Buch über Mythos, Meinung, Missverständnis

Die Bibel falsch verstanden

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„Es steht schon in der Bibel …“ So geben Menschen in Alltagsgesprächen ihren Aussagen besonderes Gewicht. Viele Zitate sind Allgemeingut, auch wenn es manchmal an religiöser Bildung hapert. Doch stimmt wirklich, was angeblich mit dem Zitat ausgesagt wird? Zwei Mainzer Bibelforscher haben nun ein Buch herausgegeben, in dem sie an 33 Beispielen „hartnäckige Fehldeutungen“ von Bibelstellen erklären.

Was war Ihre Motivation für dieses Buch?

Cover: Bibel falsch verstandenHieke: Die Auslegung der Bibel ist mein Beruf. Im Buch Levitikus (Levitikus18,5) heißt es: „Der Mensch, der danach handelt, wird leben“ und gemeint ist die Weisung Gottes. Das halte ich für einen guten Universalschlüssel zur Bibelauslegung. Sie muss dazu führen, dass Leben besser gelingt. Immer da, wo Bibelauslegung einschränkt, verunsichert, Angst macht oder gar zu Gewalt führt, wird etwas falsch verstanden. 

Die Texte der Bibel sind, grob gesagt, zwischen 2000 und 3000 Jahre alt. Ist das die Ursache dafür, dass sie heute falsch verstanden werden?

Huber: Das Alter der Texte spielt schon auch eine Rolle bei der Entstehung von Missverständnissen. Dazu kommt, dass sie als biblische Texte gleich einen Anspruchscharakter haben und man daraus zu rasch Handlungsanweisungen ableitet. Man übersieht leicht, dass es sich oftmals um Erzählungen handelt, die keinen wörtlichen Absolutheitsanspruch auf historischer oder ethischer Ebene haben, der ihnen mit dem Label „Bibel“ gern unterstellt wird. 

Professor Hieke
Thomas Hieke ist Professor
für Altes Testament am
Fachbereich Theologie.
Foto: Sebastian Holzbrecher
 

Hieke: Einen antiken Text müssen wir mit dem Bewusstsein für seine Geschichte erschließen. Wir können in den Texten Impulse für unser heutiges Leben finden, aber dürfen nicht einfach Sätze in unsere Zeit kopieren. Dann kann es zu Missverständnissen kommen. Ein Beispiel ist die Homosexualität: Das Buch Levitikus spricht in eine Zeit, in der man Nachkommenschaft um jeden Preis braucht. Diese Sätze kann man nicht einfach zu einem Gebot für heute machen.

Werden manche Bibelstellen bewusst falsch interpretiert?

Hieke: Ja, die Bibel wird manchmal für bestimmte Interessen ausgenutzt. Das passiert auch mit dem Koran in der muslimischen Welt. Wenn Fundamentalisten behaupten, die Bibel sagt, du darfst dieses nicht und jenes nicht, dann ist oft ein fremdgeleitetes Interesse dahinter. Einzelne Textstellen werden aus dem Zusammenhang gerissen: Der Fundamentalist darf nicht umblättern.


Konrad Huber ist Professor
für Neues Testament an der
Mainzer Uni.
Foto: Markus Schmidt

Huber: Dies geschieht bewusst oder unbewusst. Man übersieht sehr rasch, dass man in der Auslegung bestimmte Grundregeln beachten muss Ansonsten besteht die Gefahr, Kurzschlüssen auf den Leim zu gehen und Bibeltexte auf konkrete Situationen zu übertragen. Der Titel des Buchs „Bibel falsch verstanden“ ist natürlich sehr stark: Die Kategorie „richtig“ oder „falsch“ anzuwenden, ist bei manchen Themen leicht, weil man sagen kann, das steht einfach so nicht da. In anderen Bereichen sind unterschiedliche Sichtweisen möglich, und man muss dann sehr vorsichtig sein. Wir haben deshalb Bereiche herausgesucht, wo man guten Gewissens eine eindeutige Antwort geben kann.

Nicht jeder kann und will Theologie studieren. Was empfehlen Sie dem Durchschnittschristen? 

Hieke: Ich verweise auf unser Buch, da geben wir in der Einleitung zehn einfache Empfehlungen des Bibelauslegens. Auch das Katholische Bibelwerk gibt hilfreiche Zeitschriften heraus: „Bibel heute“ etwa spricht eine allgemein verständliche Sprache.

Huber: Das Problem in der Alltagswelt ist häufig, dass man auf eine konkrete Frage möglichst rasch eine kurze, knackige Antwort haben möchte. Das ist der gefährliche Weg, denn dann landet man schnell im Internet auf fundamentalistischen oder evangelikalen Seiten, die in diesem Bereich alles besetzen.

Hieke: Man kann auch gerne uns fragen. Man kann auch mal einem Universitätsprofessor eine E-Mail schreiben. Sie finden die Kontaktdaten auf der Homepage der Universität Mainz oder in meinem Blog (http://blog.thomashieke.de).

Interview: Klaus Altenbach


Thomas Hieke / Konrad Huber: Bibel falsch verstanden. 
Hartnäckige Fehldeutungen biblischer Texte erklärt, 
Verlag Katholisches Bibelwerk, 300 Seiten, 22,95 Euro

 

 

Zitiert: Falsch verstanden 

Viele Missverständnisse der Bibel werden benutzt, um frauenfeindliche, antisemitische und andere Vorurteile zu schüren. Nachfolgend drei Auszüge aus dem Buch – drei Beispiele für Bibelstellen, die bis heute gerne falsch gedeutet werden.

Auge um Auge, Zahn um Zahn

Nicht Vergeltung, sondern angemessener Ausgleich

Die Formel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wird bis heute gerne als für das Alte Testament und das Judentum charakteristisches Vergeltungsprinzip konstruiert – zu Unrecht und mit fatalen antijüdischen Implikationen. Die Formeln „Auge für Auge, Zahn für Zahn ...“ stammen aus dem Ersatzrecht und sind als Prinzipien angemessenen Ausgleichs für Körperverletzungen zu verstehen. Sie zielen, wie das alttestamentliche Ersatz- und Körperverletzungsrecht insgesamt, nicht auf Wiederschädigung des Schädigers, sondern auf Entschädigung des Geschädigten. Insofern sie nicht auf Gleichartigkeit, sondern auf Gleichwertigkeit zielen, sind sie der Intention nach vom Grundsatz des angemessenen Schadenersatzes (vgl. § 249 BGB) sachlich nicht weit entfernt.

Die Jungfrau, die ein Kind gebar:

Zwischen Übersetzungsfehlern und dogmatischen Entscheidungen

Dass Jesus von einer Jungfrau geboren wurde, wird bereits von den ersten Konzilien vorausgesetzt. Dahinter verbirgt sich eine tiefe, sehr alte religiöse Frömmigkeit. Die Aufnahme des Textes von Jesaja 7,14 in die Geburtserzählung des Matthäusevangeliums … lässt allerdings eine klare interpretatorische Tendenz erkennen. Die griechische Übersetzung des hebräischen Textes verändert dessen Aussage nicht unerheblich, wenn an die Stelle der „jungen Frau“ die „Jungfrau“ gesetzt wird. So wird aus einem prophetischen Zeichen, dessen tagespolitische Bedeutung nicht mehr aktuell ist, eine geheimnisvolle Zukunftsansage. Zu jeder Zeit geht es dabei nicht um menschliche Biologie, sondern um die erzählerische Veranschaulichung von religiösen Überzeugungen: Der Messias („Gesalbte“, griechisch: christos) wird kommen, und für Matthäus und seine Gemeinde ist dieser Christus Jesus, der Sohn der Maria.

Maria Magdalena: die Erstzeugin der Auferstandenen als „große Sünderin“? Diffamierende Umdeutungen der Apostelin

In der „Magdalenologie“ verschiedener Epochen spiegeln sich das jeweilige Frauenbild und die damit transportierten Rollenerwartungen. Gegenüber den patriarchalen Identifikationskonzepten der reuigen Sünderin ist heute wieder die biblische Apostelin im Fokus, die ihren Auftrag zur Verkündigung erfüllt und sich in den letzten Jahrzehnten, nicht zuletzt durch feministische Forschungsarbeit, vermehrt von den späteren Übermalungen befreien konnte … 

Der Abdruck der Buchauszüge erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart.