Interview mit Dr. Christian Hennecke

Christus in der Welt bezeugen

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Mehrere tausend Pilgerinnen und Pilger machen sich jedes Jahr auf den Weg, um an den Wallfahrten zum Beispiel im Untereichsfeld teilzunehmen. Doch von Jahr zu Jahr werden es weniger. Im KiZ-Gespräch sagt Dr. Christian Hennecke, Leiter der Hauptabteilung Pastoral des Bistums, inwieweit Wallfahrten auch Teil von lokaler Kirchenentwicklung sein können.


„Wallfahrtsorte sind Kraftquellen des Lebens“, eröffnete
Pater Alex George am Sonntag die Josefswallfahrt in
Renshausen. In „Mariä Geburt“ feierten über 200 Gläubige
den Wallfahrtsgottesdienst zu Ehren des heiligen Josef.
Regens Dr. Martin Marahrens  zeigte in seiner Predigt
auf, wie die Besonnenheit Josefs auch in der heutigen
Gesellschaft ein guter Weg sein kann. (sef)

Sind unsere Wallfahrten eine aussterbende Form der Volksfrömmigkeit?

Das kann man so nicht sagen. Wallfahrten leben von der Energie derer, die sich auf dem Weg machen – und der jeweiligen Situation. Und es kann natürlich sein, dass es – in Umbruchszeiten – auch Sterbeprozesse gibt, und bisherige Formate zu Ende gehen. Aber das erkenne ich so nicht, auch nicht bei unseren Wallfahrten. Denn es kommen auch neue Wallfahrten hinzu, die nicht klassisch sind. Neue Formen der Volksfrömmigkeit, wie sie sich etwa auf Pilgerwegen zwischen Braunschweig und Amelungsborn, oder Loccum und Volkenroda durch unser Bistum schlängeln. Man denke an die Pilgertage mit unserem neuen Bischof – und anderes mehr. Ich sehe nicht ein Aussterben, sondern eine Wandel und eine große Vielfalt, die wir entdecken sollten.  

Vor allem ältere Menschen prägen das Bild der Wallfahrten, sie kommen jedes Jahr wieder und treffen hier Bekannte. Junge Erwachsene, Jugendliche und Kinder sind die Minderheit. Wie kann man es schaffen, Wallfahrten so zu gestalten, dass sie auch für Jüngere eine attraktive Form des Glaubenslebens sein können?  

Volksfrömmigkeit und auch Wallfahrten sind nicht zuerst die Initiative eines Bistums, sondern leben aus dem, was Menschen am Herzen liegt – und sie wachsen oder vergehen durch die geistlichen Resonanzen, die sie in anderen erzeugen. Es geht – wie Sie sagen – auch um Beziehungen und es geht um leidenschaftliche Menschen, die andere mit auf den Weg nehmen.  Wenn das so ist, kann man nicht einfach bestehende Formate ummodellieren – aber es werden sich neue Wallfahrten und Initiativen zeigen, oft durch Anlässe, Personen mit Leidenschaft, die andere mitreißen.

 


Dr. Christian Hennecke. | Foto: Archiv

Wallfahrten haben ihre typischen Lieder, die von den Gläubigen zum Teil auch erwartet werden, haben ihren festen Ablauf, scheinen in der Tradition verhaftet zu sein. Änderungen sind kaum zu spüren. Was muss sich tun, damit Wallfahrten und das Drumherum zukunftsfähig werden?

Wer meint denn genau zu wissen, welche Wallfahrt zukunftsfähig ist? Insgesamt boomen Wallfahrten, mal in Bistümern, mal darüber hinaus. Junge Menschen „pilgern“ nach Taizè, und andere Orte geistlichen Aufbruchs. Wir dürfen gelassen für die Zukunft hoffen: Es wird immer ein Auf- und Ab, ein Werden und Vergehen von klassischen und postmodernen Gestalten der Wallfahrten geben. Was ist etwa mit dem Pfingsttreffen der Lorettobewegung in Österreich? Wie sind die Weltjugendtage zu deuten? Und in unserem Bistum hat die Wallfahrt zum Höherberg neue Kraft und Attraktivität gewonnen. Ganz zu schweigen von der großen Wallfahrt nach Vierzehnheiligen … Es gibt Gebetshäuser und ökumenische Aufbrüche ebenso wie Marienwallfahrten nach Medjugorie. Für unser Bistum wünsche ich mir Menschen mit Esprit, die neue Formen wagen. Aber genauso schätze ich all jene, die ganz klassisch ihre Wallfahrten gestalten.

Welche Rolle spielt dabei die Lokale Kirchenentwicklung? Wallfahrten stehen auf der einen Seite für einen stabilen Ort, auf der anderen Seite im „Unterwegssein“. Wo sehen Sie den Platz der Wallfahrten innerhalb der Lokalen Kirchenentwicklung?

Lokale Kirchenentwicklung meint nicht das Beharren auf stabilen Orten, sondern ist zuerst eine christliche Grundperspektive. Sie will fördern und unterstützen, dass Christinnen und Christen mündig das Evangelium leben, und als Gemeinschaft die Sendung Chris­ti in dieser Welt bezeugen: vor Ort, an vielen Orten: wo sie leben und sind – und unterwegs sind. Und ja, Wallfahrtsorte tragen eine besondere Kraft in sich, haben einen besonderen Geist, den es nur im Kontext dieser oder jener Wallfahrt gibt. Von daher sind Wallfahrten ein wichtiger Aspekt jeder lokalen Kirchenentwicklung, die die heiligen Orte, die Orte der Gotteserfahrung, ernst nehmen sollte und danach fragen kann, wie und in welcher Form Menschen hier die Nähe Gottes erfahren können.

Interview: Edmund Deppe

Am Sonntag, 31. März, beginnt die Wallfahrtssaison in Germershausen zu „Maria in der Wiese“. Der Gottesdienst mit Benediktinerpater Matthias Balz beginnt um 9.30 Uhr.