Interview mit Bruder Andreas Murk über die Faszination Kloster
Da geht noch was!
Mit 39 Jahren ist Bruder Andreas Murk im vergangenen Jahr zum neuen Vorsitzenden der Deutschen Ordensobernkonferenz gewählt worden. Im Interview spricht er über die Abbrüche und Aufbrüche, die er in Klöstern erlebt. Er erzählt, warum alternde Gemeinschaften ihn so sehr berühren, was ihm Hoffnung schenkt und wie Orden mit all ihren Problemen Vorbild für die Gesellschaft sein können.
Was haben Sie in Ihren ersten Monaten als Vorsitzender über die Orden in Deutschland gelernt?
Mein Blick ist weiter geworden. Ich habe die Probleme genauer wahrgenommen, die es gibt, aber auch die Hoffnungen.
Fangen wir mit den Problemen an.
Kürzlich war ich in den Niederlanden. Dort haben wir eine Delegation, für die ich als Provinzialminister zuständig bin. 13 Brüder leben dort noch; der jüngste ist 62, alle anderen sind mindestens 80. Nun ist ein Bruder gestorben, und sie haben dort die Tradition, dass sie sich bei der Beerdigung um den Sarg stellen und den Sonnengesang singen. Bei der Beerdigung standen da jetzt noch sieben Brüder. Alle, die noch laufen konnten, waren dabei.
Wie haben Sie das empfunden?
Auf der einen Seite war es sehr bewegend, wie sie den Sonnengesang trotz ihres Alters würdevoll vorgetragen haben. Aber sie haben dann eben auch den Sarg aus der Kirche rausgeschoben. 80-Jährige schieben den 85-jährigen Verstorbenen aus der Kirche raus! Da ist mir bewusst geworden, was das konkret heißt: wenn Menschen in diesem Alter den Alltag ihrer Gemeinschaft gestalten müssen. Da kommen so viele Fragen auf: Wer hält das Haus sauber? Wer kümmert sich um den Garten?Und auch: Wer trägt die finanzielle Verantwortung in so einer Gemeinschaft? Wer übernimmt das Oberenamt?
Schwierig, diese Fragen. Was können Antworten sein?
Es gibt Gemeinschaften, in denen eine externe Ordensperson die Leitung übernommen hat. Und viele Gemeinschaften haben für die Finanzverwaltung professionelle Fachkräfte angestellt, weil sie intern keine mehr finden. Das Problem ist nur: Das beißt sich häufig mit dem Kirchenrecht oder den eigenen Statuten – wenn darin vorgeschrieben ist, dass ein Ordensmitglied diese Aufgaben wahrnehmen muss. Wir haben dieses Problem im Vatikan schon vorgebracht. Nun hoffen wir, dass sich da etwas ändert und dass der Vatikan der Wirklichkeit der Ordensgemeinschaften künftig besser gerecht wird.
Sollte der Vatikan also das Kirchenrecht ändern?
Ja, wir bräuchten rechtliche Strukturen, die es erlauben, beispielsweise einen Finanzverwalter, der keine Ordensperson ist, anstellen zu können – und zwar ohne irgendwelche Scheinlösungen. Also ohne dass der Finanzverwalter einem vielleicht mittlerweile wirklich sehr alten Ordensmitglied Dokumente zur Unterschrift vorlegen muss – obwohl das Ordensmitglied keine finanziellen Fachkenntnisse hat und gar nicht wirklich versteht, worum es geht.
Sie wünschen sich also eine rechtliche Klarheit, die zu den Verhältnissen von heute passt.
Genau. Wir können uns nichts mehr vormachen. Neulich hatten wir in der Ordensobernkonferenz eine Vorstandssitzung, da hat jemand gesagt: „Wir reden hier nicht mehr von Umbrüchen, sondern von Abbrüchen.“
Das klingt hart.
Das stimmt, aber es ist die Realität. Klar haben wir auch Aufbrüche, große und kleine. Aber es gibt eben auch krasse Abbrüche. Es ist wichtig, das wahrzunehmen und in die Entscheidungsetagen in Deutschland und im Vatikan zu transportieren – je nachdem, ob es um Gemeinschaften diözesanen Rechts oder päpstlichen Rechts geht. Und natürlich dürfen auch wir Ordenschristen uns vor diesen Abbrüchen und den Konsequenzen nicht verschließen – so schwer das ist.
Wann rechnen Sie damit, dass der Vatikan das Kirchenrecht entsprechend ändert?
(lacht) Ich glaube, dass das ein Prozess ist. Wir werden es dort immer wieder vorbringen.
Welche Probleme bringen die Abbrüche noch mit sich?
Viele alternde Gemeinschaften erleben es als verletzend, wenn ihr Ordensleben aufs Aussterben reduziert wird. Und das ist ja auch tatsächlich falsch.
Inwiefern?
Nehmen wir an, da gibt es einen Konvent mit nur noch fünf alten Schwestern – klar, da ist das Aussterben möglicherweise absehbar. Aber das heißt ja nicht, dass diese Schwestern nicht jetzt noch einen Dienst erfüllen können und ein Zeugnis geben können. Zum Beispiel dafür, wie man gut miteinander alt wird. Das kann ja auch für eine Gesellschaft relevant sein.
Was kann die Gesellschaft von den Orden konkret lernen?
Das möchte ich gern anhand des Konvents erklären, in dem ich lebe: Wir sind vier Brüder unter 40 und zwei über 80.
Das ist ja noch eine gute Altersmischung.
Ja, das ist eher ungewöhnlich. Und ich glaube: Leute, die uns erleben, sehen, dass wir in dieser Gemeinschaft zweier Generationen gut miteinander zurechtkommen.
Sie sind eine Art Mehrgenerationenhaus, wie es für die Gesellschaft oft als Zukunftsmodell propagiert wird.
Genau. Bei uns hat der Alte seinen Platz, und der Junge hat seinen Platz. Mal gibt der Alte, mal der Junge. Wenn ich andere Konvente besuche, in denen es hauptsächlich ältere Brüder gibt, merke ich: Die wirken viel älter als die gleichaltrigen Brüder in einem gemischten Konvent. Denn die Jungen beleben die Älteren. Sie geben ihnen Hoffnung, dass es irgendwie weitergeht.
Wie geht’s Ihnen, wenn Sie die vielen Abbrüche sehen?
Auf dem Papier berühren sie mich nicht so. Aber wenn ich in einer Gemeinschaft konkret erlebe, was sie bedeuten, dann schon. Wenn ich auf dem Papier lese, Gemeinschaften sterben aus, ist es was anderes, als wenn ich tatsächlich durch ein Kloster laufe, in dem eine aussterbende Gemeinschaft lebt, und wenn sich dort ein 90-jähriger Bruder zehn Minuten lang seinen Habit anzieht und sagt: „Eigentlich bin ich jetzt geschafft.“ Dann muss ich da irgendwann wieder raus und Abstand gewinnen.
Was genau berührt Sie daran so sehr?
So ein Abbruch in einem Orden, das ist für mich wie ein Ehepaar, das keine Kinder hat; ein Firmeninhaber, der keinen Nachfolger findet; ein Bäcker, der seinen Laden zumacht, weil er die Energiekosten nicht mehr zahlen kann. Dieses absehbare Ende – das ist es, das mir nahegeht. Wahrscheinlich auch, weil es in unser allgemeines Lebensgefühl passt: Wir leben nicht in der Nachkriegszeit, die schwer war, aber in der alles im Wachstum war. Sondern wir leben mit der Aussicht auf ein Schrumpfen und Wenigerwerden in ganz vielen Lebensbereichen. Das ist mühsam. Zum Glück lebe ich in meinem normalen Alltag in einer lebendigen Gemeinschaft, habe Aufgaben, bin gefragt. Das hilft und gibt mir Kraft.
Was heißt das konkret: Sie sind da gefragt?
In diesem Jahr fahre ich zum Weltjugendtag und begleite eine Jugendfahrt nach Assisi. Unser Bildungshaus, in dem ich mitarbeite, läuft sehr gut. Und unsere Arbeit wird in den Gemeinden, in denen wir aushelfen, angenommen.
Sie haben also gut zu tun.
Ja, mir wird garantiert nicht langweilig. Und ich merke immer wieder, wie wertvoll das für mich ist: dass ich nah dran bin an den ganz alltäglichen Themen der Menschen mit all ihren Höhen und Tiefen. Kürzlich hatte ich erst einen deprimierenden Sitzungstag – und musste abends dann noch zu einer Frau bei uns aus der Gemeinde, die einen Hirntumor hat. Natürlich ist das hart, natürlich rufe ich da nicht Hurra. Aber ich merke: Dafür lebe ich. Ich bin nicht ins Kloster eingetreten, damit ich in Sitzungen rumsitze. Sondern um nah bei den Menschen zu sein.
Wie ist bei all den Abbrüchen die Stimmung bei Ihren Leitungstreffen der Ordensobernkonferenz?
Die Stimmung ist schon realistisch. Aber gleichzeitig kann und will kein Mensch dauerhaft nur die Abbrüche sehen und beschreiben. Sie werden wahrgenommen, aber manches Problem wird auch verklärt oder vertagt oder ausgeblendet. Und es wird auch mal das Positive betont, das, was an Aufbrüchen da ist.
Trotz der Abbrüche wird Ordensleuten und Klöstern immer noch eine riesige Glaubwürdigkeit und Kompetenz zugesprochen – sogar auch in großen Teilen der säkularen Öffentlichkeit. Wie erklären Sie sich diese Faszination?
Wir haben hier bei uns im Kloster ja ein Bildungshaus – so wie es noch viele katholische Bildungshäuser gibt. Aber der Unterschied ist: Bei uns lebt eine Gemeinschaft. Das ist für Gruppen schon etwas anderes: ob sie nur in irgendein kirchliches Tagungshaus gehen oder ob sie eine Gemeinschaft erleben – auch wenn sie während ihres Aufenthalts vielleicht gar nicht groß mit ihr zu tun haben.
Was bewirkt das?
Bei uns spüren die Leute: Da betet jemand, da lebt jemand miteinander, da übernimmt jemand Verantwortung für das Kloster. Da engagiert sich eine Gemeinschaft für etwas. Es gibt ja einige sehr profilierte Gemeinschaften. Denken Sie nur an die Abtei Plankstetten, die schon vor Jahrzehnten komplett auf ökologischen Landbau umgestellt hat. Oder an die Abtei Münsterschwarzach, die sogar schon eine negative CO2-Bilanz hat. Solche Klöster haben Modellcharakter, weit über den kirchlichen Bereich hinaus.
Andere Gemeinschaften haben ein anderes klares Profil – und setzen sich dezidiert für Frauenrechte oder Flüchtlingsfragen ein.
Genau. Eine Äbtissin, die sich sehr fürs Kirchenasyl engagiert, hat mir neulich erzählt, ihr hätte ein Mann einen Brief geschrieben. Eigentlich habe er aus der Kirche austreten wollen, aber jetzt habe er realisiert, wie sehr sie sich engagiert – und weil es jemanden wie sie gebe, bleibe er doch. Auch so ein Beispiel zeigt mir: Offensichtlich spricht man uns eine Glaubwürdigkeit zu. Das ist schön, aber es ist natürlich auch ein Anspruch.
Sie haben vorhin gesagt, dass Sie in Klöstern auch Aufbrüche sehen. Haben Sie dafür ein paar Beispiele?
Ich will jetzt nicht immer nur meine Gemeinschaft in den Vordergrund stellen, aber die kenne ich natürlich am besten. Wir haben im vergangenen Jahr ein neues Kloster gegründet in Lage, in der Nähe von Osnabrück. Kein Mensch hätte daran gedacht. Da würde ich jetzt nicht sagen: Das ist die Leuchtturm-Lösung für eine perfekte Zukunft. Aber diese Neugründung hat in unserer Gemeinschaft schon auch etwas ausgelöst.
Inwiefern?
Es hat gutgetan zu erleben: Es geht in Orden nicht immer nur um Klosterschließungen. Da geht noch was! Das würde ich durchaus als eine Art Aufbruch sehen. Oder auch das freiwillige Ordensjahr, das die Deutsche Ordensobernkonferenz seit drei Jahren anbietet: Menschen, die sich dafür interessieren, können für eine gewisse Zeit mit in einem Kloster leben. Das wird gut angenommen. Ich denke bei Aufbrüchen aber auch an die Ordensleute beim Synodalen Weg – etwa die Schwestern Philippa Rath und Katharina Kluitmann, die sich zum Sprachrohr für wichtige Anliegen machen.
Wenn ich Ihnen zuhöre, ahne ich: Es kann nicht die eine einzige Strategie geben, um Orden zukunftsfähig zu machen – sondern es gibt viele verschiedene Ansätze, die funktionieren können.
Ehrlich gesagt, mich stört diese Formulierung: Orden zukunftsfähig zu machen.
Warum?
Weil das für mich immer so klingt, als könne man da irgendwas machen und als könnten wir uns unsere Zukunft verdienen. Als wisse man genau, wie man vorgehen muss, damit es viele Berufungen in den Klöstern gibt. Ich glaube, das ist nicht so. In Wahrheit kann man es häufig gar nicht so genau nachvollziehen, warum wo jemand in einen Orden kommt und sich berufen fühlt.
Was also tun?
Da gibt’s keine allgemein gültige Strategie. Wir können uns auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen, aber immer nur begrenzt. Und vielleicht ist es manchmal auch zu spät, sich darauf einzustellen, weil ein Orden den richtigen Augenblick verpasst hat oder weil ein Auftrag erfüllt ist und etwas, was der Orden gemacht hat, jemand anderes viel besser macht. Oder weil es einfach nicht mehr gefragt ist.
Der Gedanke, dass an manch einem Ort eine Aufgabe vielleicht auch erfüllt ist, der hat etwas Tröstliches und Versöhnliches, oder?
Auf jeden Fall, ja. Die Niederländer sprechen gern von der Vollendung von Gemeinschaften. Ich habe Respekt davor, wenn das jemand sagen kann. Das ist eine große geistliche Leistung – einen so schmerzhaften Prozess so zu sehen. Auch wenn ich freilich froh bin, dass ich in Deutschland in einer Gemeinschaft lebe, die sich noch nicht als vollendet betrachtet.
Und wenn Ihr Orden in Deutschland doch mal aussterben sollte?
Ich hoffe nicht, dass es so kommt. Aber selbst wenn es uns in Deutschland mal nicht mehr gäbe, wäre das für mich kein großes Problem. Dann gehe ich nach Amerika, nach Spanien, nach Italien oder nach Uganda. Und lebe dort. Das ist das Schöne an unserer Gemeinschaft: Uns gibt’s auf der ganzen Welt.
Interview: Andreas Lesch