Impuls zur Sonntagslesung am 04. Mai 2025

Das Happyend der Bibel

Image
 Gemälde „Göttliche Vergeltung“
Nachweis

Foto: wikimedia/Davin Arries/CC-BY-SA-4.0

Caption

Ausschnitt aus dem Gemälde „Göttliche Vergeltung“ des südafrikanischen Künstlers Davin Arries (geboren 1999). Es zeigt die Ereignisse aus dem Buch der Offenbarung, Kapitel 6.

In der Osterzeit stammt die zweite Lesung immer aus der Offenbarung des Johannes. Der Theologe Michael Sommer erklärt, warum das Buch so faszinierend ist, welche Botschaft es für heute hat und wie man im Gottesdienst sinnvoll daraus lesen kann.

Herr Professor Sommer, Sie haben viel über die Offenbarung geforscht. Was fasziniert Sie daran?

Das Interesse geht schon auf meine Schulzeit zurück. Ich habe das Buch gelesen und nichts verstanden. Aber ich habe gleichzeitig gemerkt: Kein Text ist in der Kulturgeschichte so stark aufgenommen worden wie dieser. Egal ob im Kino, in der Musik von Country bis Heavy Metal oder in der Literatur: Überall ist die Offenbarung zu finden, wenn man genau hinsieht und hinhört.

Warum ist das so?

Das liegt erstens sicher am Thema: das Ende der Zeit. Wir wissen ja, dass unser eigenes Leben endlich ist. Aber es gibt eben auch den Gedanken an den Weltuntergang, an das Ende der Geschichte. Was dann passieren wird, darauf waren die Menschen schon immer neugierig. 

Und zweitens?

Liegt es an den Bildern, die dort verwendet werden: die Trompeten, die erschallen, das Blut, das fließt, die seltsamen Lebewesen, die beschrieben werden. Da werden die Lesenden zu Sehenden, da entstehen fantastische Bilder im Kopf, denen wir uns nicht entziehen können.

Aber das Buch wurde sicher nicht als Fantasyroman geschrieben.

Nein, tatsächlich hat das Buch einen ganz anderen Hintergrund. Der Seher Johannes hat es geschrieben, weil sich wahrscheinlich Christusgläubige von ihm abwandten und anderen Bewegungen anschlossen.

Wieso das?

Wir machen uns oft eine ganz falsche Vorstellung vom frühen Christentum. So, als sei das eine einheitliche Lehre, eine einheitliche Kirche gewesen. Tatsächlich gab es aber ganz viele christliche Strömungen und die standen in Konkurrenz zueinander, die hatten in vielen Punkten ganz unterschiedliche Ansichten.

In welchem Punkt zum Beispiel?

Zum Beispiel, was die Anpassung an die damalige Gesellschaft angeht. Der erste Petrusbrief, die Pastoralbriefe, aber auch schon Paulus sagen ganz klar, dass man guter Christ und gleichzeitig guter Bürger sein kann. Dass man der Obrigkeit gehorchen soll. Dass man am kulturellen Leben teilnehmen kann.

Und Johannes sah das anders?

Ganz anders. Für ihn war jede Anpassung an die heidnische Gesellschaft ein Verstoß gegen die Gebote Gottes. Christen sollten kritisch gegenüber der vorherrschenden Kultur sein, und zwar deshalb, weil ihr Heil davon abhängig ist.

Das klingt so, als käme man als Paulus-Christ besser klar.

Genau, und das war die Konkurrenz der verschiedenen Strömungen. Johannes vertrat eine ziemlich radikale Linie, deshalb liefen ihm die Mitglieder weg. Denn in der antiken Gesellschaft nicht mitzumachen, wie Johannes es für notwendig hielt, führte zu Problemen. Die frühen Prozesse gegen Christen fanden ja nicht wegen ihres Glaubens statt, sondern wegen ihrer Haltung dem Staat gegenüber. Den Kaiserkult abzulehnen, war eine politische Provokation.

Die Offenbarung ist also eine Motivation, dabeizubleiben?

Sie ist eine Warnung, eine Drohung und ein Versprechen: Seid stark, beugt euch nicht, dann werdet ihr das Heil finden. Die sieben Sendschreiben an die sieben Gemeinden am Anfang des Buches sprechen genau davon.

Das ist sehr speziell. Warum ist ein solches Buch überhaupt Teil der Bibel?

Drei Gründe: Erstens mündet die ganze Offenbarung am Ende in die schönste Heilsvision der ganzen Bibel, schon das macht sie so wertvoll. Zweitens zeigt dieses Buch, wie vielfältig und teils auch widersprüchlich das frühe Christentum war; das bewahrt vor einem Fundamentalismus, der behauptet, die eine und einzige Wahrheit zu kennen. Und drittens spricht dieses Buch von etwas, das wir gerne ausblenden: von der gewaltsamen Seite Gottes. In der Offenbarung werden Bilder von Krieg, Zerstörung und Vernichtung benutzt, um Gott, um den Messias darzustellen.

Klingt nicht nach dem Gott der Liebe.

Es ist ein wenig komplexer. Natürlich spricht die Johannesoffenbarung auch von einem Gott der Liebe, aber nicht nur. Sie zeigt, dass das Gottesbild in unseren Überlieferungen vielschichtig ist. Wir müssen die Gottesbilder der Bibel als Gotteswort in Menschenwort begreifen. Und diese Ambivalenz zwischen Gewalt und Liebe ist wahrscheinlich etwas, das tief im Menschen verankert ist. 

In der Osterzeit wird jeden Sonntag aus der Offenbarung gelesen. Finden Sie das gut und passend?

Natürlich – schon weil ich das Buch so faszinierend finde. Und in die Osterzeit passt es, weil es am Ende ja ein Hoffnungsbuch ist mit dem schönsten Happyend der Bibel. Was mir aber überhaupt nicht gefällt, ist die Stückelung der Texte.

Warum nicht?

Die sechs Lesungen kommen aus vier verschiedenen Kapiteln, da fehlt der Zusammenhang. Auch, dass innerhalb der Lesungen Verse ausgelassen werden, ist schwierig. So fallen die gewaltsamen Teile komplett weg, die enge Verzahnung mit der Tora und den Propheten geht verloren. Und es erscheint so, als sei alles nur eine Zukunftsutopie. So ist es aber nicht. Es geht um die Gegenwart, etwa um die Frage, wie man sich zur Gesellschaft und ihrer Kultur verhält. Das ist auch heute noch aktuell.

Wie würden Sie es machen?

Am Stück direkt aus der Bibel lesen. Ohne Auslassung unbequemer Verse. Das würde die Leute vielleicht auch motivieren, zu Hause weiterzulesen. Und natürlich muss man darüber predigen.

Susanne Haverkamp

Michael Sommer

Zur Person

Michael Sommer (40) lehrt Exegese und Theologie des Neuen Testaments an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Foto: privat