Der Mainzer Arzt Martin Weber setzt sich für Hospizarbeit und Palliativmedizin ein. Ein Gespräch über Leben und Sterben.
Der Pionier
Martin Weber ist Arzt. Der Arzt soll heilen. Aber es kommt eine Zeit, da muss er Sterblichkeit aushalten. Die der Patienten und seine eigene. Wie ein Pionier der Hospizarbeit und Palliativmedizin übers Sterben und die Auferstehung denkt. Von Ruth Lehnen
Martin Weber hat in seinem Leben oft an Krankenbetten gestanden, an denen es eine Wahrheit zu sagen gab: Der Tod ist nah. So etwas auszusprechen, denken viele, sei fast unmöglich. Aber Weber weiß: „Die Menschen sind dankbar, wenn man ehrlich zu ihnen ist.“ Und wenn man dann nicht wegläuft, hat man als Arzt schon vieles richtig gemacht.
Professor Martin Weber aus Mainz gehört zu den Pionieren der Palliativmedizin in Deutschland und ist ein wichtiger Akteur der Hospizbewegung. Er erinnert sich gut: In den 1960er, 1970er Jahren machte die Medizin solche Fortschritte, dass die Sorge für Todkranke, die immer schon ärztliche Aufgabe gewesen war, in den Hintergrund trat. „Sterben wurde als Niederlage angesehen“, sagt Weber. Es war die Zeit, als Sterbende in die Badezimmer der Kliniken geschoben wurden, nach dem Motto: nichts mehr zu machen.
Das Sterben als letzte Phase des Lebens
Die Wende kam in den 1980er Jahren mit der Bürgerbewegung für die Einrichtung von ambulanten und stationären Hospizen, mit dem Engagement von Ehrenamtlichen, oft von Angehörigen. Damals wurden Palliativmedizin und Hospizarbeit zur Hauptaufgabe seines Lebens. Mit seiner Frau Barbara, ebenfalls Ärztin, gründete er 1990 die „Mainzer Hospizgesellschaft“, eine der ersten Einrichtungen dieser Art.
Palliativmedizin und Hospizarbeit verbindet, dass Menschen in der letzten Phase ihres Lebens im Mittelpunkt stehen. Im stationären Hospiz, erläutert Weber, gehe es nicht mehr um Diagnostik, sondern um Begleitung, Pflege und Betreuung. Auf der Palliativ-
station – er leitete jahrelang die Palliativstation der Unimedizin Mainz – dagegen steht zunächst die Behandlung körperlicher und seelischer Beschwerden im Vordergrund. Es wird Diagnostik gemacht, es gibt zum Beispiel Bestrahlungen gegen Schmerzen, und viele Menschen verlassen die Palliativstation wieder, um nach Hause zu gehen oder sich weiter behandeln zu lassen.
Der Umgang mit Sterben und Tod ist sein Lebensthema
Heute ist Martin Weber im Ruhestand. Er vermisst manches aus der Berufszeit: den Patientenkontakt und die Arbeit im Team, die er immer hochgehalten hat. Die Ehrenämter als Aufsichtsratsvorsitzender der Mainzer Hospiz gGmbH und Vositzender der Gesellschaft für Palliativmedizin Rheinland-Pfalz können das nicht wettmachen, auch nicht die Gänge mit dem lebhaften Irish Terrier Karlsson.
Sein Lebensthema, der Umgang mit Sterben und Tod, lässt den Ehemann einer Dermatologin und Vater von drei erwachsenen Kindern nicht los. Unermüdlich verbreitet er seine Botschaft, dass der Sterbeprozess gestaltet werden kann, und dass es sich um eine „qualitätvolle Zeit“ handelt, ja sogar eine „heilige Zeit“. „Das elendige Krepieren – davor haben die Menschen Angst.“ Die Hospiz- und Palliativbewegung zeige, dass diese Angst gelindert werden kann. Zum Teil durch „nichts tun“. Ärzte seien immer in Gefahr, zu viel zu tun und zu viel zu reden, meint Weber. Ein Arzt im Hospiz dürfe keine Angst haben vor dem Gefühl der Ohnmacht. Und keine Angst vor dem Schweigen.
Am Ende des Lebens stehen nach Webers Erfahrung immer zwei Fragen: „Habe ich genug geliebt? Bin ich geliebt?“ Manchmal kommt es in der „heiligen Zeit“ noch zu den großen Dingen: „um Verzeihung bitten, Verzeihung gewähren, Liebe zum Ausdruck bringen, Danke sagen“. An Sterbebetten war der Arzt "so oft Zeuge von menschlicher Nähe und Liebe".
"So oft Zeuge von menschlicher Nähe und Liebe"
Das hat ihn geprägt. Er fragt sich: Wie lebe ich? Martin Weber will nicht vor sich hinleben. Er beginnt den Tag mit einer Übung aus dem Yoga, dem Sonnengruß, und mit Gymnastik. Er betet die Psalmen, er singt Taizé-Lieder. Seit Jahren schreibt er Tagebuch und konzentriert sich dabei auf die guten Erlebnisse. Jeden Monat gestaltet er in seiner Pfarrgemeinde zusammen mit seiner Frau und einer befreundeten Familie ein Taizé-Abendlob, tauscht sich in zwei Gesprächskreisen über Lebens- und Glaubensfragen aus.
Über seinen eigenen Tod hat der Arzt nachgedacht, aber nicht als Experte und nicht als Planer. Er weiß, dass es einen riesigen Unterschied gibt zwischen seinem theoretischen Wissen über Sterben und Tod und der Realität, die ihm eines Tages begegnen wird. Die Auslöschung der irdischen Existenz und das Kappen aller Beziehungen am eigenen Leib zu erfahren, sei ein ungeheurer Schmerz. Er wisse deshalb nicht, sagt er mit einem Lächeln, „ob ich ein schwieriger Fall sein werde oder einer, der das Herz des Palliativteams erfreut“.
Abschied vom allmächtigen Gott
Von der Vorstellung eines allmächtigen Gottes, der unmittelbar ins Geschehen der Welt eingreift, sie lenkt und richtet, hat er sich schon lange verabschiedet. Weber sieht Gott als „tragenden Grund“ an. Er ist von der in Gott gründenden Kraft der Liebe überzeugt. Er glaubt an die Auferstehung, ohne dass er meint, über sie Bescheid zu wissen. Ausgehend von Menschen, die er mit einem Aufleuchten in den Augen hat sterben sehen, und von Nahtoderfahrungen, von denen Patienten ihm berichtet haben, stellt er sich die Auferstehung so vor: „Ein Zustand, umgeben von Licht, Wärme, Liebe und Verbundenheit mit allem.“
Vor der Auferstehung steht der Tod. Weber haben die Worte von Paul Gerhardt berührt, aus dem berühmten Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“: „Wenn ich einmal soll scheiden,/ so scheide nicht von mir,/ wenn ich den Tod soll leiden,/ so tritt du dann herfür;/ wenn mir am allerbängsten/ wird um das Herze sein, / so reiß mich aus den Ängsten/ kraft deiner Angst und Pein.“ Diese Worte, die sich an Jesus richten, sagt er auswendig her. Sie sind für ihn wie ein Vorrat, denn er weiß ja, dass er sie einmal gebrauchen kann.
Von Ruth Lehnen
Zur Sache: Buch "Begleiter in der Dunkelheit"
Martin Weber im Gespräch mit Michael Albus: Begleiter in der Dunkelheit. Als Arzt auf einer Palliativstation, Verlag Patmos, 20 Euro
Schon wieder so ein Gesprächsbuch, bei dem einfach nur ein Tonband läuft, denkt man. Und wird überrascht von einem wichtigen Buch über Leben und Sterben, über das Dasein für andere und die Frage, wie Gott dem allen zuschauen kann: Krankheit, Schmerz und Tod. Professor Martin Weber zieht hier eine Summe seiner Erfahrungen, Michael Albus erweist sich als genauer Zuhörer, der gerade dann nachfragt, wenn’s wehtut. Ein starkes, immer verständlich geschriebenes Buch, das Lust macht, den Tod nicht weiter zu verdrängen, sondern sich ihm zu stellen. (nen)