziert werden: von der Telefonseelsorge bis zum Hospizverein oder der Ukrainehilfe der Malteser. Wichtig ist auch, dass ich als Mensch in Vereinen und Initiativen Kirche sichtbar werden lasse, wo wir sonst wenig sind: Presseclub, Kulturnetz Kassel oder das Werte-Netzwerk.

Hat sich der Dienstsitz in der Neuen Denkerei, einem Co-Working-Space, bewährt?
Auf jeden Fall! Ich bin als kirchliche Mitarbeiterin nicht nur mit meinem Output, also meinen Angeboten außerhalb einer kirchlichen Blase, sondern auch mit meinem täglichen Arbeiten. Ich treffe die anderen Co-Worker an der Kaffeemaschine und wir erzählen uns, an was wir gerade arbeiten. Ich lerne Menschen kennen, die ein Buch über Gott schreiben oder die gerade an Kirche oder Glauben zweifeln und Fragen haben. Und dadurch ergeben sich auch Kooperationen und Synergien. Außerdem macht der Arbeitsplatz ohne Bücherschrank und eigenes Büro auch geistig agil. Besprechungen mache ich in Cafés.

Wie sieht Ihr persönliches Resümee nach einem Jahr aus?
Es gab wunderbare Heilig-Geist-Momente, in denen ich gespürt habe, dass ich mit der Citypastoral gerade genau am richtigen Ort bin: Ich als Mensch und ich für unsere Kirche, vielleicht sogar als Kirche. Es ist wichtig, dass wir Kirche auch ganz anders und ungewohnt erfahrbar machen, auch außerhalb von Kirchen und unverzweckt – direkt da, wo Menschen sind.

 

Von Evelyn Schwab