Welttag der Armen

Arm in einem reichen Land

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An diesem Sonntag begeht die katholische Kirche den Welttag der Armen. Wer sind eigentlich bei uns in Deutschland die Armen? Welche Probleme drücken sie? Und wie könnte ihnen besser geholfen werden als bisher? Einschätzungen von 
Caritas-Präsident Peter Neher. 

Foto: picture alliance/dpa/Jens Kalaene
Krasser Kontrast: An manchen Orten treffen Armut und 
Reichtum in Deutschland direkt aufeinander. 
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Wer arm ist, stößt ständig an Grenzen. Er kann sich die Brille, die er bräuchte, kaum leisten. Und die Waschmaschine, die streikt, schon gar nicht ersetzen. Er muss fürchten, dass der Geburtstag der Kinder zum Drama wird, weil es zu teuer wäre, ihre Freunde zur Party einzuladen. Mit Kumpels im Café war er ewig nicht. „Armut führt zu Ausgrenzung“, sagt Caritas-Präsident Peter Neher. Wer kein Geld hat, der drohe zu vereinsamen: „Eine traurige Spirale des Verlusts persönlicher Beziehungen beginnt.“

Immer wieder gibt es Schlagzeilen zur Armut im reichen Deutschland, die dramatisch klingen. Armut sei bei uns zwar durchaus ein Thema, sagt Neher. Wir dürften aber nicht so tun, als würde es uns allen insgesamt immer schlechter gehen: „Wenn wir die ganze Gesellschaft als arm definieren, dann übersehen wir genau diejenigen, die wirklich arm sind.“ Ernste Probleme haben vor allem alleinerziehende Frauen, Langzeitarbeitslose, kinderreiche Familien, Kranke und Migranten. Neher findet, es helfe wenig, exakt zu definieren, wo Armut beginnt. Wichtiger sei zu fragen: Warum ist ein Mensch arm? Und: Was bedeutet das für sein Leben?

„Der Hartz-IV-Regelsatz muss angehoben werden“

Oft bedeutet es nicht nur Ausgrenzung, sondern auch: beengtes Wohnen in prekärer Umgebung, schlechte Gesundheit, mangelnde Bildung. Diese Erfahrungen, sagt Neher, führten bei vielen Armen dazu, „dass das Gefühl schwindet, das eigene Leben noch selbst und würdevoll gestalten zu können“. So sehr sich die Probleme der Armen aber ähnelten, so unterschiedlich seien mögliche Lösungen. „Die Politik muss arme Menschen noch individueller und gezielter fördern“, fordert der Caritas-Präsident. „Sie muss im Einzelfall prüfen: Was braucht dieser Mensch, um aus der Armut herauszukommen?“

So banal es klingt: das Wichtigste für Arme sei, dass sie Arbeit bekommen. Weil Arbeit nicht nur Geld bringt, sondern auch Sinn stiftet und Kontakte verschafft. Gerade Langzeitarbeitslose müssten auf dem Arbeitsmarkt Chancen bekommen, die ihren manchmal begrenzten Möglichkeiten entsprechen, sagt Neher. Zudem müssten die Bildungschancen gerechter verteilt sein: „Wir leben nach wie vor in einem Land, in dem Bildung stärker als in fast jedem anderen europäischen Land von der sozialen Herkunft abhängt.“ Gerade Kinder aus bildungsfernen Familien in Brennpunktschulen müssten durch mehr Schulsozialarbeit stärker individuell gefördert werden, so Neher: „Dazu braucht es den politischen Willen, dass in Deutschland kein Kind abgehängt wird. Da ist noch einige Luft nach oben.“

Um würdig leben zu können, sagt der Caritas-Präsident, bräuchten Arme neben all den Aufstiegschancen auch erst mal mehr Geld: „Der Hartz-IV-Regelsatz muss angehoben werden. Er ist heute so auf Kante genäht, dass Teilhabe häufig nicht möglich ist.“ Schon, weil viele Dienstleistungen, etwa von Behörden, heute nur noch online abrufbar seien. Um sie zu nutzen, bräuchten die Menschen Computer, Tablets oder Smartphones, so Neher. Die Kosten dafür seien im Hartz-IV-Regelsatz bisher gar nicht mitgedacht.

Andreas Lesch