Über Paulus, die Freiheit und eine einzige Regel

Die heikle Freiheit

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Es sind starke und berühmte Sätze, die die Lesung aus dem Brief an die Gemeinde in Galatien heute präsentiert: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ Das hören wir gerne in unserer freiheitsliebenden Zeit. Aber was heißt es genau?

 

Foto: kna/Markus Nowak
Die christliche Botschaft ist politisch und geistlich und gesellschaftlich relevant (das Foto entstand bei einer Kundgebung zum Gedenken an die Opfer der Anschläge von Paris im Jahr 2015). Foto: kna/Markus Nowak

Von Susanne Haverkamp

Es dürfte rund 35 Jahre her sein. Damals studierte ich Theologie in meiner Heimatstadt Bochum und hatte ein Seminar belegt zum Thema „Tradition und Traditionalismus“. Es war die Zeit, als viel über die Piusbrüder und ihren Bischof Marcel Lefebvre diskutiert wurde. Und über eine Neugründung, die Petrus-Bruderschaft: theologisch nah bei den Piusbrüdern, aber nicht ganz so radikal und deshalb vom Papst anerkannt.

Im Rahmen dieses Seminars trafen wir uns mit einer Gruppe von (natürlich nur männlichen) Studenten der Petrusbrüder und diskutierten mit ihnen. Auch über die Freiheit eines Christenmenschen und über den Gehorsam gegenüber der Kirche. Sonntagspflicht, Verhütungsverbot, Ehe ohne Trauschein – das ganze Paket.Und dann sagte einer der Studenten den Satz, der mir auch nach so vielen Jahren nachklingt: „Ich habe mich einmal frei dafür entschieden, katholisch zu sein. Und damit ist verbunden, fortan der Kirche in allem gehorsam zu sein.“
 
Freie Entscheidung – eingeschränkte Freiheit

Sich einmal frei für die Kirche entscheiden – und dann immer fraglos folgen: Bei dieser Logik konnten wir nicht mitgehen. Und die Petrusbrüder konnten nicht verstehen, warum wir sie nicht verstehen. Denn es sei doch immer so im Leben: Viele Entscheidungen, die man in Freiheit trifft, führen dazu, dass man seine eigene Freiheit ein Stück weit verliert.

Das stimmt natürlich: Wenn ich mich frei dafür entscheide, einen bestimmten Menschen zu heiraten, bin ich nicht mehr frei für andere. Wenn ich mich frei für Kinder entscheide, bin ich eingeschränkt in meiner Freizeitgestaltung, Urlaubsplanung oder in Geldangelegenheiten; Kinder zu haben, ist in gewisser Weise ja das Gegenteil von persönlicher Freiheit.

Und tatsächlich sagt es ja auch der Galaterbrief: Die Berufung zur Freiheit ist kein Freibrief für alles, was gefällt. „Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch“, sagt Paulus. Und meint damit alle schlechten Eigenschaften von Gier und Geiz über sexuelle Ausschweifungen bis hin zu Egoismus und Machtgehabe.

Es gibt nur eine einzige feste Regel

Was Paulus dagegen nicht meint, ist stumpfe Regelbefolgung. Er ist ja derjenige, der im Streit mit Petrus dagegen aufbegehrt, dass alle jüdischen Gesetze von der Beschneidung bis zu Speisevorschriften weiterhin eingehalten werden müssen. Er ist derjenige, der dafür plädiert, den neugetauften Christen „keine weitere Last aufzuerlegen“ (Apostelgeschichte 15,28). Ganz im Sinne Jesu, der nicht das für unrein hält, was ein Mensch in sich hineinstopft, sondern das, was aus Herz und Mund an Bösem aus ihm herauskommt.

Für Paulus gibt es eigentlich nur eine einzige Regel, die Christen befolgen müssen, und auch die steht in der Lesung dieses Sonntags: „Dient einander in Liebe! Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ In seinen „Bekenntnissen“ hat der heilige Augustinus den gleichen Gedanken so formuliert:  „Liebe nur – dann tue, was du willst.“

Das ist tatsächlich eine ziemlich freiheitliche Weltanschauung, die die frühen Christen hier vertreten. Aber zu früh freuen sollte sich niemand. Denn sie ist nicht nur freiheitlich, sondern auch schwierig.

Freiheit ist die schwierigere Lebensart

Wie viel einfacher ist es doch, Regeln zu befolgen. Egal, ob die 613 Gebote des Alten Testaments, die fünf klassischen Kirchengebote oder die unzähligen Sätze, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind, um das Glaubens- und Familienleben der Katholiken zu sortieren. So lange ich in die Kirche gehe, etwas in den Klingelbeutel lege, solange ich Gebete absolviere und nur mit meinem katholisch angetrauten Ehegatten Sex habe – so lange ist alles in Ordnung. Ob Liebe im Spiel ist – beim Kirchgang, beim Spenden oder beim Sex – oder alles nur (eheliche) Pflichten sind: egal. Norm erfüllt.

Wie viel schwerer ist da die liebende Freiheit der Kinder Gottes. Immer sein Gewissen befragen zu müssen, ob eine Entscheidung aus Liebe oder aus Egoismus getroffen wird. Ob ich mit meinem Tun anderen Menschen schade, sie verletzte, sie missachte. Ob es Liebe zu Gott ist, die mich in die Kirche treibt, oder die Liebe zur Hochachtung durch meine Nachbarn. Ob es Liebe zur Gerechtigkeit und Frieden ist, die mich in die Politik treibt, oder die Sehnsucht nach Macht und Einfluss.

Kürzlich lief im Fernsehen der Spielfilm „Honecker und der Pastor“ über die wenigen Wochen, in denen Margot und Erich Honecker nach dem Fall der Mauer bei einem evangelischen Pastor und seiner Familie wohnten. Aus Nächstenliebe, nicht aus sozialistischer Überzeugung haben die Christen dem Ehepaar, das keiner mehr haben wollte, Unterkunft gewährt. In einem Gespräch zwischen den Honeckers und dem Pastor ging es um die Stasimethoden, um Bespitzelungen und Verhaftungen und ob das gerecht gewesen sei. Die Antwort der Film-Margot war einleuchtend: „Wieso? Wer sich an alle Regeln gehalten hat, hatte nichts zu befürchten!“

Allerdings hatte er auch keine Freiheit. Und immer mehr Menschen dachten wohl irgendwann: Schön, dass alles für mich geregelt ist – vom Kindergarten- und Arbeitsplatz über die Wohnung bis zum Sommerurlaub –, es ist bequem und sicher. Aber ich will Freiheit. Freiheit des Denkens, des Redens, des Reisens, des Glaubens.

Modern und zeitgemäß

Zurück zu meiner Erfahrung in der Studienzeit. Natürlich konnten wir uns nicht mit den Studenten der Petrus-Bruderschaft einigen. Aber noch immer bin ich der Überzeugung: Sie machten es sich zu leicht. Viel zu leicht. Zu glauben, mit einem Ja zur katholischen Kirche das eigene Denken, Fragen, Grübeln und Entscheiden abgeben zu können, ist nicht nur falsch, sondern feige. Es garantiert ein Leben in festen Regeln – aber auch in falscher Sicherheit und in intellektueller Trägheit.

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Steht daher fest und lasst euch nicht wieder ein Joch der Knechtschaft auflegen! Denn ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder und Schwestern.“ Wer sagt eigentlich, dass das Christentum veraltet ist, dass wir der modernen und aufgeklärten Welt nichts mehr zu sagen haben? Diese biblische Botschaft ist modern und zeitgemäß. Sie ist politisch und geistlich. Sie ist gesellschaftlich relevant und herausfordernd. Sie ist unsere Zukunft, wenn es gelingt, sie christlich zu verstehen: als Freiheit, die einzig dem Gebot der Liebe folgt.