Impuls zum Sonntagsevangelium am 26.11.2023

Der gekreuzigte König

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Christus mit Goldkrone auf dem Hülfensberg
Nachweis

Foto: Bistum Erfurt, Falko Bornschein

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Einen Christus mit Goldkrone, nicht einen Leidenden mit Dorne zeigt das Wallfahrtsbild auf dem Hülfensberg in Thüringen

Das Evangelium dieses Sonntags erzählt von Jesus als König auf dem Thron. Aber wie passt die
Erzählung zu dem Jesus, der als Verbrecher hingerichtet wurde? Kreuzdarstellungen aus dem Mittelalter bringen beides zusammen.

In einer Seitenkapelle hängt Jesus mit der Königskrone. An einer Stelle, an der sonst Marienfiguren oder andere Heilige zu finden sind, zünden Besucherinnen und Besucher Kerzen an und stellen sie vor dem mit Blühpflanzen umgebenen Gekreuzigten auf. Sie verweilen noch eine Zeit und erinnern ihn an ihre Sorgen. Das Kreuz hängt nicht besonders hoch, so dass man nur ein bisschen aufschauen muss, um Jesus in die Augen zu sehen. In einem bestimmten Winkel sieht man ihn lächeln.

Etwa anderthalb Meter lang ist das Holzkreuz und auf sternenbesetztem rotem Stoff – das wertvollste Stück und Wallfahrtsbild in der Kirche „Christus, der Erlöser“ auf dem Hülfensberg in Thüringen. Der Berg war schon immer ein religiöser Ort. Dicht bewaldet befindet sich auf seinem Gipfel die Erlöserkirche und seit dem 19. Jahrhundert ein Franziskanerkloster. Ein Ort, der Pilgerinnen und Pilger anzieht. Wochentags finden sie dort oben viel Stille zum Beten, sonntags und an Wallfahrtstagen kommen Hunderte zum Gottesdienst. 

Ein König, der hilft, wenn man ihn bittet

Das Kreuz, das dem Berg seinen Namen gab, heißt Hülfenskreuz und steht für die göttliche Hilfe, die Gläubige dort suchen. Der, der hilft, der Gehülfe, ist der Gekreuzigte. In der katholischen Region des Eichsfeldes ist es eine einmalige und ungewöhnliche Christusdarstellung. Denn Jesus sieht ganz und gar nicht wie ein Leidender aus. Erst recht nicht wie ein Sterbender oder ein Toter. 

Nein, er wirkt ziemlich lebendig. Seine weit offenen Augen blicken auf den Betrachter herab. Er hängt nicht am Kreuz, er steht aufrecht, thronend und selbstbewusst. Nicht wie ein mit dem Tod bestrafter Verbrecher. Seine Füße stehen nebeneinander auf einem Podest. Auf dem Kopf trägt er keinen Dornenkranz, sondern eine goldene Königskrone. Sein Gesichtsausdruck wirkt, als spräche er Besucherinnen und Besucher direkt an.

Der Körper auf dem romanischen Holzkreuz stammt aus dem 11. Jahrhundert und könnte ursprünglich zu einem mittelalterlichen Triumphkreuz gehört haben. Dafür spricht der Blick des Gekreuzigten. Denn „das gesenkte Haupt stellt weniger den Moment des Todes dar, sondern schaut auf den Betrachter“, erklärt Falko Bornschein, der als Kunstbeauftragter des Bistums Erfurt für die Erhaltung des Kreuzes zuständig ist. Möglicherweise habe dieses Kreuz einmal sehr hoch gehangen, sagt er. Bevor es im 14. Jahrhundert in die Erlöserkirche auf dem Hülfensberg kam, könnte es sich an einer repräsentativen Stelle im Sankt Martinsstift im nahegelegenen Heiligenstadt befunden haben.

Ein König, der göttliche Macht hat und ausübt

Die mittelalterlichen Triumphkreuze drücken aus, worum es auch im Evangelium dieses Sonntags geht. Jesus vergleicht sich mit einem gerechten König und Weltherrscher. „Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen“, heißt es im Matthäusevangelium. Dann, so erzählt das Evangelium weiter, wird er als König über die Menschen richten. Denen, die Gutes getan haben, wird er sein Reich und das ewige Leben schenken. Denen, die das Gute unterlassen haben, wird er ihre Strafe zukommen lassen.

Jesus als Sieger über den Tod, als Erlöser, der ewiges Leben schenkt, und als Weltrichter am Ende der Zeit – das ist die Botschaft der Triumphkreuze, die sich spätestens im ausgehenden 11. Jahrhundert in vielen bedeutenden Stiftskirchen und Domen in ganz Europa finden lassen. 

Zu ihren wichtigsten Kennzeichen gehören ihre monumentale Größe und ihre erhöhte Position. Oft sind sie wie beispielsweise im Halberstädter Dom oder in der Stiftskirche in Wechselburg in großer Höhe angebracht, meist „auf der zentralen Längsachse an der Schnittstelle zwischen Chor- und Laienbereich“, erklärt Manuela Beer, Kunsthistorikerin und Expertin für sakrale Kunst des Mittelalters. „Die Triumphkreuze beherrschten somit stets weithin sichtbar das gesamte Kircheninnere“, sagt sie.

Triumphkreuze seien kein Bild für Einzelne zur frommen Betrachtung gewesen, erklärt sie, sondern Repräsentationsbilder. In Verbindung mit dem Altarraum, dem Ort der heiligen Messe, und oft über Gräbern im Boden der Kirchen präsentierten sie Jesus als Sieger über den Tod. Das Leiden Jesu blendeten sie demnach nicht aus, aber ihre Botschaft war en das ewige Leben und die Wiederkehr Jesu als Richter über die Welt. Nicht als Angst-, sondern als Hoffnungsbotschaft, dass die irdische Drangsal einmal zu Ende gehen wird. Und dass der eigentlich mächtige Weltenherrscher Christus ist. Erst im 14. Jahrhundert wurde der thronende Jesus zunehmend zum Leidenden.

Ein König, der ungewöhnlich nahbar ist

Dass Jesus eine Königskrone trägt, kommt bei Triumphkreuzen nicht häufig vor, ist aber auch nicht ungewöhnlich. Ob der Gehülfe in der Erlöserkirche im Mittelalter eine Krone trug, ist heute nicht mehr nachweisbar. Zumindest im 19. Jahrhundert muss er zwischenzeitlich eine Dornenkrone getragen haben. Aus dieser Zeit stammen auch die Arme und Beine des Gekreuzigten, erklärt Kunsthistoriker Bornschein. Sein heutiges Aussehen, vor allem die farbliche Gestaltung, geht auf eine Restaurierung Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Damals habe man sich jedoch an mittelalterlichen Kreuzen orientiert. 

Dass die romanische Substanz „nur noch fragmentarisch erhalten ist“, macht das Kreuz für Bornschein nicht weniger bedeutsam. Es sei eines der ausdrucksvollsten Kreuze im Bistum Erfurt, sagt er. Sein besonderer Wert besteht für ihn darin, dass es jahrhundertelang als Gnadenbild verehrt wurde. Und dass auch heutzutage Tausende Menschen auf den Berg pilgern und dem Gehülfen ihre Anliegen vortragen. Jesus, der hier königlich und nahbar zugleich ist. 

Barbara Dreiling