Norbert Henke: ein Anstaltsleiter erzählt
Aus dem Alltag im Gefängnis
Foto: Elisabeth Friedgen
Ein gemütliches Haus in Mainz-Hechtsheim. Der Mann, der am großen Esstisch sitzt, wirkt nicht wie ein strenger Gefängnisdirektor im Ruhestand. Auch nicht wie jemand, den sein psychisch durchaus belastender Beruf gebrochen hätte. Nein, Norbert Henke ist vielmehr einer, der die Menschen hinter den Verbrechen erkennen wollte und sie nicht als Versager betrachtet.
1957 wurde er in Mainz-Hechtsheim geboren, wo er auch heute noch lebt. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass sein eigener Vater einst ein Gefangener war. Ursprünglich aus dem Sudetenland, wurde er nach Kriegsende von den Alliierten im berüchtigten Rheinwiesenlager interniert. Von dort floh er und landete auf einem Hechtsheimer Bauernhof – es war der seiner zukünftigen Schwiegereltern. Henke selbst ist also ein Ur-Hechtsheimer. Kindheit und Jugend waren behütet, katholisch geprägt. „Ich war Messdiener und später auch viele Jahre Leiter einer Kinder- und Jugendgruppe“, berichtet Henke.
Andere Menschen mit einem sozial orientierten Blick zu betrachten und ihnen Chancen zu eröffnen, spiegelte sich auch früh in seiner beruflichen Laufbahn wider. Nach dem Abitur studierte er Soziale Arbeit an der Katholischen Hochschule Mainz, arbeitete zwei Jahre im damaligen Landesjugendheim Ingelheim. Er hätte dort bleiben können, wollte aber weiterlernen und studierte Jura. Nach Stationen in den Gefängnissen von Diez, Frankenthal und Koblenz wurde er 2009 Leiter der JVA Rohrbach.
„Glaube, dass Menschen sich verändern“
Als er Ende 2020 in den Ruhestand ging, fasste Norbert Henke den Entschluss, die Welt ein wenig teilhaben zu lassen an dem Leben im Gefängnis. Gefängnisse – Orte, an die wir nicht gern denken, weil sie uns an die Abgründe erinnern, die in uns allen und in unserer Gesellschaft schlummern. Oft nur wenige Kilometer von uns entfernt sitzen gefangene Menschen, die wegen einer Straftat nicht mehr frei über ihr Leben entscheiden können. Manche nur ein paar Monate, viele einige Jahre, manche einen Großteil ihres Lebens. Das sind, stellt Norbert Henke gleich zu Beginn seines Buches klar, eigentlich gar nicht so viele. Er zitiert Zahlen des Statistischen Bundesamts aus 2022, nach denen jeder dritte Insasse nur neun Monate in einem der deutschen Gefängnisse saß. Ein Viertel der Gefangenen verbüßte gerade eine Freiheitsstrafe von zwei bis fünf Jahren, weitere neun Prozent eine Strafe von fünf bis 15 Jahren und lebenslang 4,5 Prozent. Lediglich 602 Menschen waren 2022 in einer „Sicherheitsverwahrung“ untergebracht.
Norbert Henke hat das, gepaart mit seinen beruflichen Erfahrungen, Hoffnung gemacht. Ein Vorbild war ihm der ehemalige Leiter der JVA Diez, Dieter Bandell: „Er hat daran geglaubt, dass Menschen sich verändern“, sagt Henke, „und das muss man auch. Nicht, weil man sonst an unserem Beruf verzweifelt, sondern weil es realistisch ist.“
Sein Buch verwebt spannende Anekdoten und Erfahrungen, Fakten über den JVA-Alltag und traurige Begebenheiten. Lesende bekommen eine Ahnung davon, wie schwerfällig der deutsche Justizapparat bisweilen ist. Etwa, wenn sich der Anstaltsleiter vergeblich um bessere Haftkleidung bemüht. Es gibt Passagen zum Schmunzeln und solche, die betroffen machen. Wie etwa jene zu den Suiziden einiger Gefangener. „Das sind die belastendsten Dinge im Berufsleben. Man fragt sich noch lange: ‚Was hätten wir tun können?‘“ Er sei immer in die Zellen dieser Gefangenen gegangen, wenn so etwas geschehen sei. Zum einen, um der Situation nicht auszuweichen. Aber auch, „weil ich kein Chef sein wollte, der seine Mitarbeiter mit so etwas allein lässt“.
Ehefrau gab ihm in seinem Beruf Halt
Henke hat sich über all die Jahre keine feste Strategie zurechtgelegt, in seinem Beruf resilient zu sein. Halt gab ihm vor allem seine Ehefrau, „mit der ich immer über meinen Beruf sprechen konnte“. Während seiner Amtszeit habe er sich stets für Supervision und Reflexionsmöglichkeiten für seine Mitarbeiter eingesetzt. Aber auch für sich selbst: „Als Führungskraft ein solches Angebot nicht zu nutzen, finde ich falsch.“ Als Henke die JVA verließ, schwang in den Dankesreden mit, dass er sich für die Gefangenen eingesetzt habe. 31 Jahre lang hatte er Einblick in die Welt deutscher Gefängnisse. Und blickt zum Abschluss mit Achtung auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Alltag dort weiter gestalten und bewältigen.