Wie eine schwer verletzte Frau Vergebung gelernt hat

Das Ende des Hasses

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Dem barmherzigen Vater fällt es in Jesu Gleichnis vor lauter Freude über die Rückkehr seines Sohnes leicht, dessen Fehltritte zu verzeihen. Kim Phuc Phan Thi hat ein Weile gebraucht, bis sie vergeben konnte. Es ist ihr gelungen.

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Heute ist Kim Phuc Phan Thi als Friedensbotschafterin der Vereinten Nationen aktiv. Foto: pa

Selbst nach 40 Jahren sind die Wunden nicht verheilt. Immer noch leidet Kim Phuc Phan Thi an ihren Verletzungen. Immer wieder hat sie Schmerzen. Sie hätte allen Grund, zu hassen, die Menschen zu verdammen, die ihr so viel Leid zugefügt haben. Doch Phuc hat sich dagegen entschieden. Sie will verzeihen. 
Der Name der aus Vietnam stammenden Frau dürfte den meisten Menschen unbekannt sein. Doch ihr Bild kennen viele, machte es doch Anfang der 70er Jahre die Brutalität des Vietnamkrieges bekannt. Auf dem weltberühmten, preisgekrönten Schwarz-Weiß-Bild ist Phuc das Mädchen, das schreiend und nackt auf einer Dorfstraße entlangrennt. 
Es ist der 8. Juni 1972, als Phucs Kindheit abrupt endet. Phuc hat ihre Erinnerungen in dem Buch „Ins Herz gebrannt“ niedergeschrieben. Die Schilderungen des Napalmangriffs, ihrer Verletzungen und ihres Leids sind schwer zu ertragen: „Wenn Napalm im Einsatz ist, bricht die Hölle los – und mitten in ihr fand ich mich an diesem Tag wieder.“ Mit 1200 Grad verbrennt Napalm, es frisst sich in die Haut und flackert wieder auf, wenn es mit Wasser oder Luft in Berührung kommt.
Bis zu dem Angriff auf ihr Dorf hatte Phuc eine glückliche Kindheit. Oft spielte sie in der Natur, kletterte auf Bäume, aß die vielen Früchte, die das Klima Vietnams auf dem Hof ihrer Familie wachsen ließ. Doch dann der Angriff. Aus nächster Nähe beobachtet Phuc, wie eine Napalmbombe aufprallt. Sie rennt weg, doch das Napalm hat schon ihre Baumwollkleidung erwischt. Vollständig brennt die Kleidung ab. Phuc rennt und rennt, bricht zusammen, der Fotograf des Bildes bringt sie in ein Krankenhaus. Dort sieht man keine Überlebenschancen für sie und wirft das sterbende Kind ins Leichenhaus. Nach drei Tagen findet ihr Vater sie, andere Ärzte helfen. Phuc überlebt, bis heute schwer gezeichnet von dem Angriff. 


Ging es ihr nicht gut, las sie die Seligpreisungen
In den folgenden Jahrzehnten nutzt das kommunistische Regime das Mädchen immer wieder als Propagandaobjekt, verfügt so willkürlich über Phuc, dass Ausbildung und Beruf kaum möglich sind. 1992 flieht sie mit ihrem Mann nach Kanada. 
Zehn Jahre zuvor konvertierte Phuc in Vietnam zum Christentum. Sie lernte das Unmögliche: Hass und Rachegefühle zu überwinden und zu verzeihen. Wie der barmherzige Vater.
Dieses Evangelium wird oft genutzt, um Kinder auf die Beichte vorzubereiten. „So ist Gott“, lautet die Botschaft. „Gott wird nicht müde, uns zu vergeben“, sagt Papst Franziskus. „Wir werden müde, ihn um Verzeihung zu bitten.“ Dabei kann ich doch als Mensch mit all meinen Fehlern und Sünden zum barmherzigen Vater im Himmel kommen. Doch gleichzeitig hält uns das Gleichnis vor Augen, wie wir auf andere Menschen zugehen sollen. „Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ beten wir im Vaterunser. Darum geht es.
Doch so einfach wie beim barmherzigen Vater, der seinen Sohn heimkehren sieht und sofort zur Versöhnung bereit ist, ist das nicht. Dass Phuc heute als Friedensbotschafterin für die UNO unterwegs ist und für ihre Feinde betet, ist auch bei ihr Ergebnis eines langen Weges. Nicht nur ihre Feinde, sogar sich selbst hasste Phuc in den Jahren in Vietnam. So sehr, dass sie sich immer wieder das Leben nehmen wollte. Doch der Glaube gab ihr Kraft, obwohl sie sich durch ihre Konversion für lange Jahre sogar mit ihrer Familie überwarf. Die Bibel, das Gespräch mit Jesus, der Blick auf ihn und sein Beispiel waren ihre Wege zum Frieden. „Wenn es mir nicht gutging, las ich oft die Seligpreisungen“, schreibt Phuc. Wenn es schwierig wurde, schaute Phuc in die Bibel, betete, fand Halt in einem Psalmwort. 
 

Sie will den umarmen, der die Bombe abwarf
Sie war schon längst eine fromme evangelikale Christin, als sie doch immer noch mit Vergebung und Feindesliebe rang. Also schrieb Phuc eine Liste mit den Menschen, die ihr Böses angetan haben. „Denen vergeben? Niemals.“ Doch in der Bibel fielen ihr immer wieder die Stellen auf, an denen Jesus zur Feindesliebe und zur Vergebung auffordert. „Ich spürte, dass ich mich entscheiden musste: Würde ich mich für mein Leben, den Frieden und die Freude entscheiden, oder wählte ich Kummer, Bitterkeit und Zorn? Stellte ich mein Leben ganz unter Jesu Herrschaft – oder nicht?“ Phuc wählte Jesus und die Vergebung.
„Ich weiß noch immer nicht, wie der Pilot hieß, der 1972 die Napalmbombe auf mein Dorf abwarf, aber ich brauche den Namen nicht, um ihm meine Gedanken mitzuteilen“, schreibt Phuc in ihrem Buch und bietet dem Unbekannten ein Treffen an. „Ich würde Ihnen gerne mit einem freundlichen Lächeln begegnen und Sie lange umarmen. Dann würde ich Ihnen sagen: ‚Ich vergebe Ihnen. Es ist vorbei.‘“

Ulrich Waschki