Schwester Fatima kämpft gegen die Armut in Malaysia
Die Mutter Teresa von Kuala Lumpur
Die Pandemie, weltweite Wirtschaftskrisen und Inflation treiben Menschen in Armut und Obdachlosigkeit. Auch im Schwellenland Malaysia. Initiativen wie die von Schwester Fatima tun etwas dagegen.
Die Fußgängerampel an einer vielbefahrenen Kreuzung in der Chinatown von Kuala Lumpur ist rot. Das hält Schwester Fatima Emmanuel nicht auf. "Ich bin ungeduldig", sagt die katholische Ordensfrau. Ihre Begleiter nicken feixend und halten Schwester Fatima nur mit Mühe zurück, loszulaufen und unter die Räder zu kommen. Die indischstämmige Malaysierin ist zusammen mit sechs Ehrenamtlern auf "Nachtmission", wie sie ihre wöchentlichen Besuche bei den Obdachlosen in Chinatown nennt.
Die kleine Truppe schleppt in der heißen Tropennacht schwere Taschen mit Wasserflaschen, Essensrationen, Hygieneartikeln, Medikamenten und Anti-Moskito-Spiralen, die sie an Obdachlose verteilen. Nahe einem Hindu-Tempel am Rand des chinesischen Viertels kauern zehn von ihnen. "Hier geben wir kein Essen aus", sagt die 56-Jährige und fügt hinzu: "Die werden vom Tempel mit Mahlzeiten versorgt."
Kuala Lumpur ist die quirlige, wohlhabende Hauptstadt des mehrheitlich muslimischen Schwellenlands Malaysia. "Durch die Corona-Pandemie hat aber auch hier die Zahl der Armen und damit auch der Obdachlosen zugenommen", berichtet Schwester Fatima. "Jetzt wird zudem durch die Inflation alles teurer. Darunter leiden vor allem die, die schon arm waren."
So manchen Obdachlosen weist Schwester Fatima auf die Notunterkunft in ihrem Zentrum "Samaritan Hope" am Rand von Chinatown hin. "Es gibt zu essen, Duschen und ein sauberes Bett", sagt sie. Als einer fragt, ob er auch das Handy aufladen könne, antwortet Schwester Fatima lachend: "Wenn wir eins haben, dann ist es Strom. Und es gibt auch kostenloses WLAN."
Das "Samaritan Hope" hat die rührige Schwester 2018 gegründet und ist dafür aus dem Orden Little Sisters of the Poor ausgetreten, für den sie über Jahrzehnte im Ausland als Missionarin tätig war. "Der Orden kümmert sich um alte Leute. Als mir zunehmend die Armut in Städten bewusst wurde, hat Gott mich berufen, dagegen etwas zu tun. Also musste ich aus dem Orden austreten."
"Jesus schickt uns immer das, was wir gerade brauchen"
Im "Samaritan Hope" gibt Schwester Fatima täglich bis zu 180 Mahlzeiten an Arme aller Ethnien und Religionen aus. Immer wieder schneien Wohltäter herein, bringen Melonen, Schüsseln mit gewürztem Reis oder Platten mit Nudeln und Gemüse. Wichtigster Spender aber sei Christus, wie Schwester Fatima nicht müde wird zu betonen. "Jesus schickt uns immer das, was wir gerade brauchen."
Sonntags gibt es kein Essen; dafür halten Mitglieder der "Vereinigung katholischer Ärzte in Malaysia" Sprechstunden ab. "Diabetes, Bluthochdruck und Depressionen sind die häufigsten Erkrankungen", sagt Doktor Ong Chun Chiang. "Bei den Medikamenten sind wir auf Spenden angewiesen."
Die Obdachlosen auf Kuala Lumpurs Straßen sind Malaysier, aber auch illegale Einwanderer aus Nachbarländern wie Indonesien oder Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar. Sie sind auf karitative Hilfe angewiesen. "Suppenküchen werden von kirchlichen Organisationen, aber auch von allen anderen Religionen betrieben", weiß Pater Clarence Devadass, Kanzler des Erzbistums Kuala Lumpur. Sein Büro auf dem Gelände der Antonius-Kirche ist nur ein paar Schritte vom "Samaritan Hope" entfernt.
Asien sei mit "einer Krise extremer Ungleichheit konfrontiert", die durch die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Covid-19 verschärft wurde, so das Fazit eines aktuellen Berichts des internationalen Hilfswerks Oxfam. "Die Covid-19-Pandemie hat die Ungleichheit in ganz Asien um etwa acht Prozent erhöht", sagt Oxfam-Regionaldirektor John Samuel.
Dass die meisten Armen, die im mit Jesusbildern und Madonnenfiguren üppig ausgestatteten katholischen "Samaritan Hope" eine Mahlzeit bekommen, malaiische Muslime sind, ist nicht verwunderlich, sind sie doch die Bevölkerungsmehrheit des Landes. Das ist nicht ganz ohne Risiko für Schwester Fatima: Immer wieder wird humanitären christlichen Hilfsprojekten von ultrakonservativen Muslimen vorgeworfen, unter dem Deckmantel von Hilfe Muslime zum Übertritt zum Christentum zu zwingen.
Bei der "Nachtmission" stoßen die Helfer unter einer Brücke auf ein malaiisches Ehepaar mit einem fünfjährigen Sohn. Sie haben sich auf einer Parkbank für die Nacht eingerichtet. "Das geht gar nicht", findet Schwester Fatima und bringt die kleine Familie kurzerhand in einem preiswerten Hotel in der Nähe unter. "Morgen sehen wir weiter", sagt sie. Mittlerweile sind Mutter und Sohn in ihre Heimatstadt zurückgekehrt; der Ehemann hat in Kuala Lumpur eine Arbeit gefunden. Mit Hilfe der ungeduldigen Fatima.
kna