Impuls zum Sonntagsevangelium am 04. Februar 2024
Angeklagt: Gott
Foto: imago/Zuma Wire
Warum? Warum ich? Warum unsere Familie? Was habe ich getan, dass Gott mich so straft? Die biblische Erzählung vom leidenden Ijob diskutiert diese alte Frage, die bis heute nichts an Dringlichkeit verloren hat. Und sie protestiert dagegen. So scharf, dass Gott selbst auf der Anklagebank sitzt.
Natürlich ist das Buch kein historischer Bericht, sondern eine Erzählung, eine weisheitliche Lehr-Erzählung, um genau zu sein. 42 Kapitel umfasst sie – mehr als das Markus- und Johannesevangelium zusammen. Was zeigt, dass es über die Frage des Leides viel zu sagen und zu lehren gibt.
Abgesehen von einer kurzen Rahmenhandlung besteht das gesamte Buch aus Gesprächen; wie bei den alten Griechen entwickelte sich Weisheit im Wechsel von Frage und Antwort, Rede und Gegenrede. Die meiste Zeit wechseln sich Ijob und seine Freunde dabei ab.
Eine Woche Trauerschweigen
Und das ist die Ausgangssituation: Als Ijob alles verloren hat, was sein Leben schön machte, und er trauernd allein zu Hause sitzt, verabreden sich drei seiner Freunde – Elifas, Bilad und Zofar –, ihn zu besuchen, „um ihm ihre Teilnahme zu bezeigen und um ihn zu trösten“. (2,11) Dafür sind Freunde schließlich da, sagt man im Allgemeinen.
Typisch für diese Kultur: An den ersten sieben Tagen des Zusammenseins passiert gar nichts. Alle schweigen. Fassungslosigkeit, die man nicht in Worte bringen kann. Aber danach bricht es aus Ijob heraus: „Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin!“ (3,3) Sein Leben, so sagt er in der Lesung dieses Sonntags, ist ohne Hoffnung, ohne Zukunft. „Nie mehr schaut mein Auge Glück.“
Ijobs Freund Elifas hält dagegen. Ja, Gott prüft dich jetzt, sagt er, und er wird schon seine Gründe haben. Aber Gott rettet auch. Warte mal ab, das wird schon wieder. „Du wirst erfahren, dass deine Nachkommen zahlreich sind, deine Sprößlinge wie das Gras der Erde.“ (5,25)
Ijob beschwichtigt das nicht. Er legt nach und klagt Gott an: „Deine Hände haben mich gebildet, mich gemacht; dann hast du dich umgedreht und mich vernichtet.“ (10,8) Und das, „obwohl du weißt, dass ich nicht schuldig bin“ (10,7), schließlich verstand man Leid oft als Strafe Gottes. Ijob ist aber ein guter Mensch und fragt deshalb: „Warum, Gott, verbirgst du dein Angesicht und siehst du mich an als deinen Feind?“ (13,24).
Starke Worte, zu stark für Ijobs fromme Freunde. So über Gott zu reden, ihm Ungerechtigkeit vorzuwerfen, ihn anzuklagen, das sei unrecht, meinen sie. Sünde sogar. „Wie lange willst du noch derlei reden? Beugt Gott etwa das Recht oder beugt der Allmächtige die Gerechtigkeit?“, fragt Bildat (8,2-3). Und Zofar empört sich: „Soll dieser Wortschwall ohne Antwort bleiben und soll der Maulheld recht behalten?“ (11,2) Worauf Ijob zurückschlägt: „Wahrhaftig, ihr seid besondere Leute. Mit euch stirbt die Weisheit aus!“ (12,2) Und so kommt es, dass der Besuch zur Anteilnahme und zum Trost in einen scharfen Streit ausartet. Zwischen Ijob, der sich von Gott ungerecht behandelt fühlt und Rechenschaft fordert – und den Freunden, die meinen, man dürfe mit Gott nicht streiten, man müsste demütig hinnehmen, was Gott in seiner Weisheit und Güte schickt. Statt Unterstützung durch seine Freunde bekommt Ijob Gegenwind, ja Feindschaft, Spott und Hohn. Findet er jedenfalls.
Parallelen zwischen damals und heute
Vielleicht kommt Ihnen das alles ja bekannt vor: Ijobs Aussichts- und Hoffnungslosigkeit zum Beispiel. Wer jemals ein Kind verloren hat, einen Ehepartner, vielleicht schon in Kindertagen den Vater oder die Mutter, wer sein Hab und Gut hat wegschwimmen oder verbrennen sehen, wird sich da einfühlen können: Niemals wieder werde ich mich freuen können, lachen können, feiern können. Nie mehr schaut mein Auge Glück.
Vielleicht kennen Sie auch die anteilnehmenden Besuche von Freunden und Nachbarn, ihre tröstenden Worte: Keine Sorge, wird schon wieder, Zeit heilt alle Wunden!
Oder Sie haben die starken Gefühle erlebt: die Wut, die sich auch gegen Gott richtet. Gegen die Ungerechtigkeit des Lebens. Und gleichzeitig kommt da der Gedanke: Darf ich das? Darf ich andere mit meiner Klage nerven? Darf ich wütend sein auf Gott? Muss ich mein Schicksal nicht annehmen und darauf vertrauen, dass alles seinen Sinn hat?
Besser schimpfen, als frömmeln
Die Gespräche von Ijob und seinen drei Freunden – gegen Ende kommt noch ein vierter hinzu – drehen sich im Kreis; einigen können sie sich nicht. Und doch kommt es zu einer Lösung. Denn in Kapitel 38 hat Gott genug gehört und mischt sich mit seiner ersten Rede ein.
Und man muss sagen: Gott ist ein bisschen ironisch. „Auf, Ijob, ich will dich fragen, du belehre mich!“ Um ihm dann zu zeigen, wie klein und unwissend er ist: „Wo warst du, als ich die Erde gegründet? Sag es, wenn du Bescheid weißt!“ (38,3–4) Absätzelang geht das so mit vorwurfsvollem Unterton weiter bis zum Schlussatz: „Mit dem Allmächtigen will der Tadler rechten? Wer Gott anklagt, der antworte nun!“ (40,2) Da wird Ijob sehr kleinlaut.
„Siehe, ich bin zu gering. Ich lege meine Hand auf meinen Mund!“, sagt er. Und nach einer zweiten Gottesrede knickt er ganz ein: „Ich widerrufe. Ich bereue in Staub und Asche.“ (42,6) Doch wer jetzt denkt, Sieg auf ganzer Linie für Ijobs fromme Freunde, der irrt: „Mein Zorn ist entbrannt gegen euch“, sagt Gott anschließend zu ihnen. „Denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Ijob.“ (42,7)
Was wohl heißen soll: Wesentlich schlimmer, als mit Gott zu streiten, ist ihr frommes Geschwafel. Gott Vorwürfe zu machen, ist allemal besser, als selbstherrlich zu predigen und zu verkünden, jeder habe selbst Schuld am eigenen Unglück. Ich finde diese Lösung großartig: einerseits Ijob in die Schranken zu weisen, als er meint, er könne über Gott richten – und ihn andererseits dafür zu preisen, dass er sich gerade in seinem Unglück mit ihm auseinandersetzt. Denn wer sich mit ihm streitet, nimmt Gott ernst.