John von Düffels "Stundenbuch"

„Das Wenige und das Wesentliche“

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Autor Dueffel
Nachweis

Autor John von Düffel befasst sich mit dem Wesentlichen. Foto: Birte Filmer

John von Düffel denkt in seinem Buch „Das Wenige und das Wesentliche“ übers Leben nach. Sein Schlüsselwort ist Askese, jedoch eine nachchristliche. Über ein inspirierendes Buch, das einem Missverständnis unterliegt. Von Ruth Lehnen


John von Düffel, Autor, Schwimmer, Wanderer


John von Düffel, Autor, Dramaturg und leidenschaftlicher Schwimmer, nimmt die Leser mit auf eine Bergwanderung. Und eine gedankliche Wanderung, bei der es um die großen Fragen geht: Was ist Glück? Wie finde ich Sinn? Wie lebe ich richtig? Das Besondere an dem Buch im gelben Umschlag: Es ist in gebundener Rede verfasst; nicht in gereimten Versen, aber in einem hohen Ton, der gleich aufs Ganze geht:

„Das größte Missverständnis der Askese ist
der Verzicht
In der Askese der Zukunft,
die aus keiner Religion kommt 
und keinem System dient
geht es nicht ums Verzichten. Es geht darum zu erkennen
wie wenig ich brauche“

Die 207 Seiten heißen nicht zufällig Stundenbuch: Stundenbücher gibt es noch heute als Begleiter durch den Tag, die die Zeit mit Gebeten strukturieren. Ihre Hochzeit hatten sie im Spätmittelalter und waren ein Zeichen von Frömmigkeit. Auch John von Düffels Reflektionen begleiten durch den Tag, wandern von der Fünften Stunde (Vor Sonnenaufgang) bis zur Achtzehnten Stunde (Über den Abend). Er bedient sich eines christlichen Formats und transformiert es, denn sein Stundenbuch hat die Frömmigkeit hinter sich gelassen.
Sein zentraler Begriff ist die „Askese der Zukunft“, die er immer wieder von der „Askese der Vergangenheit“ abgrenzt:

„Das Ideal des modernen Asketen 
ist nicht Gottesnähe
Sondern die größtmögliche Nähe 
zum richtigen Leben“.
Und: „Der Asket der Zukunft 
kennt kein Gebet.“

Allein mit sich im Selbstgespräch

Leider hat John von Düffel ein Zerrbild vom christlichen Glauben und speziell von der christlichen Askese – dem Verzicht auf etwas, um etwas Größeres zu erlangen. Wörtlich übersetzt ist Askese die „Übung“, es handelt sich um eine Selbstschulung. Mögen solche Übungen früher „genussfeindlich“ gewesen sein, „der Rückzug von allem Weltlichen“, wie er schreibt, so gibt es heute viele Menschen, die aus religiösen Gründen fasten oder schweigen. Es gibt zahlreiche Bewegungen zum „Weniger“ auch in den christlichen Kirchen, die von Düffel nicht bekannt zu sein scheinen. Was er vorschlägt als Weg zum Glück

„Die eigentliche Kunst der Askese 
Besteht nicht im Überwinden der eigenen Bedürfnisse 
Sondern in dem Gespür für sie“
ist vielfach christliches Allgemeingut.

Das Wasser als zentrales Element

In Rainer Maria Rilkes berühmt gewordenen „Stundenbuch“, das 1905 veröffentlicht wurde, spricht noch ein Beter mit dem „Nachbar Gott“: „Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe?... mit mir verlierst du deinen Sinn ...“ „Das Wenige und das Wesentliche“ dagegen ist ein Selbstgespräch eines Menschen, der ganz allein ist. Der allein in den Bergen wandert, allein klettert und sich abmüht, der Durst hat und sich doch das lockende Wasser versagt, bis endlich, nach stundenlanger Wanderung – die Leserin atmet auf – er doch einmal eintaucht in das Wasser des Flusses.
„Vom Wasser“ hieß von Düffels Erfolgsroman aus dem Jahr 1998. Es pries das Wasser in allen Farben und Tönen, in einer sinnlichen Sprache. 24 Jahre später sehnt sich von Düffel immer noch nach dem Wasser. Er denkt nach über seine Geschichte: Er wollte gegen die Zeit schwimmen, immer der Schnellste sein, im Kampf mit der Uhr. Dann aber fand er im Wasser die Zeitlosigkeit: „Deswegen bin ich Langstreckenschwimmer geworden / Um aus der Zeit zu schwimmen.“ Alle Glücksversprechen seien Zeitversprechen, enthalten die Hoffnung auf ein glücklicheres Danach, bemerkt er: Es soll etwas anderes kommen, „eine andere, freie Zeit“.  Feierabend, Urlaub, Freizeit, Rente. Doch die freie Zeit tendiert dazu, leer zu sein. In von Düffels Buch steht der Mittag für die Leere, den Stillstand. Aus dem suchenden Asketen ist der „Asket ohne Zukunft“ geworden, der Asket ohne alles, auf dem Grund der Erschöpfung.  


Ödipus, Sisyphos und Hiob als Leitgestalten

Von Düffel ist überzeugt, dass die Menschen nicht nur sich selbst in die Erschöpfung treiben, sondern dabei sind, die Erde unbewohnbar zu machen.

„Wir sind wie der Lungenkrebspatient
Der im Mehrbettzimmer Kette raucht
und hofft, dass die anderen aufhören
Wir sind die Unvernunft, der Widersinn“.

So wundert es nicht, dass der Theatermann von Düffel Reflektionen über Ödipus, Sisyphos und Hiob in sein Stundenbuch packt. Sie haben eins gemeinsam, Leiden, Durchhalten, Durchstehen.
Neben den männlichen Leitbildern steht eine Frau, die Studentin Fiona. Sie lehrte den Autor, kein „Held des Verzichts“ sein zu müssen. Sie war eine „Künstlerin des Weglassens“. Wir dürfen uns Fiona als glückliche Asketin vorstellen.

Von Ruth Lehnen

John von Düffel: "Das Wenige und das Wesentliche", ein Stundenbuch, Verlag Dumont, 23 Euro

Ruth Lehnen