„Die Lage ist dramatisch“

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Mit der Kampagne #einfachwohnen macht ein Bündnis, zu dem Caritas und Diakonie gehören, auf die Wohnungsnot in Hamburg aufmerksam. Menschen in sozialen Notlagen haben nur wenig Chancen auf eine bezahlbare Bleibe.

Im „öffentlichen Wohnzimmer“ am Jungfernstieg: Der Chef der Hamburger Diakonie, Dirk Ahrens, hofft ebenso wie Oliver Brüggemann sowie Tobias Behrens (v. li.) von Stattbau Hamburg
Im „öffentlichen Wohnzimmer“ am Jungfernstieg: Der Chef der Hamburger Diakonie, Dirk Ahrens, hofft ebenso wie Oliver Brüggemann sowie Tobias Behrens (v. li.) von Stattbau Hamburg auf mehr Wohnungen für Menschen in sozialen Notlagen. Foto: Norbert Wiaterek

Die Hansestadt Hamburg muss mehr Wohnungen für Menschen in sozialen Notlagen bereitstellen. Dies fordert ein Bündnis aus Caritas, Diakonie, dem Verein Mieter helfen Mietern und der Stattbau Hamburg Stadtentwicklungsgesellschaft mbH. „Die Lage ist dramatisch. Menschen mit Betreuungsbedarf, mit Behinderungen, alleinerziehende Mütter, ehemalige Strafgefangene, junge Erwachsene aus dem Betreuten Wohnen sowie Menschen mit Schufa-Einträgen und Mietschulden haben derzeit in Hamburg kaum Chancen auf eine bezahlbare Wohnung“, kritisierte Pastor Dirk Ahrens, Diakonie-Chef und Bündnissprecher, am 26. August zum Auftakt der Kampagne #einfachwohnen gegen Wohnungsnot. Gestartet wurde die Kampagne mit einem „öffentlichen Wohnzimmer“ am Jungfernstieg in Sichtweite des Rathauses.

Das Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, bis zur Bürgerschaftswahl im Februar 2020 das Thema mit Aktionen und Diskussionen in die Öffentlichkeit zu bringen und dabei auch Sozialarbeiter und Menschen in Wohnungsnot einzubinden. Im Frühjahr 2020 ist eine große Mietendemo ge­plant. Ziel sei es, die Versorgungslücke innerhalb von fünf Jahren auf die Hälfte zu reduzieren.

Keine Einzelfälle, sondern ein Massenphänomen

In Hamburg werde derzeit zwar viel gebaut, so Ahrens, „aber der Senat baut das Falsche“. Hätten 2015 rund 8 000 Haushalte mit Dringlichkeitsschein auf eine Wohnung gewartet, so seien es Ende 2018 knapp 12 000 gewesen. „Es handelt sich hier nicht um Einzelfälle“, sagt Ahrens, „sondern um ein Massenphänomen. Es müssen mehr Sozialwohnungen gebaut und mehr bestehende Wohnungen für Notfälle zur Verfügung gestellt werden.“

Oliver Brüggemann, ein ehemaliger Strafgefangener, der zweimal wegen Schwarzfahrens verurteilt worden war, berichtete über seine Schwierigkeiten, nach der Haft eine Bleibe zu finden. „Es gibt kaum private Vermieter, die an einen ehemaligen Häftling vermieten wollen“, sagte der 32-Jährige, der vor wenigen Monaten aus der Haft entlassen worden war. „Die Fachstellen konnten mir nicht helfen. Ich schwanke zwischen Hoffnung, Resignation und Traurigkeit.“ Brüggemann lebt derzeit in einer Unterkunft für Straffälligenhilfe in Altona.

Aktuell gibt es in Hamburg noch etwa 37 000 Wohnungen mit einer sogenannten WA-Bindung. Diese Wohnungen werden also direkt durch die Wohnungsämter (WA) an die Betroffenen vergeben. Weil aber jedes Jahr mehr als 1 000 Wohnungen aus der Belegungsbindung fallen, gehen immer mehr Haushalte leer aus. „Weil Bauen allein nicht ausreicht, müssen jetzt 5 000 Wohnungen pro Jahr für Wohnungsnotfälle aus dem Bestand zur Verfügung gestellt werden“, forderte Ahrens. Der Senat müsse seine stadteigenen Betriebe, etwa die Saga, in die Pflicht nehmen. Bislang stellt das Unternehmen etwas mehr als 2 000 der jährlich rund 7 500 Neuvermietungen für Wohnungslose und vordringlich Wohnungssuchende bereit. Steigerungen wären problemlos möglich. „Zudem dürfen Sozialwohnungen nur noch an Bedürftige vermietet werden“, so Tobias Behrens von Stattbau. Mehr als 500 Wohnungen pro Jahr würden im Rahmen der normalen Fluktuation (sechs bis sieben Prozent) für anerkannt Wohnungssuchende frei, wenn der Senat die Freistellungsgebiete (Mümmelmannsberg, Neuallermöhe-West, Steilshoop, Wilhelmsburg) ausheben würde. In diesen Gebieten dürfen Sozialwohnungen an Haushalte vermietet werden, die die Einkommensgrenzen überschreiten. Webseite: www.einfachwohnen-hamburg.de

Text u. Foto: Norbert Wiaterek