Wie steht es um die Kirche?

Der Frust sitzt tief

„Wie lange kann ich hier noch mitarbeiten?“ Diese Frage stellen sich manche Hauptamtliche in der Kirche angesichts von Skandalen, Macht- und Richtungskämpfen. Die Kirche muss endlich Antworten finden: zum Missbrauchsskandal, zur Rolle von Frauen und Laien und zur Sexualität.

Dramatische Worte fand kürzlich der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, um die Lage der Kirche zu beschreiben: An einem „point of no return“, an einem Wendepunkt, ohne die Chance umzukehren, befinde sie sich nach dem Missbrauchsskandal. Dessen historische Wirkung für die Kirche verglich Overbeck sogar mit dem Fall der Mauer. „Es gibt Ereignisse, hinter die gibt es kein Zurück mehr“, sagte er. Fragen, die sich auch vorher schon stellten, müssten nun neu beantwortet werden, sagte der Essener Bischof. Gemeint sind der Umgang mit Macht, das Verhältnis von Laien und Klerikern, die Stellung von Frauen und die Bewertung von Sexualität, besonders auch von Homosexualität. Fragen, die längst nicht nur von außen an die Kirche herangetragen werden.

Auch viele, die in der Kirche Verantwortung tragen, stellen sie. Nicht so sehr der Missbrauchsskandal selbst, sondern vor allem der Umgang damit strapaziert die Loyalität vieler haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter. Doch damit nicht genug: Da ist der völlig misslungene Vergleich des Papstes von Abtreibung mit Auftragsmorden. Dann die zwischenzeitliche Ablehnung des Jesuitenpaters Ansgar Wucherpfennig als Rektor der Hochschule St. Georgen wegen vermeintlich zu liberaler Aussagen zur Homosexualität. „Man muss sich schon fragen, wie lange man noch systemerhaltend mitwirken kann“, sagt ein leitender Mitarbeiter einer Bistumsverwaltung. Der Frust sitzt tief. Der Veränderungsdruck ist hoch. So forderten kürzlich sogar die Generaloberinnen deutschsprachiger Frauenorden den Zugang von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern, mithin also auch die Priesterweihe für Frauen. Die hatte Papst Franziskus jüngst noch kategorisch ausgeschlossen.

„Es toben gewaltige Macht- und Richtungskämpfe in der Kirche“, stellt ein deutscher Bischof im vertraulichen Gespräch fest. Zu den Bischöfen, die vielen Forderungen widersprechen, gehört etwa der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer. Man habe den Eindruck, dass kritische Schlussfolgerungen der Missbrauchsstudie zu Fragen von Zölibat und Sexualität vielen recht kämen, „um lange ersehnte kirchenpolitische Ziele zu verfolgen“, sagte Voderholzer in einer Predigt. 

Zweifel an der Nächstenliebe der Kirche

Doch den Kritikern geht es nicht um Politik, sondern um die Glaubwürdigkeit der Kirche. Der Missbrauch zeigt, dass in der Kirche die Schwächsten ausgenutzt und verletzt wurden. Verantwortliche reagierten nicht mit Empathie für die Opfer, sondern stellten den Schutz der Institution über das Wohl von jungen Menschen. Und der Umgang mit Homosexuellen und Frauen lässt viele daran zweifeln, ob die Kirche es selbst wirklich ernst meint mit der Nächstenliebe. 
Vielleicht beruhigen sich die Wogen wieder, auch ohne große Reformen. Weil viele Katholiken sich mit ihrer Kirche arrangiert haben. Für viele andere Gläubige, vor allem jüngere, wird sie dann aber noch mehr an Bedeutung verlieren. „Die Leute laufen uns bereits in Scharen davon“, räumte Essens Generalvikar Klaus Pfeffer jetzt in einem Interview ein. 

Ulrich Waschki