Fußball-Europameisterschaft

Die Gefühle des Schiedsrichters

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Ein Fußballschiedsrichter steht auf dem Spielfeld zwischen zwei Mannschaften
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Foto: André Havergo

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Da war noch alles gut: Nach diesem Spiel wurde der Schiedsrichter Ottmar Steffan von einem Spieler attackiert. Foto: André Havergo

In wenigen Tagen beginnt die Fußball-Europameisterschaft. Was geht dabei einem Schiedsrichter durch den Kopf, der stets darum bemüht ist, dass es nicht nur fair zugeht, sondern auch respektvoll? Und was können wir uns für unser Leben und als Gesellschaft davon abgucken?

Der Schlag galt gar nicht ihm, aber trotzdem bekam er etwas davon ab. Es lief bereits die 91. Spielminute, als der Fußballschiedsrichter Ottmar Steffan die Kreisklassenpartie in Osnabrück abbrechen musste. Tätlicher Angriff auf den Unparteiischen: Die Regeln der Kicker sind eindeutig, der Spielabbruch ist eine erforderliche Konsequenz. Vom Profi bis zum Amateur – Sportler schimpfen oft und gerne über den Schiedsrichter. Nach Überzeugung vieler Beobachter verschwimmen dabei mehr und mehr die Grenzen. Immer häufiger wird gemeldet, dass es hier eine Rangelei, da eine verbale Auseinandersetzung auf dem Platz gegeben hat. Mal kommen sexistische Beleidigungen vor, mal rassistische. Und immer wieder werden Schiedsrichter körperlich bedrängt. Darauf reagieren jetzt mehr und mehr die Fußballverbände an der Basis.

Anpfiff – und sofort eine Unterbrechung

Und so begann das oben beschriebene Fußballspiel ungewöhnlich. Wie auf vielen Plätzen in und um Osnabrück pfiffen die Schiedsrichter an einem Wochenende ihre Begegnungen an, um sie sofort zu unterbrechen und in ihre Kabine zu gehen. Einige Minuten später tauchte Ottmar Steffan wieder im Mittelkreis auf und erläuterte die Aktion „Fünf nach zwölf“: Weil sich viele Schiedsrichter überfordert fühlten, „wollten wir mal zeigen, wie es ohne Schiedsrichter geht“, sagte er den verdutzt dreinschauenden Kickern. Nämlich gar nicht! Für 90 Minuten schien die Aktion zu wirken. Dann gab es in der Nachspielzeit eine Rudelbildung und einer der Kicker holte zum Faustschlag gegen einen Gegner aus. Leider stand der Schiri dazwischen …

Was Ottmar Steffan und ungezählte Kolleginnen und Kollegen auf dem Platz erleben, davon können andere Menschen in der Gesellschaft ebenso erzählen. Sanitäter, die bei ihrer Hilfeleistung behindert, Polizisten, die tätlich angegangen, Dunkelhäutige, die beleidigt, Wohnungslose, die attackiert werden. Scheinbar ist alles erlaubt. Die Sitten in der Gesellschaft werden roher, der Sportplatz macht da keine Ausnahme.

"Manchmal kommt der Sozialarbeiter bei mir durch"

Reden hilft – diese Erfahrung hat der Schiedsrichter Ottmar Steffan gemacht. Und zwar reden zu jeder Zeit. Vor dem Spiel, wenn er beide Mannschaften freundlich darauf aufmerksam macht, dass es fair zugehen soll auf dem Platz, damit alle ihren Spaß haben. Während des Spiels, wenn er mal mit einzelnen Spielern diskutiert oder klare Grenzen zieht. Nach dem Spiel, wenn er nach möglicherweise turbulenten 90 Minuten – und einer Abkühlung nach der Dusche – mit beiden Teams noch plaudert, wie er das Spiel empfunden hat. Es kommt vor, dass er zusammen mit Schiedsrichterkollegen Teams aufsucht, bei deren Spielen es immer emotional wird. Dann trifft man sich zum Austausch nach dem Training. Alles dient der einen Sache: Respekt einzufordern – für den Gegner, für den Schiedsrichter. Andererseits: Zu viel reden kann auch irritieren. Manchmal komme der Sozialarbeiter bei ihm durch, sagt Steffan lachend. Dann hört er schon mal von einem Spieler, er solle „nicht so viel quatschen, wir wollen Fußball spielen“.

Grenzen ziehen – auch das ist wichtig. Vor dem Spiel erklärt er den Teams, was er gar nicht mag: Ball wegschlagen, meckern, am Trikot des Gegenspielers ziehen. Und dann kommt es schon in der dritten Spielminute doch zu genau so einem Zweikampf, in dem einer den anderen festhält. „Dann muss ich auch zur gelben Karte greifen, sonst mache ich mich unglaubwürdig.“ Bleibt er inkonsequent, testen die Spieler, wie weit sie bei diesem Schiri wohl gehen können. 

Eine Fehlentscheidung korrigieren

Demütig werden – auch das ist für Ottmar Steffan ein wichtiger Faktor. Er pfeift in dem Bewusstsein, dass auch er nicht alles richtig machen kann. Wie der Kicker einen Fehlpass spielt, liegt auch der Schiri mal mit seinem Pfiff daneben. Steffan wünscht sich, es würde von den Spielern auf dem Feld besser akzeptiert, dass er Fehler macht. „Aber in jedem Fall muss ich mich natürlich korrigieren, wenn es eine Fehlentscheidung war.“ 

Vorbild sein – Ottmar Steffan gibt sein Wissen an jüngere Kollegen weiter. Gerne begleitet er Schiedsrichter am Beginn ihrer Tätigkeit. Es ist nicht einfach, in einer unteren Liga ganz allein und ohne Linienrichter ein Spiel zu leiten. Das weiß er aus Erfahrung, schon mit 16 hat er angefangen zu pfeifen.

Ottmar Steffan hat ein Ziel: Er möchte den Fußball unterstützen und etwas in die Gesellschaft hineintragen. Weil es immer weniger Schiedsrichter gibt, ist er oft im Einsatz. 14 Spiele hat er im April und Mai gepfiffen. Es macht ihm weiter Freude.

 

Zur Person

Ottmar Steffan (63) stammt aus dem Bistum Hildesheim und arbeitet seit vielen Jahren als Osteuropa-Referent beim Caritasverband für die Diözese Osnabrück. In seiner Freizeit hat er viele Jahre selbst Fußball gespielt. Seit 15 Jahren ist er als Schiedsrichter aktiv

 

Matthias Petersen