Liederserie

Die ganze Kirche jubelt

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Liederserie
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Fotos: istockphoto/Arthit_Longwilai; Katrin Kolkmeyer

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Es freut sich alles, was da ist, denn: „Christ ist erstanden“.

Eine Serie über beliebte Kirchenlieder und ihre Geschichte kann eigentlich nur beginnen mit „Christ ist erstanden“. Weil es das älteste von allen ist und die zentrale christliche Botschaft besingt.

Karfreitagsliturgie im 12. Jahrhundert: Nach der Leidensgeschichte und der Kreuzverehrung wird ein Bild oder eine Figur des Gekreuzigten in Leinentücher gehüllt und ins „Heilige Grab“ gelegt – das kann eine Wandnische im Gotteshaus sein, das kann auch ein einfacher oder aufwendiger Nachbau eines Grabes sein, der ähnlich wie die Krippe an Weihnachten nur vorübergehend in der Kirche steht. 

Zwei Tage später: Vor Beginn der Osternacht sind Figur oder Bild diskret entfernt worden. Man stellt im Gottesdienst dar, wie die Frauen und die Apostel zum Grab kommen – und zeigt schließlich den versammelten Gläubigen die zurückgebliebenen Leinentücher. Der Chor singt auf Latein „Surrexit enim“ (Er ist auferstanden), die Gemeinde antwortet auf Deutsch mit jenem Jubelgesang, der bis heute an Ostern kaum wegzudenken ist: „Christ ist erstanden“. 

Ohne die Auferstehung wäre die Welt verloren 

So in etwa dürfte es sich vor rund 900 Jahren abgespielt haben, jedenfalls im süddeutsch-österreichischen Raum, denn dort ist das älteste überlieferte deutschsprachige Kirchenlied vermutlich um das Jahr 1100 entstanden, womöglich in Passau. Es verbreitet sich rasch und wird immer beliebter. „Hier jubiliert die ganze Kirche mit schallender Stimme und unsäglicher Freude“, fasst der Thüringer Theologe Georg Witzel anno 1550 die Begeisterung zusammen, die es bei seinen Sängerinnen und Sängern hervorruft. Was auch damit zu tun hat, dass die Gläubigen im Mittelalter wenig zu singen und zu beten haben in den Gottesdiensten, und wenn, dann vorwiegend in der üblichen liturgischen Sprache: Latein. 

Seltene Ausnahmen gibt es bei Prozessionen, Wallfahrten oder an kirchlichen Hochfesten. Da ertönen gelegentlich Antwortrufe und -gesänge auf Deutsch. Sie werden auch „Leisen“ genannt – ausgerechnet nach dem griechischen Wort, mit dem sie gewöhnlich enden: „Kyrieleis“ (Herr, erbarme dich). Im Gotteslob finden sich übrigens noch mehrere weitere Leisen, „Nun bitten wir den Heiligen Geist“ (Nr. 348) zum Beispiel oder „Gelobet seist du, Jesu Christ“ (Nr. 252). 

Mit „Kyrieleis“ endet denn auch jene Osterleise, die über Jahrhunderte nur aus der einen Strophe besteht: „Christ ist erstanden von der Marter alle. Des solln wir alle froh sein; Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.“ Die zweite und dritte Strophe kommen erst ab dem 15. Jahrhundert hinzu, ebenso wie verschiedene andere Erweiterungen; eine davon ist direkt unter dem Original als Nummer 319 im Gotteslob abgedruckt. 

Die zentrale Botschaft in einem Satz

Das Lied fällt gleich mit der Tür ins Haus, verkündet kurz und knapp die zentrale christliche Botschaft: „Christ ist erstanden.“ Bemerkenswerterweise wird nicht die Auferstehung von den Toten besungen, sondern von der „Marter“, durch das folgende „alle“ noch verstärkt. Es ist also die Befreiung von den vielfältigen Qualen und Schmerzen des Lebens, unter denen alle Menschen zu leiden haben; Christus ist mithin einer wie du und ich. Und eben deshalb sollen wir „froh“ sein, „wir alle“; denn nicht nur Christus ist erstanden – uns ist dasselbe zugesagt. Und der „Trost“, den Christus uns verspricht, bedeutet im mittelalterlichen Sprachgebrauch weit mehr als einen mitfühlenden Zuspruch, den man etwa einem weinenden Kind spendet; gemeint ist vielmehr eine unverbrüchliche Hoffnung, ein sicheres Fundament fürs ganze Leben. 

Die zweite Strophe geht die Sache von der anderen Seite an: „Wär er nicht erstanden, so wär die Welt vergangen“ – verloren wäre sie, dem Tod geweiht. Dieses Unglück ist abgewendet, deshalb „freut sich alles, was da ist“. Den Menschen, der ganzen Welt ist das (Über)Leben gesichert worden. Das dreifache „Halleluja“ in der dritten Strophe bekräftigt die österliche Freude und preist ihren Urheber: Lobet den Herrn! 

Der Text der ursprünglich einzigen Strophe von „Christ ist erstanden“ wie auch die eingängige Melodie knüpfen an die wohl im 11. Jahrhundert entstandene lateinische Ostersequenz „Victimae paschali“ (Dem österlichen Opferlamme) an. Mit „Christ ist erstanden“, schrieb der im vorigen Jahr verstorbene Liturgiewissenschaftler Hansjakob Becker, „ersingt sich das Volk seinen Platz im Gottesdienst“. Wir haben es daher nicht nur mit einem ehrwürdigen uralten Gesang zu tun. Wer „Christ ist erstanden“ anstimmt, darf dabei auch, so Becker, „den Geburtsvorgang des deutschsprachigen Kirchenliedes“ nacherleben.

Hubertus Büker