Das Jahr 2020 für die deutsche Kirche

Corona als Weckruf?

Image

Wer auf 2020 zurückblickt, sieht vor allem das Coronavirus. Doch die Kirche in Deutschland wurde noch von anderen Themen durchgeschüttelt: von den Auswirkungen des Missbrauchsskandals und von den Debatten um den Synodalen Weg, der römische Interventionen provozierte.

In einer Kirche stehen vereinzelt ein paar Gottesdienstteilnehmer. Viele Kirchenbänke sind mit Absperrband verschlossen.
Bald gewohntes Bild? Wegen der Corona-Krise mussten viele Kirchen in diesem Jahr leer bleiben. 

2020 war ein aufreibendes Jahr - auch für den neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, den Limburger Bischof Georg Bätzing: Seit seiner Wahl im März hat Corona das kirchliche Leben stark beeinträchtigt: Ostern und Pfingsten ohne öffentliche Gottesdienste; Vorwürfe, die Kirchen hätten sich zu willig den staatlichen Lockdown-Forderungen gefügt, und sie hätten die Sterbenden allein gelassen - Kritik am Kurs der Bischöfe gab es von Anfang an. Vom zweiten Lockdown blieben zumindest die Gottesdienste - unter Auflagen - verschont.

Corona als Weckruf? Gar als Antrieb für Reformen? Aus Sicht des Osnabrücker Bischofs Franz-Josef Bode wird die Pandemie die Kirche umkrempeln. Die Pastoral werde "weniger klerikerzentriert" und partizipativer werden, sagt er. Telefonseelsorge, Beratungsdienste der Caritas oder die Seelsorge in Kliniken und Altenheimen hätten an Bedeutung gewonnen.

Dass die Pandemie zugleich den Finanzen zusetzt, ist unausweichlich: Zwar konnten die Bistümer für 2019 noch einen Rekordwert von 6,76 Milliarden Euro bei den Kirchensteuereinnahmen vermelden. Doch zeichnet sich bereits in diesem Jahr ein Einbruch von rund zehn Prozent ab.

Einen Rekordwert gab es auch bei den Kirchenaustritten. 272.771 Katholiken verließen die Kirche. Das hängt nicht zuletzt mit dem Missbrauchsskandal zusammen. Dabei schlugen die Bischöfe im September in Fulda einen gordischen Knoten durch: Sie einigten sich auf ein einheitliches System von Zahlungen an Opfer. Es tritt am 1. Januar in Kraft und orientiert sich an der zivilrechtlichen Schmerzensgeldtabelle. Sie sieht für sexuellen Missbrauch Summen bis 50.000 Euro pro Fall vor.

Während die Entschädigungsfrage nun in den Hintergrund rückt, stellt sich die Frage nach der persönlichen Verantwortung von Bischöfen, Generalvikaren oder Personalchefs immer schärfer. Wie heikel das ist, zeigt sich bei den Rechtsgutachten, die das Erzbistum Köln und das Bistum Aachen in Auftrag gegeben hatten: Aachen veröffentlichte die Expertise der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, die früheren Bischöfen und Generalvikaren massives Versagen vorwirft. Köln dagegen stoppte die Veröffentlichung unter Verweis auf "methodische Mängel" und gab eine weitere Untersuchung in Auftrag.

Da wurde viel Porzellan zerschlagen: Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und weitere Verbände fordern die Veröffentlichung der Studie. Zwei Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum traten aus dem Gremium aus. Derweil wurden Vorwürfe gegen den früheren Generalvikar Stefan Heße laut, der heute Hamburger Erzbischof ist. Auch den früheren Erzbischöfen Joseph Höffner und Joachim Meisner wird Fehlverhalten vorgeworfen.

Besonders umstritten: Die Rolle der Frauen 

Auch der kirchliche Reformprozess erlebte 2020 Erschütterungen. Pater Hans Langendörfer SJ (69), einer der Mit-Erfinder des Synodalen Weges, kündigte seinen altersbedingten Rückzug an, und der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff (67), Vordenker einer neuen katholischen Sexualmoral, starb. Vor allem aber brachte die Corona-Pandemie den synodalen Fahrplan durcheinander. Dennoch wurden Positionen abgesteckt: Es wäre schlimm, wenn "so etwas wie eine deutsche Nationalkirche entstehen" würde, warnte etwa Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki. Bätzing bezog die Gegenposition: "Es gibt keine Tendenzen, uns als Nationalkirche abzuspalten."

Besonders umstritten: die Rolle der Frauen. So bekundeten die Bischöfe Bätzing und Bode im Einklang mit Frauenverbänden und Laienvertretern, dass sie die Debatte über die Weihe von Frauen nicht für abgeschlossen halten. Bätzing sieht die Kirche gar an einem Kipppunkt, wenn sich nichts verändert. Woelki dagegen betonte, diese Frage sei vom Papst definitiv entschieden worden.

Auch der Vatikan mischte mit: etwa mit der im Juli veröffentlichten "Instruktion" zu Pfarreireformen. Sie spricht sich dagegen aus, die Leitung von Pfarreien gleichberechtigten Teams aus Priestern und Laien anzuvertrauen. Zahlreiche Bischöfe kritisierten Inhalt und Form des römischen Papiers scharf.

Auch zur Ökumene kam ein Stopp-Signal aus Rom: Die Glaubenskongregation erteilte gegenseitigen Abendmahls- und Eucharistie-Einladungen von Katholiken und Protestanten eine Absage. Die Unterschiede im Eucharistie- und Amtsverständnis seien "noch so gewichtig", dass sie eine Teilnahme an der Feier der je anderen Konfession derzeit ausschlössen.

Auf der Ebene der Politik war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe vom Februar eine Niederlage auch für die Kirche. Sie hatte 2015 das Gesetz unterstützt, mit dem der Bundestag geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid verboten hatte. Karlsruhe kassierte nicht nur diese Regelung, sondern formulierte ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und die Hilfe Dritter dabei. Dass das Urteil dann von Teilen der evangelischen Kirche begrüßt wurde, legte einen Schatten auf die Ökumene.

kna/Christoph Arens