Monika Gerhards hilft beim Kreuzbund
Den Teufel im Griff
Foto: Michael Rottmann
Monika Gerhards aus dem oldenburgischen Lohne hat getrunken, um sich in schwierigen Zeiten zu betäuben. Im katholischen Kreuzbund fand sie Weggefährten für ein Leben ohne Sucht. Für sie ist das gelebte Nächstenliebe.
Genau 20 Jahre. So lange lebt sie jetzt abstinent. Monika Gerhards weiß das Datum auswendig. „Es war der 27. Februar.“
Einfach war es nicht, gerade die erste Zeit. „Die vielen kleinen Herausforderungen, an die man nicht denkt, wenn man aus der Klinik kommt und meint, man hat es geschafft.“ Monika Gerhards zählt auf: „Die Alkoholregale im Supermarkt, an denen man vorbeimuss, der nächste Geburtstag, Silvester.“ Und dann noch das, was sie „Suchtgedächtnis“ nennt. Zuerst sei ihr das vorgekommen wie ein kleiner Teufel auf der Schulter. Der in stressigen Situationen den Alkohol ins Spiel brachte und plärrte: „Mich gibt es doch auch noch! Ich kann Dir helfen!“
Warum sie dennoch nie wieder auf die Verlockungen hereinfiel? „Weil ich wusste, in welchen Teufelskreis mich ein Rückfall bringen würde.“ Und weil sie nach mehreren vorangegangenen Entgiftungen bei ihrem letzten Klinikaufenthalt den festen Entschluss gefasst hatte, abstinent zu werden, „das erste Mal in meinem Leben so richtig“.
Langsam, aber stetig hat sich die Flasche in das Leben der Sozialpädagogin geschlichen. Besonders nach ihrer Scheidung. „Ich wollte es mit meinen Töchtern allein schaffen: Job, und Familie. Ich wollte nicht um Hilfe bitten.“ Trotz Stress und Überforderung.
Doch als all das ihre Kräfte überstieg, begann die alleinerziehende Mutter, den Alkohol gezielt zu benutzen. Um Stimmungen zu verändern, um mit Ängsten fertigzuwerden, um Einsamkeit zu überwinden. „Ich spürte, dass ich damit abschalten und Sorgen dämpfen konnte“, sagt sie.
Freunden und Bekannten sei das durchaus aufgefallen, hörte sie später. Aber niemand traute sich, sie auf das Thema anzusprechen. „Zum Schluss habe ich 24 Stunden getrunken“, beschreibt Gerhards den Höhepunkt ihrer Sucht. „Ich musste immer einen gewissen Pegel haben.“ Dafür ist sie sogar nachts aufgestanden, um nach ein, zwei Gläsern weiterschlafen zu können. Überwiegend Wein und Sekt. Morgens startete sie damit in den Tag, „damit ich funktionieren konnte“. Aber auch das mit dem Funktionieren bildete sie sich irgendwann nur noch ein.
Wie sie da wieder herauskommen sollte, davon hatte Monika Gerhards keine Vorstellung. „Eine Zeit lang glaubt man, man kann das allein schaffen. Bis man irgendwann kapiert, dass das nicht geht und dass man Hilfe braucht, um die man bitten und die man auch annehmen kann.“
Ihr Wille allein hätte nicht ausgereicht, da ist sie sich sicher. Aber da war ja noch die Gruppe, der sie sich einige Zeit davor angeschlossen hatte: der Kreuzbund, eine katholische Selbsthilfeorganisation für Suchtkranke und deren Angehörige. Wo die evangelische Christin regelmäßig mit anderen Betroffenen zusammenkam, um in einer Gruppe über Ängste und Sorgen zu sprechen und sich gegenseitig zu stützen. „Ohne diese Hilfe hätte ich das mit der Abstinenz gerade in der ersten Zeit nach der stationären Suchttherapie wohl nicht geschafft“, sagt sie. Auch wenn sie in der Klinik viel gelernt habe. Zum Beispiel, mit ihrem Alleinsein klarzukommen und sich zufrieden zu fühlen.
Dennoch blieben Krisen nicht aus. Monika Gerhards erzählt, wie sie dann immer jemanden aus dem Kreuzbund anrufen konnte. „Es gibt zum Beispiel eine Notfallliste mit Nummern von anderen Betroffenen. Mit denen kann man sprechen, bevor man zur Flasche greift, auch mal nachts oder frühmorgens.“
Rückfälle hatte sie seither nicht. Und sie fasste nach und nach Tritt in ihrem neuen Leben ohne Alkohol, sie besuchte Seminare und entwickelte sich selbst zu einer Expertin, die anderen helfen konnte. „Das ist ja das Prinzip von Selbsthilfe“, erklärt sie. Mittlerweile leitet sie Gruppen mit Betroffenen, führt Gespräche, klärt neue Mitglieder auf. Es geht um Drogen, Alkohol, Tabletten oder auch Spielsucht. Und jetzt klingelt auch ihr Telefon schon mal nachts.
Gerhards nennt diesen Einsatz des Kreuzbunds „gelebte christliche Nächstenliebe“. Dass man sich in einem geschützten Rahmen gegenseitig Vertrauen entgegenbringe und stütze. In einem Rahmen, in dem auch Gott und Glaube nicht außen vor bleiben.
„Der Kreuzbund hat mich starkgemacht“
Monika Gerhards berichtet zum Beispiel von dem Kreuzbund-Gottesdienst, zu der sich Mitglieder in jedem Jahr in der Fastenzeit im Wallfahrtsort Bethen bei Cloppenburg treffen, von den Familienwallfahrten im Juni oder vom Erntedankfest im Herbst. „Der Kreuzbund hat mich starkgemacht“, sagt sie. „Die Erfahrung von Gemeinsamkeit, sich gegenseitig zu helfen und füreinander da zu sein, und auch aus Gebeten oder Gottesdiensten.“
Der Teufel sitze heute nicht mehr auf ihrer Schulter, sagt sie. „Es ist mittlerweile eher eine Art Clown, der mich ab und zu überreden will, leichtsinnig zu werden.“ Zum Beispiel im Sommer im Biergarten. Wenn er flüstere: „Jetzt ein Glas Alster. Ach, wie schön wäre das!“ Oder bei einem Sektempfang: „Das eine Gläschen macht doch nichts aus!“ Bis sie solche Gedanken bewusst vertreibe. Mit inneren Sätzen wie: „Hallo? Was denkst Du da eigentlich gerade?“ Das spüre sie als Stärke: Wenn die Verlockungen des Leichtsinns verschwinden.
„Denn es gibt kein kontrolliertes Trinken“, ist Monika Gerhards überzeugt. „Mit dem einen Glas Sekt könnte ich heute vielleicht umgehen und nicht mehr trinken. Aber bei der nächsten Feier würde ich das wieder denken. Und so weiter.“ Monika Gerhards schüttelt den Kopf. Sie habe mittlerweile schon so viele schwierige Situationen ohne Alkohol verkraftet, „da wüsste ich nicht, was mich bewegen könnte wieder zu trinken“.
Buchtipp für Betroffene
Die Idee zu ihrem Buch kam Monika Gerhards beim Blick in Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit nach ihrer letzten Suchttherapie. Mit persönlichen Erfahrungen und Tipps will sie Menschen helfen, die selbst in dieser Situation stecken.
Monika Gerhards: Zurück auf Los – Zurück ins Leben. Geest Verlag, 91 Seiten, 11 Euro
Michael Rottmann