Notfallseelsorger über Flutkatastrophe

"Der Glaube ist ein Halteseil"

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Vielen Menschen hat die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands fast alles genommen. Ein Notfallseelsorger erzählt, was ihnen in ihrem Leid hilft – und was Gedenken und Erinnerung bewirken können.

Ein Kreuz ist von braunem Wasser überschwemmt worden und nur noch zur Hälfte zu sehen
Überrollt von der Flutkatastrophe: Ein Grabkreuz ragt auf dem Städtischen Friedhof in Erftstadt aus dem Wasser.

Von Andreas Lesch

Am meisten hat Marco Limberger dieser Mann bewegt. Er hatte die Nacht im Haus gesessen und gefürchtet, er würde sterben in der Flut. Als er am Morgen sein Haus verließ, sah er im Vorgarten eine junge Frau, ertrunken, tot. Limberger hat dem Mann zugehört. Er konnte sein Leid nicht aus der Welt schaffen. Er konnte es nur mit ihm aushalten. 

Limberger gehört zum Team der ökumenischen Notfallseelsorge Bonn/Rhein-Sieg; er kümmert sich um Menschen, die die Flut im Westen Deutschlands Mitte Juli heimgesucht hat. Er hat mit Rettungssanitätern gesprochen, die mit einem Patienten im Wasser stecken blieben und von Anwohnern gerettet wurden; mit Baggerfahrern, die Leichenteile in Trümmerhaufen fanden; mit einem Paar, das 800 Dias von Familienurlauben in den Wassermassen verlor, einen geliebten Teil seines Lebens.

Anfangs, als die Flut kam, hatten die Leute Angst: Überleben wir das? Dann, als das Wasser ging, räumten sie auf, putzten, schleppten Schlamm. Irgendwann kamen die Fragen: Wie geht’s weiter? Wer bezahlt das alles? Kann ich mein Haus wieder aufbauen? Und will ich das überhaupt, an diesem Ort? Viele Menschen fühlten sich verlassen, berichtet Limberger. Sie seien zornig. „Sie suchen jemanden, auf den sie sauer sein können. Es gibt aber ja eigentlich keinen, dem man die Schuld geben kann.“ Weil die Katastrophe so viele Gründe hat.

Es hilft den Menschen, wenn Seelsorger sich die Fragen und den Zorn anhören und nicht kleinreden. Limberger sagt: „Das sind normale Reaktionen auf ein unnormales Ereignis.“ Wenn sie Schlafstörungen beklagen, der Appetit fehlt, die Gedanken kreisen – alles erst mal eine natürliche Reaktion. Limberger ermuntert die Menschen, auch mal Pause zu machen. In einem Dorf haben die Leute kürzlich Bier und Getränke, einen Grill und Live-Musik organisiert und sich zusammen einen schönen Abend gemacht. Um kurz das Elend zu vergessen.

Und der Glaube? Wie hilft der? Notfallseelsorger Limberger berichtet, in vielen Orten gebe es Stellen der Erinnerung; etwa selbst gezimmerte Holzkreuze an einer Bushaltestelle, mit Kerzen davor. In Kirchen sieht er Menschen, die beten. Ein älterer Mann hat ihm erzählt, dass er mit Gott schimpft, warum das passieren konnte. Limberger sagt: „Der Glaube ist so ein Halteseil, an dem ich mich in diesem Chaos festhalten kann.“

Der Gottesdienst für die Opfer – ein Zeichen der Solidarität

Dieser Halt ist jetzt wichtig. Deshalb findet Limberger es auch gut, dass die christlichen Kirchen am 28. August im Aachener Dom einen ökumenischen Gottesdienst für die Flutopfer feiern. „Ein Zeichen der Solidarität“ sei das, sagt er. Es zeige den Menschen: „Ihr seid nicht vergessen.“ 

Limberger regt an, den Gottesdienst live in den betroffenen Orten zu übertragen, im Gemeindehaus oder auf dem Dorfplatz. Wenn die Menschen ihn gemeinsam schauten, glaubt er, dann erlebten sie ein Stück Zusammenhalt. Sie spürten, dass sie nicht allein sind mit ihrem Leid. Sie könnten sich erinnern an die Schrecken der vergangenen Wochen, aber auch an das Gute. Und sie könnten sich getragen fühlen, von ihrer Gemeinschaft – und von Gott.