"Gefragte Frauen": Schwester Philippa Rath
Die Frau, die gehört wird
Schwester Philippa Rath, Benediktinerin, ist eine „extrem spätberufene Frauenaktivistin“. Ihr Buch „Weil Gott es so will“ über die Berufung von Frauen macht Furore. Ein Schlüsselmoment war für sie die Heiligsprechung der Kirchenlehrerin Hildegard. Von Ruth Lehnen
Sie hat sie lange nicht gesehen, die Frauen. Dabei lebt Philippa Rath seit mehr als 30 Jahren in einem Frauenkloster. Sie ist Benediktinerin in der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen. Trotzdem hat sich die großgewachsene Intellektuelle mit dem Thema, das heute so gern „Geschlechtergerechtigkeit“ genannt wird, nicht befasst. Vielleicht, weil sie ja erreicht hatte, was ihre Sehnsucht war. Ein klösterliches Leben mit vielen Entwicklungsmöglichkeiten für ihre Seele und ihren Geist. Sie ist hier, oberhalb des Rheins, in ihrer Abtei glücklich und zuhause.
Als Leitwort bei ihrer Ewigen Profess 1995 hatte sie gewählt: „Domine ut videam: Herr, dass ich sehe“ – aus dem Markusevangelium. Gemeint ist: „dass ich mit den Augen Gottes sehen lerne“. Diese Worte wurden ihr zugesagt in einer Zeremonie, bei der sie während der Allerheiligenlitanei vor dem Altar der Kirche auf dem Boden lag. Dabei sieht man nicht weit – körperlich. Aber Geist und Seele wurden auf das neue Sehen eingestimmt. Und spätestens 2012, bei der Heiligsprechung der Seherin Hildegard und ihrer Erhebung zur Kirchenlehrerin, da weitete sich auch Schwester Philippas Blick – auf die Frauen.
Warum Schwester Philippas Wirkung so groß ist
Es war zunächst ein Blick im Zorn: Die Benediktinerin war dabei, als bei der Zeremonie, in der Hildegard zur Kirchenlehrerin erhoben wurde, zwei Äbtissinnen, der 38. und 39. Nachfolgerin der heiligen Hildegard, Plätze noch hinter den Messdienern zugewiesen wurden. Es ging um Hildegard, doch ihre Nachfolgerinnen hatten hinter den Männer Platz zu nehmen. Schwester Philippa erfasste ein heiliger Zorn, der sie bis heute antreibt. Heilig, denn sie weiß ihn zu beherrschen. Heilig aber auch, weil er ihre Augen geöffnet hat: So, wie es ist mit den Frauen in der katholischen Kirche, so kann es nicht weitergehen. Das widerspricht dem Willen Gottes, davon ist sie überzeugt.
Sie wurde zur „extrem spätberufenen Frauenaktivistin“ – es ist typisch für Schwester Philippa, dass sie sich mit dieser Charakterisierung ein wenig selbst auf die Schippe nimmt. Die Benediktinerin, 65 Jahre alt, wurde im Rheinland geboren, in Düsseldorf. Sie ist das sechste und jüngste Kind einer katholischen Familie gewesen, geprägt auch von ihrem Onkel, einem Priester, für den katholisch und frei zwei Seiten einer Medaille waren. Mittlerweile steht der Name Philippa Rath für ein Thema, das noch vor kurzem in der katholischen Kirche sehr selten öffentlich diskutiert wurde: die Berufung von Frauen zu Priesterinnen und Diakoninnen.
Die Stimmen von 150 Frauen
Ihr Buch „Weil Gott es so will“ versammelt Stimmen von 150 Frauen, die über ihre Berufung zur Priesterin und Diakonin berichten. Das sind zum großen Teil Leidensgeschichten, denn Priesterinnen sind in der katholischen Kirche bisher nicht vorgesehen. Die Frauen wurden nicht nur nicht zugelassen, sie wurden oft genug verlacht. Warum ist Schwester Philippa, die eine solche Berufung zur Priesterin selbst nie verspürt hat, zu einer besonders glaubwürdigen und erfolgreichen Botschafterin dieser Frauen geworden? Erstens: Sie spricht nicht für sich selbst, sie kann nicht verdächtigt werden, selbst Vorteil aus ihrem Engagement ziehen zu wollen. Zweitens: Sie ist als Benediktinerin vollkommen unabhängig von kirchlichen Strukturen außer denen ihres Ordens, der sich selbst organisiert. Kein Bischof kann ihr eine Anweisung geben, nur Gott, ihrem Gewissen und ihrer Äbtissin gegenüber ist sie zu Gehorsam verpflichtet. Schwester Philippa sagt, was sie für richtig hält und wo sie es für richtig hält. Drittens: Ihre tiefe Frömmigkeit kann niemand in Zweifel ziehen. Sie hat ihr Leben Gott geweiht, und ihr persönliches Charisma ist unleugbar. So ist sie die ideale Besetzung für ihre neue Rolle in der Kirche, und ihre Wirkung ist groß. Sie nutzt das als Delegierte beim Synodalen Weg, wo sie Mitglied im Forum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ ist, und jetzt auch als gewähltes Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).
Sie möchte gern noch ein drittes Wunder erleben
Für die vielen Zuhörerinnen und wenigen Zuhörer bei einer Vorstellung ihres Buches hat sie eine verblüffende Prognose parat: Sie werde es noch erleben, dass Frauen geweiht werden: „Das geht irgendwann ganz schnell.“ Im kleinen Sprechzimmer der Abtei erläutert sie das bei einem Becher Cappuccino und kommt auf „die zwei Wunder“ zu sprechen, die sie schon erlebt habe. Das eine sei der Fall der Mauer gewesen, mit dem niemand gerechnet hatte, sie aber schon: Denn das Unrecht sei himmelschreiend gewesen und das Machtsystem marode. Das zweite Wunder ist für sie die Heiligsprechung Hildegards, nach 900 Jahren! Die Kirchenlehrerin wurde im Volk immer schon als Heilige verehrt, und nach 900 Jahren tat sich das Zeitfenster endlich auf. Die Kirche holte nach, was der „sensus fidelium“, die Überzeugung des gläubigen Volkes, schon lange gewesen war. Diese beiden Wunder lehren Schwester Philippa, das „Frauenwunder“ in der katholischen Kirche für möglich zu halten: Wenn Ungerechtigkeit himmelschreiend wird und wenn die Überzeugung des gläubigen Volkes ernst genommen wird, dann, so meint sie, kann alles sehr schnell gehen. Sie ist überzeugt, dass sie dieses dritte Wunder, die Weihe von Priesterinnen und Diakoninnen in der katholischen Kirche, noch erleben wird.
Die Frauenfrage sei eine Überlebensfrage für die Kirche, an ihr werde sich Sein oder Nichtsein entscheiden, meint die Ordensfrau. Ähnlich hat sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, geäußert, kaum ein Bischof leugne mehr, dass das Thema „auf dem Tisch“ liege. Während sich mancher noch die Augen reibt, wie schnell sich Überzeugungen gewandelt haben, setzt Schwester Philippa zusammen mit dem Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose schon den zweiten Hebel an. In einem Folgebuch, das im Januar erscheinen wird, werden zahlreiche Männer der Kirche zu Wort kommen und beschreiben, was der Kirche entgeht, weil die Begabungen von Frauen nicht voll zum Tragen kommen. Die Männer, so die These, erleben eine amputierte Kirche, und leiden selbst unter der Situation, die durch Ungerechtigkeit entsteht.
„Was macht unser Buch?“ fragen die Mitschwestern
Im Moment hat Schwester Philippa mit dem Synodalen Weg, dem Frauenthema und mit ihren Buchprojekten fast einen Fulltime-Job, wie sie sagt. Ihre Mitschwestern tragen das mit, manche waren zuerst skeptisch, dann aber zunehmend überzeugt, nachdem „Weil Gott es so will“ bei Tisch im Kloster vorgelesen wurde. Mittlerweile werde gefragt: „Was macht unser Buch?“, berichtet Schwester Philippa.
15 Jahre lang hatte ihr Leben einen völlig anderen Schwerpunkt. Sie hat sich um ihre in jungen Jahren an Demenz erkrankte Mitschwester Christiane gekümmert, und hat sie zusammen mit zwei Helferinnen bis zu ihrem Tod im Mai 2020 jahrelang gepflegt. Es war eine Aufgabe, die ihr zufiel: Denn diese Mitschwester im Kloster war ihre leibliche Schwester, die lange vor ihr in den Konvent eingetreten war. An ihrem Sterbebett las Schwester Philippa die ersten Beiträge für das Buch, das nun Furore macht.
Von Ruth Lehnen
Gefragt, gesagt:
Lieben und leiden
In der Rubrik „Gefragt ... gesagt“ geben die „gefragten Frauen“ möglichst spontan Antworten.
Durch wen sind Sie zum Glauben gekommen?
Schwester Philippa Rath: Durch meine Eltern und meinen Patenonkel, „Onkel Pastor“, der Dechant in Ratingen war und mich auch getauft hat.
Was gibt Ihnen Ihr Glaube?
Fundament und Orientierung.
Haben Sie schon mal daran gedacht, aus der Kirche auszutreten?
Nein, ernsthaft nie. Ich verstehe Menschen, die diesen Schritt gehen, aber für mich käme er nicht in Frage. Ich sage immer: Ich liebe meine Kirche, und ich leide an meiner Kirche.
Welche Veränderung wollen Sie als Frau in der Kirche noch erleben?
Ich möchte erleben, dass die ersten Frauen zu Diakoninnen und Priesterinnen geweiht werden. Ich möchte, dass Ämterstrukturen und -verständnis neu ausgerichtet werden.
Welches war für Sie das schönste Erlebnis im Glauben?
Meine Ewige Profess am 27. August 1995.
Ihre liebste Bibelstelle?
Das variiert. Im Moment Galater 3, 27 bis 28: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“
Ihr Rat an Frauen auf der Suche?
Weitermachen, nicht nachlassen.
Zur Person:
Philippa Rath: Synodale, Autorin, Ordensfrau
- Schwester Philippa Rath, geboren 1955, Profess 1992, Ewige Profess 1995, ist seit 30 Jahren Benediktinerin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen.
- Sie studierte Theologie, Geschichte und Politikwissenschaften und hat vor ihrem Klostereintritt als Redakteurin und Lektorin gearbeitet.
- Im Kloster ist sie als Stiftungsvorstand verantwortlich für die Klosterstiftung Sankt Hildegard, für den Freundeskreis der Abtei sowie für die Presse.
- Sie hat sich viele Jahre lang mit Leben und Werk der heiligen Hildegard befasst und war in den Jahren 2011/12 Postulatorin im Verfahren um die Heiligsprechung und Erhebung Hildegards von Bingen zur Kirchenlehrerin.
- Schwester Philippa ist geistliche Begleiterin der kfd-Gruppe Bingen, Delegierte beim Synodalen Weg und Mitglied im Synodalforum „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ und gewähltes Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
- Im Februar erschien das von ihr herausgegebene Buch „Weil Gott es so will – Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin“ im Verlag Herder.
- Ende Januar 2022 folgt der Komplementärband „Frauen ins Amt! – Männer der Kirche solidarisieren sich“.
- Für ihr kirchliches und gesellschaftliches Engagement wurde Schwester Philippa Ende 2019 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
https://abtei-st-hildegard.de/
Tipp:
Philippa Rath (Hg.): Weil Gott es so will. Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin. Verlag Herder, 25 Euro