"Gefragte Frauen": Stefanie Wahl

Die Frau für den Frieden

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Friedensarbeit – harte Arbeit. Stefanie Wahl ist Bundesvorsitzende der katholischen Friedensbewegung Pax Christi. Sie will einen Politikwechsel: Europa dürfe sich nicht weiter mit Waffengewalt abschotten. Von Ruth Lehnen


Für die Katholische Friedensbewegung Pax Christi auf der Straße, im Internet und im Vortragssaal: Stefanie Wahl brennt für ihr Thema.


Stefanie Wahl war noch Schülerin, als sie einen großen Kampf verloren hat. Sie ging damals auf die Marienschule, ein Mädchengymnasium in Fulda. Und sie wollte, dass ihre jüngere Schwester, die im Rollstuhl sitzt, dieselbe Schule wie sie selbst besuchen kann. Aber alle Mitbestimmung hat damals nicht gereicht, die Inklusion war noch nicht so weit. Andere hätten das frustrierend gefunden, hätten sich gesagt, so ein Einsatz, der lohnt sich doch eh nicht. Anders die Petersbergerin. Sie war enttäuscht, aber nicht entmutigt.
Wenn etwas schwierig ist, läuft sie nicht davon. So war es später auch in der Lokalpolitik. Auf einer Bürgerliste lernte sie, wie die politische Arbeit vor Ort funktioniert. Wie es ist, mit Druck umzugehen. Und hatte öfter Gelegenheit, an die andere, die positive Lehre aus der Marienschule zu denken: Dass Frauen alles können, was Männer auch können, und dass sie in der Lage sind, etwas zu erreichen.


Frieden und Gerechtigkeit – das sind ihre Kernthemen

Das beweist die 37-Jährige seit 2018 als Bundesvorsitzende von Pax Christi. Die Katholische Friedensbewegung mit dem lateinischen Namen – übersetzt „Frieden Christi“ – ist ein ideales Betätigungsfeld für eine Frau wie Stefanie Wahl. Denn sie ist bestens ausgebildet in der Politikwissenschaft und in der Sozialethik, sie brennt für ihre Themen Gerechtigkeit und Frieden, und sie ist – man muss es so sagen – leidensfähig.
Mai 2021: Die hochschwangere Stefanie Wahl reist von Petersberg bei Fulda nach Frankfurt, in Coronazeiten, um hier eine digitale Ausstellungseröffnung auf den Weg zu bringen. Sie absolviert ein längeres Gespräch mit einer Journalis-tin, sitzt in einer mehrstündigen Besprechung mit ihren Mitstreitern von Pro Asyl und der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden, und am Ende spricht sie  vor Kameras und Mikrofonen. Einmal wechselt sie die Schuhe, zweimal isst sie einen Müsliriegel, sie trinkt  Wasser aus der Flasche und ein, zwei Tassen Tee. Sich mal kurz hinzulegen, wie einer der beteiligten Männer vorschlägt, lehnt sie ab. Gegen Abend fährt sie wieder heim.
„Man könnte es sich auch leichter machen“ – das kommt ihr nur kurz in den Sinn. Denn sie ist beseelt von ihrem Ziel. Und das heißt derzeit vor allem: Europa muss seine Flüchtlingspolitik ändern. Die Lage in den Flüchtlingslagern wie Moria auf Lesbos ist ein Skandal, sowohl aus Menschenrechts- wie aus katholischer Perspektive. Und die Abschottung gegenüber Geflüchteten muss aufhören. Das fordert Pax Christi auch in der Ausstellung „Grenzerfahrungen“, an der Wahl aktiv mitgearbeitet hat. Die Ausstellung ist ausleihbar und soll im Vorfeld der Bundestagswahl im September für einen Politikwechsel werben.
Stefanie Wahl und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter sehen, was beim Thema „Energiewende“ möglich war. Auf einmal ist jeder, außer vielleicht ganz rechts, ein Klimaschützer vor dem Herrn. Die Bedeutung des Themas ist mittlerweile jedem klar. Sowas müsste beim Thema „humane Asyl- und Migrationspolitik“ doch auch möglich sein?


Schaut hin ... auch auf die Flüchtlinge an den Grenzen

Die Theologin wirbt beredt für ihre Überzeugungen. Sie erinnert an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Da geht es um einen Mann, der schwer verwundet liegengelassen wurde. Und alle, die vorbeikommen, haben gerade einen Grund, wieso sie ihm nicht helfen können. So ergehe es auch den Menschen, die unter menschenunwürdigen Zuständen in den Lagern an der EU-Außengrenze leben. Die Pax-Christi-Vorsitzende hat diese mit eigenen Augen 2019 gesehen. Sie bewundert die vielen, die vor Ort versuchen, den Geflüchteten zu helfen. Sie selbst will hierzulande helfen –  durch politische Arbeit.
„Kein Weihnachten in Moria“ – Pax Christi hatte sich dafür eingesetzt, die Lager vor Weihnachten zu evakuieren. Das ist nicht gelungen. Aber 240 Bundestagsabgeordnete haben den so genannten Weihnachtsappell unterschrieben. Damit allein kommt zwar kein zusätzlicher Mensch aus Moria nach Deutschland in Sicherheit, das gibt Stefanie Wahl zu. Ihr kommt es darauf an, dass das Thema nicht vergessen wird. Gerade ist der Ökumenische Kirchentag in Frankfurt vorbei, sein Motto war „Schaut hin“ Stefanie Wahl wirbt dafür, dass Menschen auch auf die Folgen der EU-Flüchtlingspolitik schauen. Die Zurückweisung von Verzweifelten noch auf dem Meer, die Zusammenarbeit mit der lybischen Küstenwache, die zunehmende militärische Aufrüstung gegen Menschen, die nichts anderes getan haben, als bessere Lebensbedingungen zu suchen, das lässt der werdenden Mutter keine Ruhe. Sie will nichts weniger als eine bessere Welt, und die will sie, wenn es nötig ist, auch in vielen kleinen Schritten erreichen.

Gemeinsam, nicht gegeneinander soll es gelingen

Die Motivation für alles, was sie in dieser Sache tut, ist eine biblisch motivierte Suche nach Solidarität, Liebe und Mitmenschlichkeit. Und Dankbarkeit dafür, dass sie es gut getroffen hat mit dem Leben in Deutschland. Und der Glaube, dass Politik Vertrauen vermehren und nicht Misstrauen schüren sollte. Stefanie Wahl ist sich bewusst, dass auch hierzulande viele Hilfe brauchen. Gemeinsam, nicht gegeneinander soll es gelingen.
Erst auf Nachfrage erzählt sie auch von den persönlichen Erfahrungen, die sie 2019 auf Lesbos gemacht hat. Außer Gesprächen mit Helfern vor Ort, die einen Eindruck der Situation vermittelt haben, gab es auch einen Gottesdienst mit Geflüchteten. Zusammen zu singen und zu beten, ein Stück Normalität in diesem absurden Alltag des Lagers zu erleben, war für sie tief bewegend. Und sie spürte, was in der Diskussion um Aufnahmequoten oft verlorengeht: „Wir sind alle gleich. Wir sind alle Menschen.“
Sie wünscht sich eine starke Vernetzung der rund 5000 Pax Christi-Mitglieder mit Initiativen wie „Fridays for Future“ oder „Seebrücke“. An Pax Christi gefällt ihr, dass alle „so super engagiert sind, so für ihr Thema brennen.“ Das tut sie auch. Die ehemalige Marienschülerin sagt: „Wenn ich was mache, will ich es konsequent machen, will ich es gut und richtig machen.“ Bisher hat sie von vier Wochenenden im Monat nur eins für die Freizeit und die Familie reserviert.
Auch mit dem Kind will Stefanie Wahl weiter aktiv sein: „Das gehört zu mir.“ Das erwartete Baby sieht sie als Zeichen für Hoffnung und Zukunft – wenn es nach der Mutter geht, wird es ein Mensch sein, der in der Welt Positives bewirkt.

Pax Christi und Eintracht Frankfurt – das geht zusammen

Vielleicht wird auch die Fußballleidenschaft vererbt. Denn die Besuche im Stadion in Frankfurt, die vermisst Stefanie Wahl sehr. Sie ist nicht nur Eintracht-Fan, sie ist Eintracht-Mitglied. Dass sie auch im Privaten Frieden zu halten weiß, zeigt sich in ihrer Ehe mit einem eingefleischten Bayern-Fan.

Von Ruth Lehnen

Gefragt – gesagt

In der Rubrik „Gefragt ... gesagt“ geben die „gefragten Frauen“ möglichst spontan Antworten.

Durch wen sind Sie zum Glauben gekommen?

Stefanie Wahl: Durch meine Mutter und die Erfahrungen in meiner Heimatpfarrei und der Marienschule Fulda. Dies alles hat meinen Glauben von Anfang an geprägt und ist die Motivation für mein Engagement. 

Was gibt Ihnen Ihr Glaube?

Orientierung und Halt. Die Motivation, das politische und gesellschaftliche Engagement weiter voranzutreiben, sich für Veränderung einzusetzen und für Frieden und Gerechtigkeit.

Haben Sie schon mal daran gedacht, aus der Kirche auszutreten?

Das war für mich noch nie ein Thema. Natürlich hadere auch ich immer mal wieder mit der Institution. Ich sehe mich aber immer als einen Teil von Kirche, und daraus erwächst die Verantwortung, Ungerechtigkeiten zu benennen und sich für Veränderung einzusetzen.

Welche Veränderung wollen Sie als Frau in der Kirche noch erleben?

Als politische und engagierte Christin bin ich von der Veränderbarkeit von Strukturen überzeugt. Ich wünsche mir eine Kirche, die sich nach außen und nach innen glaubwürdig für Gerechtigkeit und Frieden einsetzt und sich stärker, als es bisher der Fall ist, der gewaltfreien Botschaft des Evangeliums verschreibt. Und für mich als Frau geht es auch um Frage der Geschlechtergerechtigkeit.

Welches war für Sie das schönste Erlebnis im Zusammenhang mit Ihrem Glauben?

Unvergesslich für mich ist der Weltjugendtag in Köln 2005. Und 2019 der Gottesdienst auf Lesbos gemeinsam mit Menschen aus dem Lager Moria; das Gefühl, vereint im Glauben zu sein, das Gefühl, im Glauben Heimat zu haben.

Ihre liebste Bibelstelle?

Die Bergpredigt. Da steckt Energie drin.

Ihr Rat an Frauen auf der Suche?

Bitte die Bergpredigt lesen und Friedensstifterinnen werden!

Zur Person: Stefanie Wahl, Bundesvorsitzende von Pax Christi

- 1984 in Fulda geboren. Stefanie Wahl ist verheiratet und erwartet ihr erstes Kind.
- Abitur an der Marienschule Fulda
- Magister Politikwissenschaften und Katholische Theologie an der Goethe-Universität Frankfurt
Master „Labour Policies and Globalisation“ an der Universität Kassel und der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
- Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt, am Oswald von Nell-
Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik Frankfurt und am Lehrstuhl für Theologische Ethik am Institut für Katholische Theologie der Universität Bamberg
- Seit 2017 Referentin für politische Jugendbildung im Bund der Deutschen Katholischen Jugend Fulda (BDKJ)
- Ehrenamtliches Engagement unter anderem im Katholikenrat Fulda und im Vorstand Arbeitsgemeinschaft Verbände im Bistum Fulda
- Seit Oktober 2018 ist Stefanie Wahl die ehrenamtliche Bundesvorsitzende der katholischen Friedensbewegung Pax Christi – Deutsche Sektion
Pax Christi hat deutschlandweit etwa 5000 Mitglieder. Wahl setzt sich für „Alternativen zur derzeitigen Militarisierungs- und Abschottungslogik“ ein, für gerechte politische und wirtschaftliche Strukturen und die Einhaltung von Menschen- und Völkerrecht.
Aktuell hat sie mit Kooperationspartnern die Ausstellung „Grenz-erfahrungen“ erarbeitet.
 

 

Ruth Lehnen