"Alte Mauern, neues Leben": Liebenau-Haueda

Auf den Kirchenbänken Gin genießen

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„Alte Mauern – neues Leben“: Einmal im Monat führt diese Reiseseite zu Stätten, an denen einst kirchliches Leben blühte. Die Kirche St. Albert in Liebenau-Haueda bei Hofgeismar ist jetzt eine Gin-Manufaktur mit Gastronomie und Kulturprogramm. Geblieben sind die Buntfenster. Von Hans-Joachim Stoehr



Kai Seidenhefter (links) und Eike Seidenhefter betreiben in der ehemaligen Kirche St. Albert die gleichnamige Gin-Manufaktur St. Albert’s.


Auf dem Platz vor dem Eingangsportal bewegen Kai und Eike Seidenhefter Tische. Vater und Tochter betreiben im einstigen Kirchenraum eine Gin-Manufaktur. Während beide sich von Montag bis Freitag der Herstellung von Hochprozentigem widmen, sind an Wochenenden Gäste willkommen. In der Nähe führen ein Klettersteig und ein Fernradweg vorbei. Bei schönem Wetter ist der Gastbetrieb nach draußen verlegt. Regnet es, dann ist auch im Innern Platz.
Von außen ist am Gebäude nichts zu erkennen, was auf die Gin-Herstellung verweist. Lediglich eine vergrößerte Darstellung des Logos mit der Wacholder-Drossel, das auch auf den Etiketten verewigt ist, wurde aufgemalt. Mehr aber fallen die metallenen Eingangstüren auf mit Reliefs, unter anderem zum Kirchenpatron Albertus Magnus. Er ist auch Namensgeber der Gin-Manufaktur.
Kai Seidenhefter öffnet eine der beiden Türen. „Uns ist Gastfreundschaft wichtig“, sagt er. Er nennt ein Beispiel: „Wenn einer nur eine kurze Pause machen will bei einem Mineralwasser, ist er genauso willkommen wie alle anderen Gäste. Dass im Getränkeangebot auch ein Gin-Tonic ist, versteht sich.


Blick in den ehemaligen Altarraum mit den Behältern für die Gin-Herstellung.

Im Innenraum geht der Blick zunächst in den Altarraum, wo die silbern glänzenden Behälter für das Destillieren des Gins aufgebaut sind. Aber beim Gang durch das Kirchenschiff fallen neben der sieben Meter langen Theke entlang der linken Wand vor allem die Sitzbänke auf. „Ja, das sind die Kirchenbänke. Allerdings haben wir die Kniebänke weggemacht“, erläutert Seidenhefter. Entfernt sind indes alle Gegenstände, die mit der Feier der Liturgie oder Sakramenten im engeren Sinn zu tun hatten: Altar, Tabernakel, Taufstein oder Beichtstuhl. Das große Altarkreuz ist ebenso entfernt. „Ich bin nicht katholisch. Aber für mich war klar, dass sich das nicht gehört: ein Kreuz über einer Destillerie“, sagt der Gin-Brenner und Gastronom.
Im Kirchenraum fallen die bunten Glasfenster auf, die auf der rechten Seite in der Wand eingelassen sind. Besonders eindrucksvoll ist das große Buntfenster im Altarraum. An der Rückwand ist über der Empore im Dachgiebel ein Rundfenster zu sehen mit einer Darstellung des Kirchenpatrons Albert.
Durch Vandalismus waren Buntfens-ter mit Steinen oder Geschossen zerstört worden. „Meine Oma hätte gesagt: Das gehört sich nicht“, fällt Kai dazu ein. Aber der Gin-Brenner konnte die Fenster wieder in Ordnung bringen. „Ich hab bei meinem Opa noch gelernt, mit Buntglas zu arbeiten“, erklärt der studierte Wirtschaftswissenschaftler, Politologe und Soziologe. Bei einer Kirchglaserei in Berlin erstand er zwei Kartons Bruchglas. Damit restaurierte er die beschädigten Glasflächen.
Aber wie kommt ein Mann, der in der Unternehmensberatung und im Gesundheitswesen tätig war, zu einer Gin-Manufaktur? „Hier im Diemeltal gibt es viel Wacholder-Ruten“, nennt Seidenhefter den Grund. Wacholder ist neben „Botanicals“ – verschiedene Kräuter – und Zitrusfrüchten Grundbestandteil der Gin-Herstellung.
Mit der Gin-Produktion begann Seidenhefter 2016 im nahe gelegenen Ostheim unter dem Namen „Fieldfare“ – zu deutsch „Wacholderdrossel“. Ostheim ist wie Haueda ein Stadtteil von Liebenau. Als 2018 die Kirche in Haueda profaniert wurde und danach zum Verkauf stand, erkundigte er sich bei der zuständigen Pfarrei St. Peter in Hofgeismar. Sein Konzept überzeugte die Verantwortlichen in Pfarrei und Bistum Fulda.
Das Logo mit der Wacholder-Drossel blieb. Aber der Name der Manufaktur änderte sich in St. Albert’s Distillery. Denn der mittelalterliche Universalgelehrte Albertus Magnus war auch Botaniker und Alchimist. „Er hat die Destillation in den Klöstern verbreitet. Allerdings destillierte er nur Öle und Kräuteressenzen“, weiß der Gin-Hersteller. Als Vorläufer für die Produktion von Hochprozentigem kann der Heilige daher nicht herangezogen werden.
Und woher kommen Seidenhefters Kenntnisse für das Destillieren? „Ich komme aus einer Bergarbeiterfamilie. Und da wurde zuhause destilliert.“ Sein Wissen hat er in der Zwischenzeit an seine Tochter Eike weitergegeben. Und nicht nur das. Auch die Manufaktur hat er in die Hände der 21-Jährigen übergeben. „Ich werde bald 60. Da ist es an der Zeit, manches loszulassen.“
Eike Seidenhefter findet es spannend und herausfordernd, einen solchen Betrieb zu leiten. „Es hat einen Reiz, mit vielen Leuten zusammenzukommen, die ,cool‘ sind. Sie kümmert sich ums Geschäft und ihr Vater weiterhin um die Produktion. Aber: „Ich kenne auch die Abläufe in der Produktion und kann das übernehmen, wenn er nicht da ist.“
Aus den zurückliegenden zwei Corona-Jahren weiß Eike Seidenhefter auch um die Unwägbarkeiten und möglichen Rückschläge der Branche. „Durch den Lockdown fielen Abnehmer weg. Unser ganzes bis dahin Erspartes war auf einmal weg.“ Sie selbst und ihr Vater sind daher umso glücklicher, dass der vergangene Sommer endlich „normal“ war.

Internet: st-alberts.com

Von Hans-Joachim Stoehr