Rücktrittsangebot von Kardinal Marx

Die Kirche am Wendepunkt

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Das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx ist ein überfälliges Zeichen – und gleichzeitig eine Gefahr für die katholische Kirche in Deutschland. Mit seinem Schritt setzt Marx moralische Maßstäbe. Ob er den Bemühungen um Reformen nutzt oder schadet, muss sich aber noch zeigen.

Kardinal Reinhard Marx in München bei einem Pressestatement zu seinem Rücktrittsangebot an den Papst.
Er zieht persönliche Konsequenzen: Kardinal Reinhard Marx in München bei einem Pressestatement zu seinem Rücktrittsangebot an den Papst.

Von Ulrich Waschki

Dass Kardinal Reinhard Marx den Papst gebeten hat, seinen Rücktritt vom Amt des Münchner Erzbischofs anzunehmen, ist ein Paukenschlag. Nach außen ist es das überfällige Zeichen. Vor allem für die Betroffenen sexuellen Missbrauchs. Endlich zieht ein Bischof Konsequenzen, nicht nur für mögliche persönliche Fehler, sondern aus institutioneller Verantwortung, weil „wir als Bischöfe auch für die Institution Kirche als Ganze stehen.“ Damit auch für ihre „Probleme und ihr Versagen“, wie Marx schreibt. 

Für ihn reicht es nicht aus, „erst und nur dann zu reagieren“, wenn durch Akten konkrete Versäumnisse nachgewiesen würden. Das darf als Seitenhieb auf Kardinal Woelki gewertet werden. Die Institution, die sich doch so sehr mit Symbolhandlungen und dem Umgang mit Schuld und Umkehr auskennen müsste, war bislang zu einem solchen Schritt nicht in der Lage. „Kein Papst, kein Kardinal, kein Bischof weltweit hat die Verstrickungen auch der heutigen Amtsträger in die institutionellen Pathologien der Kirche derart schonungslos offengelegt wie Marx“, schreibt die FAZ. 

Hat das Kölner Gutachten juristische und kirchenrechtliche Maßstäbe geliefert, setzt der Münchner Erzbischof jetzt eine moralische Messlatte und erhöht den Druck auf andere Bischöfe, es ihm gleichzutun. Marx zeigt sich damit wieder mal als gewiefter Kirchenpolitiker, weil er auch den Reformverweigerern Druck macht, die Mitverantwortung und Mitschuld der Institution „nicht wahrhaben wollen und deshalb jedem Reform- und Erneuerungsdialog“ ablehnend gegenüberstehen, wie er kritisiert.

Allerdings: Sein Schritt ist nicht ohne Risiko. Marx spricht von einem „toten Punkt“, an dem die Kirche sei und hofft, dass dieser zum Wendepunkt werden könnte. Doch die erhoffte Wendung könnte in die falsche Richtung führen. Wenn nämlich nur die bleiben, die Marx mit seinem Druck zu bewegen sucht. Dann hätte er seinen Reformanliegen einen Bärendienst erwiesen. 

Marx‘ Statement überlagert das Gute in der Kirche

Die Rede vom „toten Punkt“ ist auch aus einem anderen Grund riskant. In der öffentlichen Wahrnehmung scheint die Kirche ein maroder Laden zu sein, der nur noch aus Trümmern moralischer Verkommenheit besteht. Dieses Bild überlagert das Gute, das in der Kirche geschieht. Und es wirkt fast genauso ängstlich wie die Reformverweigerung der anderen und macht die Rechnung ohne den Herrn der Kirche. Die aber muss sich entscheiden, ob sie Anschluss halten will an die Gesellschaft. Falls nicht, könnte sie mittelfristig zu einer Truppe sonderbarer Sektierer werden. Kein „toter Punkt“, aber doch ein Scheideweg, an dem sich die Kirche in Deutschland und vielleicht in der ganzen westlichen Welt befindet.