"HörRaum Kirche" in Kassel

Der ganze Markus, neu und gechillt

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Zwei Jahre coronabedingte Verspätung verhalfen dem Kasseler Projekt „HörRaum Kirche“ zum künstlerisch aufgewerteten Veranstaltungsort: Im Begleitprogramm von „Poem of Pearls“ wurde in Sankt Elisabeth das ganze Markus-Evangelium gelesen. Von Evelyn Schwab


 


Abendfüllend, kurzweilig, fromm: HörRaum Kirche

Leid, Furcht und Schrecken: Frauen entdecken das leere Jesus-Grab und fliehen vor Entsetzen, ohne jemandem davon zu erzählen. Das ist der Schluss des Markus-Evangeliums mit seinem offenen Ende. Eine Begegnung des Auferstandenen mit den Jüngern wird in dieser Fassung nicht beschrieben. Zwölf Vorleserinnen und Vorleser haben den ganzen Evangeliumstext in der Kasseler Elisabethkirche vorgetragen, eingeteilt in 80 Abschnitte und angereichert mit gestalteten Unterbrechungen.

Orgelmusik, Tänzerinnen, Malerei

„Ein sehr eindrückliches, bewegendes Ende nach über drei Stunden“, so empfand es Beatrix Ahr vom Mentorat für Lehramtsstudierende der katholischen Theologie an der Uni Kassel. Sie leitete das Event als großes ökumenisches Kooperationsprojekt gemeinsam mit ihrem Kollegen Florian Schmitz von der Kirchlichen Studienbegleitung der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck.
„Sichtlich bewegte Zuhörer und Zuschauer verließen die Kirche“, berichtet Jutta Mersch-Müller nach ihrem Besuch der Veranstaltung. Draußen habe es noch viele Gespräche über das Erlebte gegeben. Im Altarraum, in den Fensterlaibungen sitzend, mitten im Publikum und am Rand stehend, hätten die Theologiestudierenden gelesen. Mersch-Müller: „Orgelmusik setzte mehrfach die Dramatik des Textes um. Mal traten zwei Tänzerinnen auf, im Hintergrund malte eine Studierende an einer Staffelei – ihr Bild bekamen die Besucher zum Ende hin zu sehen.“ Vor allem hätten sich bedeutende Worte des Evangeliums in vielen Sprachen wiederholt: „Von Native Speakern vorgetragen, auch in Gebärdensprache. Das alles verwob sich zu einem ganz besonderen Erleben des heiligen Textes.“
Claudia Mende erlebte den Abend als „ein wirkliches Geschenk“: „Liegend auf dem Rasen war es ein Genuss, zu lauschen.“ Auf die Besucher habe ein wunderbares Zusammenspiel aus „lebendig gewordenem Wort Gottes, Gesang, Orgelspiel und Tanz“ gewartet. Auch Johannes Thüne, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kasseler Institut für Katholische Theologie, verbrachte einen „wunderbaren und wohlkonzipierten Abend“ – durch die Vielfalt der Vorlesestimmen, die verschiedenen künstlerischen Beiträge sowie zwei kurze Pausenzeiten. Die Gesamtdauer von drei Stunden habe man der sehr gelungenen Komposition nicht angemerkt. Ein ganz besonderes Gruppengefühl sei am Ende beim „Sitzkreis aller zuvor im ganzen Kirchenraum verteilten Beteiligten“ zum Ausdruck gekommen.
Rund 40 junge Menschen hatten sich beteiligt Die Unterbrechungen zwischen den gelesenen Evangeliumstexten gestaltete der Ökumenische Chor des Dietrich-Bonhoeffer-Hauses gemeinsam mit weiteren Akteuren als Solisten, Instrumentalisten oder Band – alles größtenteils Theologiestudierende. Stündlich um 19, 20 und 21 Uhr erhielten diejenigen Besucher Zutritt in die Elisabethkirche, die nur einen Teil der Veranstaltung erleben wollten.

Demnächst mit Schülern und Schülerinnen

Geplant war das Event für 2020, fiel aber coronabedingt aus. Beatrix Ahr: „Damals hatten wir einen ,Appetizer‘ produziert: einen 15-minütigen Trailer mit dem zuvor gelesenen Matthäusevangelium im Kurzdurchlauf.“ Die Elisabethkirche als heiliger Raum sowie die persönlichen „heiligen“ Räume der mitwirkenden Studierenden wurden im Bild eingespielt und mit Musik unterlegt. Mit Unterstützung des Offenen Kanals Kassel übernahmen die Studierenden auch Aufnahmen und Schnitt des Materials selbst. Eine Reihe der Studis von damals waren dieses Mal erneut dabei. Im Sommer soll ein Projekt mit Schülern folgen, die das Evangelium im öffentlichen Raum lesen.

Von Evelyn Schwab

 

ZITIERT

„Das bleibt“
 


Saskia Romeis und Johannes Hofmann

Johannes Hofmann, musikalische Leitung, Lehramtsstudent katholische Theologie, Musik und Mathematik: „Eine abendfüllende, kurzweilige Veranstaltung mit meinen Kommiliton:innen des Studiengangs Theologie zu planen, war eine Herausforderung für mich. Als sehr angenehm empfand ich die stets wertschätzende und konstruktive Zusammenarbeit in unserem ökumenischen Planungsteam, wenngleich manche Diskussion kräftezehrend und mühselig war. Unser Ziel verloren wir aber nie aus den Augen. Die Veranstaltung live in der Kirche St. Elisabeth umsetzen zu können, war eine einmalige Erfahrung, die bleibende Eindrücke bei mir hinterlässt. Einige musikalische Gänsehautmomente, hervorgerufen durch Gesang, Tanz sowie Instrumentalspiel, werde ich in besonderer Erinnerung behalten.“

Saskia Romeis, Vorleserin, Lehramtsstudentin katholische Theologie und Deutsch: „Der HörRaum Kirche war für mich ein Erlebnis, welches mich noch Tage später staunen lässt. Darüber, wie viele Menschen für eine Lesung zu begeistern waren. Darüber, wie biblische Geschichten ausgelegt werden können. Darüber, wie es ist, den einzelnen Figuren eine Stimme zu geben, sie lebendig werden zu lassen. Staunen darüber, wie weit ein Hörbuch über das eigentliche Hören hinausreicht und darüber, was Glaube oder zumindest Gefallen an der Heiligen Schrift wirklich bewirken kann. Diese Momente bringen mich zum Lächeln. Danke an alle, die ein Teil davon waren.“


Minh Dang Nguyen und  Rebecca Niehoff

Minh Dang Nguyen, Vorleser, Lehramtsstudent katholische Theologie, Geschichte: „Am schönsten war es für mich, die Reaktionen der Zuschauenden beobachten zu können. Mal ein Lächeln, dann wiederum nachdenkliche Gesichter oder geschlossene Augen. Ob liegend, sitzend oder stehend, die verschiedenen Perspektiven und Blick-Winkel machten diesen Abend aus.“
Rebecca Niehoff, Vorleserin, Erstes Staatsexamen Lehramt katholische Theologie, Deutsch: „Der HörRaum Kirche war für mich ein großes Experiment. Wir wussten ja selbst nicht, was am Ende dabei herauskommt und wie das Gelesene im Zusammenhang mit dem Ort oder der Musik wirkt. Und es war wunderbar. Am schönsten war es für mich, zu sehen, wie die Gruppe der Lesenden, Singenden, Musik-Machenden als Gemeinschaft gewachsen ist. Man spürte richtig, wie wir eine Einheit wurden – das war großartig.“