Zisterziensermönche im Kloster in Walkenried

Der weiße Konzern vom Harz

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Sie gelobten Armut, wollten Gott durch Gebet und Arbeit verherrlichen  – und scheiterten trotz ihres unglaublichen Erfolgs: Im Mittelalter entwickelten sich die Zisterzienser von einer radikalen Splittergruppe zu einem der mächtigsten Wirtschaftsunternehmen in Europa. Am Ende stand der Konkurs. Auch im Kloster Walkenried, heute immerhin Teil des Weltkulturerbes.


Die Ruinen von Walkenried erzählen die Geschichte
von Aufstieg und Niedergang der Zisterzienser.

Für einen Moment wird es dunkel, die Zeitreise ist perfekt: Kurz läuten die Glocken, ich höre das Schlurfen der Mönche, eine knarrende Tür, gemurmelte Gebete. So ist das also gewesen vor tausend Jahren, als sich die Mönche von Walkenried in ihren weißen Kutten zum Lob Gottes in der Kirche versammelten. Acht mal am Tag, auch mitten in der Nacht. „Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde …“.

Gewinnmaximierung statt „ora et labora“

Die Klosteratmosphäre kommt aus Lautsprechern. Im Museum, eingerichtet in den noch erhaltenen Klausurräumen von Walkenried, sind sie das i-Tüpfelchen. Kein Wunder, dass die Austellung über das Leben der Zisterzienser am südwestlichen Harzrand als besonderer „Ort der Ideen“ ausgezeichnet worden ist. Hier werden alle Register gezogen, um den Besuchern die spannende Geschichte zu erzählen von einem Orden, der ganz Europa umgekrempelt hat. Angetreten als Reformbewegung der Kirche baute er ein Wirtschaftsimperium auf, das im Mittelalter konkurrenzlos war – und scheiterte am Ende an den eigenen Ansprüchen, weil der Gedanke der Gewinnmaximierung das ursprüngliche Ideal „ora et labora“ (bete und arbeite) abgelöst hatte. Aufstieg und Niedergang der Zisterzienser – am Beispiel von Walkenried wird erzählt, wie es dazu gekommen ist.
 


Jürgen Henkel führt Besucher durch Kloster und Museum.
Er erzählt die Geschichte von den weißen Mönchen.

Alles begann 1129, als zwölf Mönche mit einem Abt an der Spitze ein paar Holz­hütten am Flüsschen Wieda zusammenzimmerten, erzählt Jürgen Henkel, der Besucher durch Museum und Klosteranlage führt. Damals sind die Zisterzienser noch eine radikale Splittergruppe, die den Verfall der Sitten bei den Benediktinern bekämpfen wollen. Bernhard von Clairvaux steht an ihrer Spitze, und er fordert eine radikale Rückbesinnung: Er und seine Mitbrüder wollen wieder Ernst machen mit der Armut, wollen von ihrer eigenen Arbeit leben. „Jede neue Klostergründung muste autark sein, sich also selbst versorgen“, sagt Henkel.
 


Der Kreuzgang von Kloster Walkenried gehört zu den schönsten in Norddeutschland.

Die Erfolgsgeschichte von Walkenried steht exemplarisch für den beispiellosen Aufstieg der Zisterzienser: Innerhalb weniger Jahre legen sie die Sümpfe trocken, machen das Land urbar, legen Felder an und Teiche. Schon wenige Jahre später ist der Spähtrupp zu einer bemerkenswerten Gemeinschaft gewachsen: 60 Mönche und hundert Laienbrüder rackern, was das Zeug hält, weithin sichtbar steht bereits die romanische Kirche, der Vorgänger des gotischen Gotteshauses, das in Teilen bis heute überdauert hat. Im Jahr 1200 verzeichnet die Chronik 80 Mönche und 240 Laienbrüder, der Kreuzgang ist fertig. Auf den Feldern wächst das Getreide, die Gärten liefern Obst und Gemüse, die nach Überlieferung 365 Teiche (einer für jeden Tag, alle im porösen Karstgestein ein Meisterwerk) liefern Fisch, das Wasser versorgt die Küche und treibt Mühlen an. In den Werkstätten läuft die Arbeit auf Hochtouren. Vom nahen Rammelsberg kommt das wertvolle Erz, Kaiser Barbarossa hat dem Orden ein Viertel der Abbaurechte übertragen. Die Ländereien reichen von Würzburg bis in die Uckermark. Aus dem Selbstversorger-Kloster ist längst ein wichtiger Teil des Ordenskonzerns geworden.

Zwei-Klassen-Gesellschaft hinter den Klostermauern

Jürgen Henkel führt mich in den einzigen Raum, der beheizt werden konnte, ein mächtiges Gewölbe spannt sich darüber, rechts führt eine Treppe in den Karzer hinab. Je größer Kloster Walkenried wurde, desto wichtiger war dieser Saal:  Am Stehpult wurde penibel Buch geführt über Einnahmen und Ausgaben. Hier ging es um Anlagevermögen, Personalentwicklung, Controlling und Prozess­optmierung.
 


Besucher grübeln, weil sie ahnen, was kommt: In der Blütezeit von Walkenried dreht sich das Leben mehr und mehr um wirtschaftlichen Erfolg statt um Armut und Demut. Bei allen unbestreitbaren Leistungen – hier droht etwas aus dem Ruder zu laufen. Zumal von Gleichheit hinter Klostermauern nicht die Rede sein kann: Da sind die Priestermönche, allesamt Vertreter aus dem Adel. Sie widmen sich den eher administrativen Arbeiten, machen sich die Finger nicht schmutzig. Die Schinderei überlassen sie den Laienbrüdern. Selbst bei Gebet und Gottesdienst bleibt man unter sich. „Es war eine Zwei-Klassen-Gesellschaft“, beschreibt es Jürgen Henkel. „Aber um des Seelenheils Willen wurde sie akzeptiert. Und außerdem wäre das Leben außerhalb des Klosters noch weitaus härter gewesen.“ Immerhin scheinen sich die Ungerechtigkeiten in Walkenried noch im Rahmen des Erträglichen bewegt zu haben. Offener Aufruhr wie in anderen Klöstern bis hin zum Mord am Abt wie in Eberbach im Rheingau ist hier nicht überliefert.

Als schleichenden Niedergang können wir das Ende von Walkenried beschreiben: Der Nachwuchs bleibt aus, die Pest fordert ihren Tribut, die Reformation verbreitet sich im Land, und am Ende sorgen die Bauernaufstände für das endgültige Aus. Die mächtige Kirche wird zum Steinbruch für umliegende Bauprojekte. Das Imperium der weißen Mönche ist in Walkenried und anderswo untergegangen. Die Bettelorden – Franziskaner und Dominikaner zum Beispel – übernehmen die ursprünglichen Ideale der Zisterzienser, auch sie wagen einen radikalen Neuanfang.

Heute gehört Walkenried gemeinsam mit Goslar und dem Rammelsberg zum Welterbe. Und Gottesdienst wird hier wie vor über tausend Jahren gefeiert: Im Kapitelsaal, dem wichtigen Versammlungsraum, versammelt sich seit dem Ende der Zisterzienser die evangelische Gemeinde.

Stefan Branahl

 

Kloster in Bewegung
„Kloster in Bewegung“ heißt eine Veranstaltungsreihe der Harzer Klöster vom 13. bis 22. August – eine gute Gelegenheit, sich auf die Spuren der Zisterzienser in Walkenried zu begeben.

Geführte Spaziergänge am 13., 17. und 20. August jeweils von 10.45 bis 12 Uhr. Der Rundgang führt durch das gotische Klausurgebäude und über das Gelände der Kirchenruine. Weitere Stationen sind das Hospital, das Torhaus, die Alte Drostei und das herzogliche Jagdschloss (8 Euro inkl. Führung und Museumseintritt.

Geführte E-Bike-Touren durch die Walkenrieder Teichlandschaft am 14., 15., 21. und 22. August jeweils von 10.30 bis 12 Uhr. Die sieben Kilometer lange Strecke führt durch Karst, Wälder und Wiesen einer ganz besonderen Natur- und Kulturlandschaft (19,50 Euro inkl. Museums­eintritt, Fahrräder sind im Preis nicht inbegriffen).

Zeichenkurs „Ruinenfaszination“ am 19. August (13.15 bis 18 Uhr) und am 20. August (10.15 bis 18 Uhr). Die Künstlerin Schirin Fatemi vermittelt Grundlagen zu Bildaufbau, Komposition und Perspektive (Kosten: 65 Euro inkl. Museumseintritt am 19. August, 95 Euro am 20. August mit zusätzlicher Vor- und Nachbesprechung).

Anmeldung: info@kloster-walkenried.de
 

Das komplette Programm der Harzer Klöster unter harzinfo.de