Nach Kölner Missbrauchsgutachten

Auch Heße bietet Amtsverzicht an

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Als Reakion auf das Kölner Missbrauchsgutachten hat nun auch der Hamburger Erzbischof Stefan Heße dem Papst seinen Rücktritt angeboten. Heße soll als früherer Personalchef in Köln mehrere Pflichtverletzungen begangen haben. Er betont: "Ich habe mich nie an Vertuschung beteiligt". 

Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße
Noch ist er Erzbischof von Hamburg: Stefan Heße hat dem Papst seinen Rücktritt angeboten. 

Immer wieder forderte er eine konsequente Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Als erste Vertuschungsvorwürfe gegen ihn laut wurden, betonte er, immer hin- und nicht weggeschaut zu haben. Doch nach Veröffentlichungen des Missbrauchsgutachtens für das Erzbistum Köln lasten die Anschuldigungen so stark auf ihm, dass er Konsequenzen ziehen muss: Nach nur sechs Jahren im Amt hat der Hamburger Erzbischof Stefan Heße deshalb dem Papst seinen Rücktritt angeboten und ihn um die sofortige Entbindung von seinen Aufgaben gebeten. Damit ist der 54-Jährige der erste deutsche Diözesanbischof, der persönliche Verantwortung im Missbrauchsskandal übernimmt. Zuvor hatte am Donnerstagmittag auch der Kölner Weihbischof und frühere Generalvikar Dominikus Schwaderlapp (53) seine Bereitschaft zum Amtsverzicht erklärt.

Heße, der aus einer Kölner Bäckerfamilie stammt, galt vielen als Hoffnungsträger. Als er 2015 vom Rhein an die Elbe wechselte, flogen ihm wegen seiner schwungvollen, jugendlichen Art die Sympathien vieler Menschen zu. Obwohl er aus der "Bischofsschmiede" des konservativen Kölner Kardinals Joachim Meisner (1933-2017) stammt, ist er in vielen Fragen liberal gesinnt. So forderte er eine Reform der kirchlichen Morallehre zu Homosexualität und zeigte sich offen für eine Debatte über das Frauenpriestertum.

Im Nordbistum, wo die knapp 400.000 Katholiken nur eine Minderheit in der Bevölkerung bilden und die Kassen seit jeher klamm waren, musste der Rheinländer schmerzhafte Sparmaßnahmen durchsetzen. Seine Devise: "Wir können auch mit weniger Geld eine lebendige Kirche sein." Die Ankündigung, bis zu acht katholische Schulen in Hamburg aufgeben zu wollen, rief 2018 viele Proteste hervor. Heßes Ruf in der Hansestadt litt so sehr, dass er zwischenzeitlich schon einmal laut über einen Amtsverzicht nachdachte. Doch die Wogen glätteten sich wieder. Die Einleitung einer Immobilienreform, mit der sich das Erzbistum auch von liebgewonnen Kirchengebäuden verabschieden will, ging bislang weitgehend geräuschlos über die Bühne.

Als nach Veröffentlichung der Missbrauchsstudie der deutschen Bischöfe 2018 bekannt wurde, dass sich besonders viele Fälle im Hamburger Bistumsteil Mecklenburg ereignet hatten, stieß Heße eine unabhängige Untersuchung durch Forscher der Universität Ulm an. Ergebnisse werden noch in diesem Jahr erwartet.

Mit dem Thema sexueller Missbrauch hatte Heße jedoch schon lange vor seiner Zeit als Erzbischof regelmäßig zu tun. Der promovierte Geistliche arbeitete seit 2003 in der Personalabteilung des Erzbistums Köln. 2006 wurde er Personalchef und ab 2012 Generalvikar, also Verwaltungschef. Als Kardinal Meisner 2014 in den Ruhestand ging, wurde er Übergangsverwalter der wichtigsten deutschen Erzdiözese.

In seiner Kölner Zeit stellte Heße die Präventionsarbeit des Erzbistums gegen sexuellen Missbrauch neu auf. So richtete er eine neue Stabsstelle für dieses Thema ein, legte eine Informationsbroschüre auf und machte Schulungen für Haupt- und Ehrenamtliche verpflichtend.

Das aktuelle Gutachten der Anwaltskanzlei Gercke/Wollschläger hält Heße zugute, dass in seine Amtszeit als Personalchef jenes Jahr 2010 fiel, als Missbrauchsmeldungen «flutartig» im Erzbistum Köln eingingen und die Verantwortungsträger mit «einer neuen Dimension des Problems» konfrontiert wurden. Außerdem habe angesichts zahlreicher rechtlicher Änderungen oft Unklarheit über die Rechtslage geherrscht.

Dennoch hat Heße an manchen Stellen offenbar nicht genau genug hingesehen. Nachdem das Erzbistum Köln nun nach zähem Ringen eine Studie zum Umgang der Bistumsverantwortlichen mit sexuellem Missbrauch veröffentlicht hat, lässt sich Heßes bisherige Unschuldsbeteuerung nicht mehr halten. Konkret attestiert ihm das Gercke-Gutachten elf Pflichtverletzungen in neun Aktenvorgängen. Heße soll es versäumt haben, kirchliche Verfahren zur Aufklärung von Missbrauchsvorwürfen einzuleiten und mehrere Fälle nicht an die Staatsanwaltschaft oder an den Vatikan gemeldet haben.

Nach wachsendem öffentlichen Druck hatte der Erzbischof bereits im November vergangenen Jahres den Vatikan über die Vorwürfe gegen seine Person informiert. Eine Entscheidung über die Zukunft des Erzbischofs wurde dort bislang nicht getroffen.

Mit dem Rücktrittsangebot geht Heße, der auch Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ist, noch einen Schritt weiter. Damit wolle er Schaden vom Amt des Erzbischofs und vom Erzbistum Hamburg abwenden, erklärte der sichtlich bewegte Erzbischof per Video-Live-Übertragung. Zugleich betonte er, stets nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt und sich nie an Vertuschung beteiligt zu haben. Dennoch habe er Fehler gemacht.

Der Papst muss nun laut Kirchenrecht "nach Abwägung aller Umstände" über die Bitte entscheiden. Sollte er sie nicht annehmen, müsste Heße weiter im Amt bleiben.

kna/Michael Althaus