"Alte Mauern - neues Leben": Im Naturhistorischen Museum Mainz

Andachtsräume für die Natur

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„Alte Mauern – neues Leben“: Um 1272 gründeten Klarissen in Mainz das Kloster Reichklara. Ihr Reichtum führte zu ihrem Untergang. Heute ist am Ort des ehemaligen Klosters das Naturhistorische Museum beheimatet. Die Kapelle soll schon bald wieder viele Besucher anziehen. Von Anja Weiffen



Imposant: Das Dinotherium in der Eingangshalle des Naturhistorischen Museums
in Mainz ist ein Rüsseltier aus Urzeiten. Auch Elefanten gehören zu den Rüsseltieren.


In der Reichklarastraße in Mainz liegt hinter modernen Glasfassaden und alten Sandsteinmauern ein faszinierendes Reich verborgen: das Reich der Tiere und Pflanzen. An diesem Ort lädt das Naturhistorische Museum Interessierte ein, Flora und Fauna aus rund 400 Millionen Jahren Erdgeschichte in ihrer zeitlichen Dimension kennenzulernen. Bereits im Atrium beeindruckt ein riesiges Dinotherium, das aussieht wie ein Urzeit-Elefant. Sein weit geöffnetes Maul scheint die Geschichte seiner Art hinaustrompeten zu wollen. Bekannt ist das Museum vor allem durch seine Quaggas. „Das Naturhistorische Museum in Mainz ist das einzige Museum weltweit, das drei Tiere dieser Art besitzt“, erklärt Laura Faber von der Öffentlichkeitsarbeit des Museums beim Gang durch die Räume. „Quaggas gibt es nicht mehr. Sie sind ausgestorben“, sagt sie. Die präparierten Tiere scheinen mit großen traurigen Augen durch die Schutzwand aus Glas zu schauen. Die Art wurde in freier Wildbahn in den 1860-er Jahren ausgerottet.


Überreste des Klosters sind heute Ausstellungsräume. Demnächst wird hier
die Gutenberg-Bibel zu sehen sein. Foto: Anja Weiffen

Ein Ort des Schauens und Betrachtens war dieses Fleckchen Erde schon vor rund 750 Jahren. Der kontemplative Orden der Klarissen errichtete dort um 1272 einen Konvent. Überreste des Klosters sind in die heutigen Ausstellungsräume des Naturhistorischen Museums integriert. Für ein modernes Museum können sakrale Räume sozusagen Fluch und Segen sein, wie Dr. Bernd Herkner, Direktor des Naturhistorischen Museums, deutlich macht: „Ausstellungen können in Konflikt geraten mit einer dominierenden Architektur.“ Es brauche einen behutsamen Umgang damit. Die Atmosphäre eines ehemals geistlichen Orts lasse sich für ein Museum aber auch nutzen, betont Herkner. „Sakrale Säle mit ihren hohen Gewölben mahnen Eintretende zur Ruhe, sie können Respekt und Ehrfurcht erzeugen. In solchen Räumen können wir Weltsichten inszenieren, zum Beispiel die Sicht auf die Evolution“, erklärt er. Eine Vision des Museumsdirektors: in einem Raum mit sakraler Architektur das Artensterben darzustellen. „Als eine Art Andachtsraum“, erläutert Bernd Herkner.

Gutenberg-Bibel bald im ehemaligen Kloster zu sehen

Bevor jedoch solche Ideen verwirklicht werden können, werden in den Klosterräumen demnächst erst einmal einige Exponate aus dem Gutenberg-Museum zu sehen sein. Aktuell bereitet sich das Naturhistorische Museum mit Umbauarbeiten auf die Ausnahmesituation vor. Weil das Gutenberg-Museum neu gebaut werden soll, wird ein Teil der Exponate übergangsweise im Naturhistorischen Museum ausgestellt. Der Umzug ist für Ende 2023 geplant. 2024 sollen unter anderem die beiden Gutenberg-Bibeln im ehemaligen Kloster Reichklara zu sehen sein.
Die Naturwissenschaft zog im 20. Jahrhundert in das frühere Kloster ein. 1910 eröffnete die Rheinische Naturforschende Gesellschaft in der Klosterkirche ein städtisches Museum. Später dehnte sich die Ausstellungsfläche auf die weiteren Klosterräume aus. Die Gebäude haben sich bereits vor dem Umbau zum naturhistorischen Museum stark verändert. Die Kirche wurde zu militärischen Zwecken entfremdet, wie die Bauforscherin Julia Brandt weiß (siehe „Zur Person“). „Die Gebäude dienten seit 1793 immer wieder als militärisches Lager, weshalb der größte Teil an kirchlicher Ausstattung im 18. Jahrhundert verschwand.“
Aber warum gibt es Reichklara nicht mehr? Seit dem Mittelalter lebten die Klarissen in Reichklara in strenger Klausur. Das Kloster wurde vom Adel gefördert und hatte Grundbesitz, der den Schwes-
tern als stabile wirtschaftliche Grundlage diente, um ein kontemplatives Leben führen zu können. Durch die tridentinischen Reformen verloren Klöster jedoch an Selbstständigkeit, Bischöfe erhielten mehr Befugnisse. In Mainz ließ Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal, im Zuge der Mainzer Aufklärung und Bildungsreform, ab den 1770-er Jahren die wohlhabendsten Klöster auflösen: die Kartause, Altmünster und Reichklara. Ihr Vermögen wurde in den neuen Universitätsfonds überführt.

Von Anja Weiffen

https://www.naturhistorisches-museum.mainz.de

Chronik:

Klaras Erbinnen

1212 schließt sich Klara Franziskus von Assisi an. Klara von Assisi gilt als Gründerin der Klarissen. Strenge Klausur und Armut prägen den Orden. Um 1230 ziehen Klarissen aus Assisi Richtung Prag, einige gründen auf dem Weg in der neuen rheinischen Provinz Klöster, darunter Reichklara in Mainz. Vom Adel gefördert hatte es Grundbesitz. Im Zuge der katholischen Reform wurde in Mainz um 1619 das Kloster Armklara gegründet, das sich mehr dem Armutsideal zuwandte. Über ein Jahrhundert lang existierten beide Klöster in der Stadt. Reichklara wurde 1781 aufgehoben, Armklara 1802. Heute gibt es in Mainz die Klarissen-Kapuzinerinnen.