Neustart - im Jahr und in der Bibel

Anfänge des Lebens

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Der Beginn des Johannesevangeliums ist bekannt: „Im Anfang war das Wort.“ Für Johannes ist das die Geschichte, die vom Anfang Jesu erzählt. Und die Geschichte zeigt: Neuanfänge sind immer möglich – auch für uns.

Foto: kna/Harald Oppitz
Mit der Geburt beginnt ein neues Leben. Dieser Anfang ist wichtig, aber er entscheidet nicht über alles. Neuanfänge sind immer möglich. Foto: kna/Harald Oppitz


Der Anfang ist wichtig. Das sagen alle Studien über die Entwicklung von Kindern. Der Anfang, das erste Jahr, legt die Basis für das ganze Leben. Auch das Wort ist wichtig. Je mehr mit den Kleinen gesprochen wird, desto besser entwickeln sie sich; wenn niemand mit ihnen spricht, verkümmern sie – seelisch und körperlich. 

Auch Jesus war ein Kind. Die Weihnachtsgeschichte des Lukas führt das vor Augen. Die Geburt, das Babybett, die Windeln, die liebevollen Eltern. Den Evangelisten Johannes dagegen interessiert der Geburtstag Jesu wenig, auch nicht seine prägenden Kinderjahre. Warum schreibt er nichts darüber? Wohl nicht, weil er meint, es sei schon alles gesagt. Denn wenn es um die Predigt oder die Wunder Jesu geht, hat er auch keine Angst, Markus, Matthäus und Lukas zu wiederholen.

Nein, Johannes erwähnt die Geburt wohl deshalb nicht, weil Jesus in seiner Sicht seinen Anfang lange vor seiner Geburt genommen hatte. „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“ Jesus, das Wort Gottes, durch das alles wurde, war von Anbeginn dabei – wann immer dieser Anbeginn war. Seine irdische Existenz kam, wenn man es zeitlich betrachten will, viel später. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“

Dass die Geburt nicht der absolute Anfang ist, das gilt nicht nur für Jesus. Jeder von uns trägt in sich seine Vorfahren: Eltern und Großeltern, deren Eigenschaften wir manchmal in uns entdecken. Die Biologie sagt sogar, dass in unseren Genen Jahrtausende stecken, Jahrmillionen. Die Aggressivität der Menschen zum Beispiel, sagen Evolutionsbiologen, gehe auf das Revierverhalten der Affen zurück, die Fremde bekämpften, um der eigenen Familie die Nahrung zu sichern.

Unser Leben ist nicht vorherbestimmt

Das Leben Jesu zeigt aber auch: Es gibt nicht nur den einen Anfang. Für Johannes ist der Uranfang bei Gott wichtig, deshalb beginnt sein Evangelium damit. Und dann springt er hinüber zum neuen Anfang, als Jesus seine bürgerliche Existenz und seine Familie zurücklässt, die Bußtaufe des Johannes empfängt und anschließend selbst Jünger um sich schart. Der entscheidende Neuanfang mitten im Leben.

Ein interessanter Gedanke: So sehr unsere Geburt ein zweifellos wichtiger Anfang war und so sehr unsere Vorfahren diesen Anfang mitbestimmen, so sehr ist es möglich, neue Anfänge zu setzen. Aus eigener Kraft und aus eigenem Willen. So wenig wie Jesus trotz Familientradition Zimmermann in Nazaret bleiben musste und mit nach damaligem Empfinden gesetzten 30 Jahren neu anfing, so wenig ist unser Leben ein Verhängnis, das durch Geburt und Familienherkunft vorherbestimmt ist.

Immer wieder zeigen Menschen genau das: dass sie mitten im Leben neu beginnen und ihrem Leben eine neue, eine bessere Wendung geben; dass sie wie Jesus im gesetzteren Alter zu ihrer eigentlichen Berufung finden.

Da ist der 22-Jährige aus bildungsfernen Verhältnissen. In der Grundschule ist er ein schlechter Schüler, und als pubertierender Jugendlicher hat er das Lernen schon gar nicht im Kopf. Unterstützung hat er keine, und so verlässt er ohne Abschluss die Schule. Zwei Jahre verbummelt er, bis er ins Berufsvorbereitungsjahr vermittelt wird. In der Werkstatt findet er Spaß am Handwerk und einen Draht zum Ausbilder. „Du schaffst einen Realschulabschluss und eine Ausbildung“, sagt der und behält Recht. 

Da ist die 48-jährige Hausfrau, die vier Kinder großgezogen hat und dafür ihren Beruf als Bürofachkraft ruhen ließ. Jetzt sind die Kinder groß und sie besinnt sich auf das, was sie immer schon toll fand: Floristik. Im meinem Alter noch eine Ausbildung?, fragt sie sich. Doch der Blumenladen im Ort sucht gerade jemanden, und nach vier Wochen Praktikum ist man sich einig: Hier findet zusammen, was zusammengehört.

Da ist der Jurist, Mitte 30, erfolgreich in der Rechtsabteilung eines Unternehmens, aber irgendwie unzufrieden mit seinem Leben. Ob es da noch mehr gibt? Gott und Glaube bedeuten ihm immer schon viel und so reift die Frage heran: Ob ich nochmal studiere? Theologie vielleicht, um Priester zu werden?

Da ist die Fünfzigjährige, die ihrem Mann vor 30 Jahren Treue versprochen hat. Liebe war es nie, aber ein Kind war unterwegs. Dass ihr Mann anfängt zu trinken und ab und zu gewalttätig wird, konnte sie damals nicht ahnen. Aber es kam so und endlich nach vielen Tränen, Versprechungen und Rückfällen, ringt sie sich durch: Trennung und Neubeginn.

Da ist der Witwer, Ende 60. Geplant hat er es nicht, und er weiß auch nicht, wie es passieren konnte, aber er hat sich verliebt. Die Auserwählte ist Anfang 50, Polin, und die Kinder sind entsetzt: Die will doch nur an dein Geld. Doch der Vater ist sicher: Jetzt beginnt mein Leben noch einmal neu.

Da ist das siebzigjährige Ehepaar. Das große Haus und der Garten sind ihnen zur Last geworden, das oft nasse norddeutsche Wetter geht ihnen auf die Knochen. Ob sie im sonnigen Süden nochmal neu beginnen? 


Auch Jesus hielten viele für verrückt

Oft werden solche Veränderungen und Neuanfänge als verantwortungslos oder verrückt kritisiert. Aber Achtung: Auch Jesus hielten viele für verrückt, als er mit Mitte 30 den Hammer an die Seite legte, um Wanderprediger zu werden.

Neuanfänge müssen aber nicht immer radikal sein. Der Anfang des Jahres lädt bekanntlich dazu ein, auch kleine Schalter umzulegen. In der Ernährung zum Beispiel, in Bewegung und Sport, im Umgang mit Familie und Freunden. Ein Ehrenamt anfangen; einem Lauftreff beitreten; das Fahrrad aus dem Keller holen; die Überstunden abbauen; die Schokolade vom Speisezettel streichen; sich für die Pilger­reise anmelden; die Seniorenwohnungen anschauen, die gerade gebaut werden. 
Das alles sind Anfänge, die das Leben ein wenig verändern können. Man braucht nur ein einziges Wort: „Jetzt!“

Susanne Haverkamp