Kirchenstatistik

„Die Krise wird sich ohne Reformen verschärfen“

Ein Piktogramm einer Kirche, daneben die Worte "Gehen" und "Bleiben", symbolisch für den Kirchenaustritt, auf einem Aufkleber am Boden am Stand der Initiative "Kirche in der Krise - Gehen oder Bleiben" auf dem Katholikentag in Stuttgart.

kna/Julia Steinbrecht

Ein Piktogramm mit den Worten „Gehen / Bleiben“ auf dem Katholikentag 2022 in Stuttgart symbolisiert die Frage vieler Menschen: Kann ich noch in der Kirche bleiben oder ist es Zeit, aus der Kirche auszutreten?

Bei den Austritten aus der katholischen Kirche ist kein neuer Höchstwert zu verzeichnen. Ist damit die Talsohle erreicht? Die Verantwortlichen bezweifeln das.

Aus der katholischen Kirche sind im vergangenen Jahr 402.694 Menschen ausgetreten. Das geht aus der am Donnerstag in Bonn vorgelegten Statistik der Deutschen Bischofskonferenz hervor. Es handelt sich damit um den zweithöchsten jemals erfassten Wert. 2022 kehrten mehr als 520.000 Katholikinnen und Katholiken ihrer Kirche den Rücken. Die Bischöfe zeigten sich besorgt.

Der Limburger Bischof Georg Bätzing sprach von einem alarmierenden Ergebnis. Zugleich warb der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz für Reformen. Diese allein würden die Kirchenkrise zwar nicht beheben. „Aber die Krise wird sich ohne Reformen verschärfen.“ Für Freitag ist eine neue Gesprächsrunde in Rom angesetzt, bei der Bätzing an der Spitze einer Bischofsdelegation aus Deutschland abermals für Veränderungen in der Kirche eintreten will.

Wandel unvermeidlich

Aus Sicht des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ist ein Wandel unvermeidlich. „Wir müssen uns darauf einrichten, dass auch in den kommenden Jahren mehrere Hunderttausend Menschen aus der Kirche austreten“, sagte die Präsidentin des Dachverbands, Irme Stetter-Karp, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Ein Grund für die hohen Austrittszahlen ist eine wachsende Entfremdung zwischen Kirchen und Gesellschaft. „Vielen Menschen in unserer Gesellschaft fehlt nichts: Sie sind zufrieden, ohne Gott, ohne Kirche und ohne irgendeinen religiösen Glauben“, fasste der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf zusammen. Hinzu kommen die Fälle von sexuellem Missbrauch und der Umgang damit, die zu einem massiven Ansehensverlust der Kirchen beigetragen haben.

Unter der 50-Prozent-Marke

Laut Statistik gehörten zum Jahresende 20,3 Millionen Menschen der katholischen Kirche an. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte im Mai die Zahl ihrer Mitglieder auf 18,56 Millionen beziffert, bei rund 380.000 Austritten 2023. Die jeweilige Mitgliederzahl entspricht einem gerundeten Anteil an der Gesamtbevölkerung von 24 beziehungsweise 22 Prozent, zusammengenommen also ungefähr 46 Prozent. 2021 war der Gesamtanteil erstmals unter die 50-Prozent-Marke gefallen.

Die rückläufige Mitgliederzahl ist nicht nur Folge der Austrittswelle. Wie in den vergangenen Jahren auch, sterben mehr katholische und evangelische Christen, als durch Taufen hinzukommen. Gleichwohl weist bei den Aufnahmen in die katholische Kirche die Statistik eine Tendenz nach oben auf, wenn auch auf niedrigem Niveau. Im vergangenen Jahr traten demnach 1.559 Menschen in die Kirche ein (2022: 1.447); 4.127 Menschen wurden wieder in die Kirche aufgenommen (2022: 3.753).

Immer weniger Pfarreien

Rückläufig ist dagegen die Zahl der katholischen Pfarreien: Sie ging von 9.624 im Jahr 2022 auf 9.418 im Jahr 2023 zurück. Weiter verzeichnet die aktuelle Statistik 11.702 Priester (2022: 11.987), davon 5.971 Pfarrseelsorger (2022: 6.069).

Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger kündigte an, dass sich Kirche weiter verändern werde, auch strukturell. „Aber solange wir auf der Seite der Menschen stehen, besteht Kirche in einer mehrheitlich säkularen Welt.“

Die Organisation „Wir sind Kirche“ erklärte: „Es entspricht nicht dem Auftrag des Evangeliums, sich durch immer mehr Schließungen und Zusammenlegungen von Pfarreien und Aufgeben schulischer, sozialer und kultureller Einrichtungen aus der Fläche zurückzuziehen.“ Stattdessen gelte es, die katholischen Laien stärker einzubinden und ihnen mehr Mitsprache zu gewähren.

Über 40.000 Austritte im Erzbistum Köln

Der Bischof von Münster, Felix Genn, rief dazu auf, verstärkt auf junge Menschen zuzugehen. Man müsse ihnen „überzeugende Antworten auf die Fragen geben, welche Verbindung der Glaube zu ihrem Leben hat und warum er relevant für ein gelingendes und gutes Leben sein kann“.

Gemessen an der jeweiligen Mitgliederzahl traten im vergangenen Jahr die meisten Menschen in den Erzbistümern Hamburg und Berlin aus, auf dem dritten Platz folgte das Bistum Limburg. In absoluten Zahlen traten bundesweit mit knapp 40.100 die meisten Menschen im Erzbistum Köln aus.

Joachim Heinz