Was uns diese Woche bewegt

Calmeyer war kein Hollywood-Held

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Hollywood hat seine Geschichte nicht verfilmt, sonst wäre er vielleicht so bekannt wie Oskar Schindler. Der Osnabrücker Hans Georg Calmeyer bewahrte im Zweiten Weltkrieg über 2900 Juden und Jüdinnen vor der Deportation in ein Todeslager. Er ermöglichte den als jüdisch registrierten Menschen, neue Angaben zu ihrer Religionszugehörigkeit zu machen: Wer einen Taufschein vorlegte oder sich auf einen „arischen“ Vater berief, war vor der Deportation geschützt. Die israelische Gedenkstätte Yad Vashem ehrt ihn als einen „Gerechten unter den Völkern“.

Es konnten aber nicht alle gerettet werden. Die Behörde lehnte auch Anträge ab. Für die Angehörigen der Menschen, die deportiert und getötet wurden, ist Hans Georg Calmeyer kein Held, sondern ein Nazi. Er war aber nie Mitglied der NSDAP, von 1933 bis 1934 hatte er Berufsverbot, weil er kommunistische Mandanten verteidigt hatte. Des Weiteren weigerte er sich damals, seine jüdische Angestellte zu entlassen. 

In Osnabrück erinnert eine Ausstellung im Museumsquartier an das Wirken des Juristen. Sie zeigt, wohin es führt, wenn in einem totalitären Regime Rechtsstaatlichkeit abgeschafft wird und Solidarität unter den Menschen systematisch unterbunden wird. Das Ausstellungsgebäude nennt sich „Die Villa_“. Der Unterstrich im Namen steht für Debatten, die wir über unsere Demokratie führen sollten. Dazu werden die Museumsbesucher aufgefordert. Was würde ich tun - jemandem aus der Bedrängnis helfen oder wegsehen? Darauf hoffen, dass andere aktiv werden? Sich diese Fragen zu stellen, mag so manchen ins Grübeln bringen. 

Bei der Frage, ob Hans Georg Calmeyer ein Menschenretter oder ein Schreibtischtäter war, gibt es keine einfache Antwort. Beides, könnte man sagen, und das wusste er selbst. Für einen Hollywoodfilm, der einen strahlenden Helden braucht, eignet sich sein Leben nicht. 

Andrea Kolhoff