Ahnenforschung

"Das Leben ist heute leichter"

Frau steht im Hausflur vor einer Ahnentafel

Foto: Andrea Kolhoff

Änne Kettmann hat die Namen ihrer Vorfahren auf einer Ahnentafel zusammengestellt. Foto: Andrea Kolhoff

Die Namen ihrer Vorfahren hat die 92-jährige Änne Kettmann aus dem Osnabrücker Land auf einer Ahnentafel zusammengefasst. Eine wertvolle Quelle waren die Kirchenbücher, sie brachten mehr Durchblick in das Puzzle um Höfe und Hausnamen.

Schon als Kind war sie an vielem interessiert, was die Vorfahren betraf – Änne Dieker, geboren 1932, studierte die Inschriften, die in die Balken der Bauernhäuser geschnitzt waren, und überlegte sich, was aus den Menschen wohl geworden war. Und sie stöberte in dem „Anschreibebuch“, das im Zimmer ihres Großvaters lag, darin waren Notizen in deutscher Schrift zu finden, auch bekannt als Kurrentschrift, und „Jahreszahlen aus einer anderen Welt“. In dem Buch waren Burrich­terdienste von 1792 – 1848 verzeichnet: Es listete auf, welcher Bauer seine Verpflichtungen gegenüber dem Grundherrn erfüllt hatte. So galt es, Kutschfahrten zu machen und Waren zu transportieren, „bis nach Minden!“, sagt Änne Kettmann. Minden ist von der Bauernschaft Besten in Landkreis Osnabrück etwa 130 Kilometer entfernt.

Das Interesse am Leben ihrer Ahnen blieb auch, nachdem Änne 1955 geheiratet hatte, den Nachbarssohn Heinz Kettmann, der nach seiner Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg und vierjähriger Gefangenschaft in Großbritannien nach Besten zurückgekehrt war; als Erwachsene sahen sich die früheren Nachbarskinder wieder. Änne Dieker erbte den Hof ihrer Eltern, am Standort des Hofes Dieker betrieb das Ehepaar Landwirtschaft und zog fünf Kinder groß. Später wurden die Kühe abgeschafft und das Land verpachtet, im Jahr 2015 ist ihr Mann verstorben. Änne Kettmann hat jetzt wieder Zeit, sich mit dem Leben ihrer Vorfahren zu befassen und hat eine Ahnentafel erstellt, die bis in die zehnte Generation zurückgeht.

1977, als die amerikanischen Enkelkinder von zwei Großtanten, die 1860 in die USA ausgewandert waren, das benachbarte Ankum besuchten, wurde Änne Kettmanns Interesse an Ahnenforschung geweckt. 1978 machte sie sich erstmals auf ins Staatsarchiv nach Osnabrück, um nach ihren Vorfahren, den Diekers, zu suchen. Sie wurde nicht fündig, „obwohl ich wusste, dass die Urgroßeltern das Bauernhaus 1831 hier errichtet hatten“. Kein Wunder: Die Diekers waren unter den „Freien“ zu finden, nicht unter den Vollerben, Erbköttern und Markköttern, welche zu Abgaben verpflichtet waren, ihre Namen tauchten also nicht in den staatlichen Unterlagen über Abgabenzahler auf. Solche Informationen musste sie sich im Laufe der Zeit aneignen.

Ältere Frau steht vor einer Haustür
Änne Kettmann hat sich mit den Vorfahren ihrer Familie beschäftigt. Foto: Andrea Kolhoff

  Für Kettmanns Forschung waren besonders die Kirchbücher im Kirchspiel Ankum nützlich, die sie damals, 1978, im Pfarrbüro einsehen konnte. Im Taufbuch von 1723 war die Taufe eines Kindes namens Johann Dieker vermerkt. Auch Hinweise auf weitere Verwandte erhielt sie aus dem Taufregister. Dort sind auch die Taufpaten der Kinder verzeichnet, und so tauchen in der Reihe von Taufpaten immer wieder Diekers auf, mit denselben Vornamen in verschiedenen Kombinationen: Bernd Heinrich Hermann und Heinrich Hermann Bernd: „Das ist wie ein Puzzle“, sagt Änne Kettmann.

Sie wurde bei ihren Recherchen von Mitgliedern der Familienforschungsgruppe Ankum unterstützt, insbesondere von einem „jungen Mann“ namens Jürgen Hausfeld. Der ist inzwischen 56 Jahre alt und befasst sich immer noch mit Ahnenforschung. Anfängern, die mehr über ihre Familie wissen wollen, empfiehlt er, sich einer Gruppe anzuschließen: „Wenn ich so etwas machen will, lasse ich mir erklären, wie es geht.“ Das Internet führe oft in die Irre, ein Treffer bei Google liefere nicht automatisch die richtige Antwort. „Nur weil die Leute gleich heißen, sind das nicht dieselben.“ Wer im Gebiet des früheren Fürstbistums Osnabrück forscht, sollte wissen, dass im nordwestdeutschen Raum der Hausname an eine Hofstelle gekoppelt war. Männer, die auf einen Hof einheirateten, nahmen den Namen des Hofes an. 

Der jüngste Bruder erbte den Hof

Im Kirchspiel Ankum galt das Jüngsten-Erbrecht, der jüngste Sohn erbte den Hof. „Die Brüder hatten mehrere Möglichkeiten“, erklärt Änne Kettmann. Sie konnten ledig bleiben und auf dem Hof weiterarbeiten (gegen Kost und Logis); sie konnten auswandern, in die Niederlande und später in die USA, oder versuchen, auf einen anderen Hof einzuheiraten. Manche zogen auch in ein Heuerhaus, das auf dem Grund und Boden der Hof­stelle lag. In einigen Fällen ermöglichte der alte Bauer einem Sohn einen Neustart und kaufte dem Kind ein Grundstück, das außerhalb der Gemarkung lag, wo keine Abgabenpflicht herrschte; dort wurde ein Gebäude für einen neuen Hof der „Freien“ errichtet. 

Änne Kettmann hat nicht nur zu ihren eigenen Vorfahren, sondern auch zu den Ahnen der Kettmanns geforscht. Dabei überlegte sie, was das wohl für Menschen waren und welche Rolle der Glaube für sie spielte. „Wie haben sie gelebt? Mit welchem Fleiß? Mit welcher Ausdauer? Das hat mich bewegt.“ Sie sei dankbar, dass die Menschen es heutzutage so viel leichter haben. 

Ihre Forschungsergebnisse sind auf einer Ahnentafel aufgelistet, die als Großdruck nun auf der Diele ihres Hauses hängt, das haben ihre Kinder ihr zum 90. Geburtstag geschenkt. Dazu wird es ein Begleitbuch geben. Und mittlerweile forscht sie zu den Namen von der zehnten bis 14. Generation. 

Zur Sache

Eine gute Quelle für Ahnenforschung sind die Kirchenbücher, in katholischen Gegenden mit dem Heiratsregister, Taufregister und Sterberegister. Pfarrer, Küster oder ein Lehrer notierten die Daten. Festgehalten wurde das Datum der Hochzeit, im Sterberegister der Tag der Bestattung (mit dem Vermerk „sepultus“) und im Taufregister der Tag der Taufe („baptizatus“), wann ein Kind geboren wurde („natus“), wurde oft gar nicht vermerkt. Sämtliche Kirchenbücher des Bistums Osnabrück sind – unter Beachtung der gesetzlichen Schutzfristen – auf der Plattform Matricula für die Familienforschung zur Verfügung gestellt. (https://data.matricula-online.eu/de/) Die originalen Kirchenbücher dürfen nicht mehr eingesehen werden.

 

Andrea Kolhoff