Interview mit Bischof Gerhard Feige zur Ökumene

"Das sollte uns Mut machen"

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Gerhard Feige, Bischof von Magdeburg
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Foto: kna/Dominik Wolf

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Sorgt sich um die Ökumene: Gerhard Feige, Bischof von Magdeburg

2017 sind 500 Jahre Reformation groß gefeiert worden. Heute ist die Euphorie von damals verflogen. Stattdessen gibt es in der Ökumene Irritationen und Differenzen in Lebensschutzfragen. Ökumene-Bischof Gerhard Feige nimmt dazu Stellung – und sagt, wo dennoch Einheit zwischen den Konfessionen wächst.

Herr Bischof Feige, wie ist es um die Ökumene in Deutschland aktuell bestellt?

Tatsächlich war das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017 mit allen seinen Veranstaltungen, auch international, für die katholisch-evangelischen Beziehungen von enormer Bedeutung, eine großartige Erfahrung. Davon zeugen diverse Dokumente, und viele zehren noch heute davon. Was schon vorher an Gemeinsamkeiten fast selbstverständlich war, hat dadurch noch einmal einen neuen Anschub bekommen. Andererseits gibt es inzwischen aber auch wieder einzelne Ernüchterungen und gewisse Rekonfessionalisierungstendenzen.

Was meinen Sie damit?

Ein Beispiel dafür ist, wenn einige katholische Vertreter das römisch-katholische Profil wieder stärker betonen oder sagen: „Wenn die Evangelischen uns so nah sind, sollen sie doch konvertieren.“ Doch das sind Vorstellungen, die das Zweite Vatikanische Konzil eigentlich schon in den 1960er Jahren abgelegt hat.

Für Irritationen sorgte jüngst der Vorstoß der Evangelischen Kirche in Deutschland zu liberaleren Abtreibungsregeln im Rahmen der politischen Diskussion um eine Reform des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch. Was bedeutet das auch für die Ökumene?

Das ist durchaus ärgerlich. Zum einen wäre es gesellschaftlich wichtig, dass die Kirchen bei diesem Thema mit einer Stimme sprächen. Zum anderen wollten wir bei unterschiedlichen Sichtweisen versuchen, bevor wir an die Öffentlichkeit treten, uns zu verständigen. Das ist nicht erfolgt. Davon abgesehen ist das alles Wasser auf die Mühlen derjenigen, die von Ökumene nichts halten oder sogar dagegen polemisieren. Pauschal lautet die Bewertung dann: „lebensfeindlich“. Und pauschal wird dann aufgrund solcher Differenzen die ganze Ökumene infrage gestellt. Dabei ist kaum im Blick, dass diesem Vorstoß der EKD auch innerevangelisch von manchen deutlich widersprochen wird.

Aber da ist auch der Ausstieg der EKD aus der Woche für das Leben im vergangenen Frühjahr.

Auch das kam ohne Vorankündigung und wird von vielen, selbst aus den evangelischen Reihen, nicht verstanden und geteilt. Nun aber bleiben erst einmal Scherben zurück und muss nachträglich einiges geklärt werden. Man darf aber nicht vergessen, dass wir in anderen Lebensfragen auch weiter ganz dicht beieinander sind: etwa beim Ausbau von Palliativ- und Hospizangeboten, bei der Suizidprävention, aber auch bei Migration, Integration oder Inklusion.

Welche Rolle spielen die bioethischen Differenzen denn grundsätzlich für die Ökumene?

Lange Zeit galt: Lehre trennt, Ethik verbindet. Das ist aber in den vergangenen Jahren immer fragwürdiger geworden. Abweichende Positionen in einzelnen ethischen Fragen sind jedoch nicht unbedingt als fundamentaler Gegensatz zu verstehen. Das hat jüngst auch die lutherisch-katholische Studie „Gott und die Würde des Menschen“ aufgezeigt. Die entstand ja aufgrund solcher Irritationen. Und darin ist festgehalten, dass wir in der Anthropologie doch auf einem gemeinsamen Fundament stehen. Bei der Anwendung ethischer Prinzipien und der Einschätzung kritischer Grenzfragen komme es jedoch gelegentlich zu einem begrenzten Dissens. Ursache dafür sind die komplexer und komplizierter gewordenen Sachverhalte. Und bei einzelnen ethischen Fragen gehen, ehrlich gesagt, auch die Meinungen innerhalb der katholischen Kirche manchmal auseinander.

Papst Franziskus sagte mit Blick auf das deutsche Reformprojekt Synodaler Weg: „In Deutschland gibt es eine sehr gute evangelische Kirche. Wir brauchen nicht zwei davon.“ Wie ordnen Sie das ein?

Das war sicher keine hilfreiche Bemerkung. Einerseits erweckt diese Aussage den Eindruck, dass zwei, auch im konfessionalistischen Gegeneinander geprägte Kirchen mit ihrem jeweiligen Profil weiterhin getrennt nebeneinander bestehen sollen. Andererseits stellt sich die Frage, was der Papst als spezifisch katholisch ansieht. Und schließlich sind Reformbestrebungen kein Sondergut der evangelischen Kirche, sondern auch eine dringende Notwendigkeit bei uns. Dadurch würde die römisch-katholische Kirche nicht evangelisch, sondern könnte eher wieder katholischer – das heißt umfassender und damit ursprungsgetreuer – werden.

Ökumene spielt auf mehreren Ebenen. Da ist der theologisch-wissenschaftliche Dialog, der Dialog zwischen den Kirchenspitzen und dann die Ökumene an der Basis. Nähern sich diese Ebenen an oder entfremden sie sich zunehmend?

Mir scheint es, dass sich die Ebenen eher entfremden. Ursachen sind sicher die Pluralisierung und Individualisierung in allen Bereichen. Damit verbunden auch die Abnahme religiöser Sozialisierung und konfessioneller Beheimatung. Das Verständnis für irgendwelche theologischen Argumente schwindet immer mehr. Zugleich werden existenzielle und pragmatische Gründe wichtiger als irgendein Bekenntnis. Ökumene ist eher noch ein Anliegen von Weißhaarigen als von Jugendlichen. Viele verstehen ja überhaupt nicht mehr, warum es noch unterschiedliche Kirchen gibt und diese sich nicht einig werden.

Stimmt es, dass Sie Ihre Mitgliedschaft im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen niedergelegt haben? Was war da los?

Ende vergangenen Jahres habe ich darum gebeten, mich von der Mitgliedschaft dort zu entbinden. Und auch von der in der Gemeinsamen Internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche. Dies ist dann auch erfolgt. Die Gründe? Vor allem sind es die zunehmenden Herausforderungen im eigenen Bistum. Dazu kommen aber auch manche Verwerfungen in den internationalen ökumenischen Beziehungen. Außerdem macht der theologische Dialog zurzeit weithin keine bedeutenden Fortschritte, und seine bisherigen Erkenntnisse werden allseits auch kaum rezipiert. Ich resigniere da nicht, sondern bleibe zuversichtlich, engagiere mich ökumenisch aber lieber nur noch auf nationaler und regionaler Ebene.

Die Kirchenspitzen streben als Ziel der Ökumene etwas an, das quasi zum geflügelten Wort wurde: „sichtbare Einheit in versöhnter Verschiedenheit“. Lässt sich damit nicht auch der gegenwärtige Stillstand wohlfeil erklären?

Das Problem besteht darin, dass es keine gemeinsame Vision einer anzustrebenden Einheit gibt. Ja, häufig wird als Ziel eine sichtbare Einheit in versöhnter Verschiedenheit ausgegeben. Wie die aber konkret aussehen könnte, bleibt unklar. Was aber deutlicher wird und bewusster wahrgenommen werden sollte, ist, dass auf dem Weg dahin uns längst mehr verbindet als trennt: ob im gottesdienstlichen und seelsorglichen Bereich, der Vermittlung christlicher Werte oder im Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Einheit ist in vielfältiger Weise zwischen uns bereits vorhanden und selbstverständlich. Wenn wir auch noch keine Lösung in der Abendmahlsfrage haben, sind wir uns doch einiger als gedacht. Und das sollte uns Mut machen, uns nicht mit dem Status quo zufriedenzugeben.

Interview: Karin Wollschläger