„Gelingende Kommunikation"

Beten in einfacher Sprache

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Jeder Mensch soll verstehen können, was andere ihm mitteilen oder was er selbst wissen möchte. Jeder Mensch soll mitreden können. Das nennt man „Gelingende Kommunikation". Ruth Tuschinski aus Papenburg hat für dieses Modellprojekt auch das Vaterunser in Gebärden übersetzt.


Vaterunser in Gebärden: Ruth Tuschinski zeigt die entsprechende Geste. Foto: Petra Diek-Münchow

„Das ist schon fast eine Generalprobe“, sagt Ruth Tuschinski und stellt sich ans Ambo in der Kapelle des St.-Lukas-Heimes. Die 49-Jährige zeigt eine Version des „Vaterunser“, die Ende August bei einem besonderen Gottesdienst in Papenburg zum Einsatz kommt. 25 verschiedene Gesten stellen dabei bestimmte Begriffe des Gebets dar. Sie streckt drei Finger aus für „Vater“, hebt die flache Hand über den Kopf für „Himmel“ und zeichnet vor der Brust das Kreuzzeichen nach für „geheiligt“.

Nicht für jedes Wort gibt es eine Gebärde, sondern nur für diejenigen, die für das Verständnis des Gebetes wichtig sind. Deshalb spricht Ruth Tuschinski alle Sätze trotzdem noch laut aus. Denn diese Form des „Vaterunser“ ist für alle Menschen gedacht, die Probleme beim Hören, Verstehen und Sprechen haben. Weil sie vielleicht nicht so gut lernen können, aus einem anderen Land stammen oder weil ihr Gehör im Alter nachlässt. „Es ist eine große Zielgruppe, nicht nur aus unseren Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen“, sagt sie.

Ruth Tuschinski arbeitet seit Anfang des Jahres als Beauftragte für die „Gelingende Kommunikation“ im Papenburger St.-Lukas-Heim. Sieben weitere Einrichtungen der Behindertenhilfe in Südwest-Niedersachsen machen bei diesem dreijährigen Modell mit (siehe auch „Zur Sache“). Die Arbeitsgruppe will durch praktische Vorschläge und Hilfsmittel, durch Vorträge und Schulungen sprachliche Barrieren für Menschen mit Handicaps abbauen.

Sprachliche Barrieren sollen abgebaut werden

Und das nicht nur innerhalb der beteiligten Häuser, sondern mehr noch außerhalb: im Rathaus und im Kino, in der Arztpraxis und im Krankenhaus, in der Schule und in der Kirchengemeinde. „Die Haltung der Menschen und der Umgang miteinander sind dabei entscheidend“, sagt Tuschinski. Sie hofft, durch ihre Arbeit sensibilisieren zu können, damit Menschen mit Beeinträchtigungen wie jeder andere auch am öffentlichen Leben teilhaben können. Denn wer nicht richtig sprechen, hören und verstehen kann, für den sind selbst kleine Dinge im Alltag manchmal schwierig: Brötchen einkaufen, ein Restaurant besuchen, in die Apotheke gehen.

Die 49-Jährige hat das bei ihrer Arbeit oft erleben müssen – das Thema ist ihr seit Jahren ein Herzensanliegen. Ein Praktikum im St.-Lukas-Heim nach dem Abitur hatte ihr den beruflichen Weg gewiesen. Nach dem Studium für das Förderschullehramt in Kiel kam sie zurück nach Papenburg und war viele Jahre in der Tagesbildungsstätte St. Lukas tätig. Dort hat sie Mathematik und Deutsch unterrichtet.

Wie man die Kommunikation für Menschen mit Behinderungen verbessern kann, ist daher schon lange ein Thema für sie. Und sie hat dazu konkrete Vorschläge, die die beteiligten Häuser mittlerweile selbstverständlich in ihren Schulen, Werkstätten und Wohnheimen einsetzen. Dazu gehören Gebärden aus dem Wörterbuch der deutschen Gebärdensprache, eine einfache Sprache mit kurzen Sätzen und verständlichen Begriffen sowie Piktogramme für Aufgaben und den Tagesablauf. „Das Zeichen für Frühstück sieht immer gleich aus, egal in welcher Einrichtung man gerade ist“, erklärt Ruth Tuschinski. Das Bild aus der Symbolsammlung von Annette Kitzinger zeigt dafür ein Ei und ein Marmeladenbrot.

Außerdem gibt es elektronische Hilfsmittel wie einfache Tasten mit Sprachausgabe oder den sogenannten „Talker“. Mit diesem Gerät werden Symbole per Tastendruck in Sprache übersetzt. Erst kürzlich hat Ruth Tuschinski erlebt, wie eine junge Frau damit in einer Eisdiele zum ersten Mal selbstständig einen Milchshake bestellen konnte. „Die Bedienung war natürlich zuerst irritiert, aber Svenja hat über das ganze Gesicht gestrahlt, ihren Wunsch mit Hilfe des Talkers wiederholt und er wurde erfüllt.“

Ein Bild-Wegweiser durch das Rathaus

Ruth Tuschinski ist es wichtig, dass die Ergebnisse des Modellprojekts nicht nur in den beteiligten Einrichtungen bleiben, sondern in die Städte und Gemeinden getragen werden. Deshalb möchte sie das Thema vielen Menschen in der Öffentlichkeit vorstellen: in Schulen und Behörden, in Krankenhäusern und Kirchengemeinden, in Kinos und Restaurants. Sie bietet Vorträge und Schulungen an, will dort Methoden und Hilfsmittel erklären. „Ich möchte die Perspektive verändern und dafür sorgen, dass Menschen mit Einschränkungen mehr wahrgenommen und damit ernstgenommen werden.“ Sie wünscht sich außerdem mehr Formulare in Leichter Sprache, einfache Symbole auf einer Speisekarte oder einen Bildwegweiser durch das Rathaus oder auf dem Stadtfest. „Das Leben ist kompliziert geworden, das würde es für viele Leute einfacher machen.“

Ein Schwerpunkt ist dabei auch die Kirche. Dafür arbeitet Tuschinski eng mit dem Bistum Osnabrück und vor Ort mit den Kirchengemeinden zusammen. Ein Gespräch mit dem Pfarrgemeinderat der Pfarreiengemeinschaft St. Antonius/St. Josef steht schon im Kalender. Die Gemeinde St. Josef im Vosseberg setzt bereits Elemente der „Gelingenden Kommunikation“ in bestimmten Gottesdiensten ein. Durch Sandra Schmidt, Pädagogische Leiterin des St.-Lukas-Heimes und sehr engagiert in St. Josef, gibt es sogar eine personelle Verbindung. Mit Ruth Tuschinski und Jutta Jongebloed-Frische hat sie Agapefeiern in einfacher Sprache geplant und Gebete, Texte sowie die jeweiligen Lesungen entsprechend übersetzt. Schon drei Mal gab es eine Wortgottesfeier mit anschließendem Mahl, „die Rückmeldungen waren immer positiv“, sagt Schmidt. Im nächsten Gottesdienst soll auch das „Vaterunser“ gebärdet werden. Ruth Tuschinski zeigt es noch einmal am Ambo.

Petra Diek-Münchow

Am 31. August findet um 18 Uhr ein Gottesdienst in Leichter Sprache in St. Josef in Papenburg statt. Zu dieser Agapefeier sind interessierte Gäste eingeladen.

 

Zur Sache

Acht Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen nehmen an dem Projekt teil. Sie bilden den Verbund „Die Vielfalter – Experten für Teilhabe“ mit 16 000 Klienten und 6600 Mitarbeitern. Dazu zählen das Andreaswerk in Vechta, der Caritas-Verein Altenoythe, das St.-Lukas-Heim in Papenburg, das Christophorus-Werk in Lingen, die Heilpädagogische Hilfe in Bersenbrück, die Lebenshilfe in Nordhorn, die Heilpädagogische Hilfe in Osnabrück und das Vitus-Werk in Meppen. Die „Aktion Mensch“ fördert das Vorhaben drei Jahre. Auch das Christophorus-Werk und das Vitus-Werk setzen die „Gelingende Kommunikation“ dabei in Gottesdienst und Seelsorge um.