Forschungsprojekt: Messe im Labor

Die Vermessung der Messe

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Was geht während der Messe in den Köpfen der Gläubigen vor? Diese Frage soll jetzt ein Forschungsprojekt beantworten. Dabei wird versucht, die Reaktionen der Menschen auf die Messe wissenschaftlich zu erkunden. Bei einem Gottesdienst im Labor wurden dazu die Hirnströme einiger Teilnehmer gemessen. Die Daten sollen Aufschluss geben über das Erleben der Messe. Zwar glauben Christen, dass in der Liturgie Gott selbst handelt. Der Mensch kann nur den Rahmen dafür gestalten. Gerade deshalb wollen die Forscher wissen: Wie wird Liturgie verstanden? Wie muss sie sein, um die aktive Teilnahme der Menschen zu fördern? Die Kirchenzeitung war bei der Vermessung der Messe im Max-Planck-Institut in Frankfurt dabei. Von Ruth Lehnen.

 

Forscherteam
Die Messe im Labor wurde gut vorbereitet. Zweiter von links Professor Klaus Peter Dannecker, rechts Professorin Melanie Wald-Fuhrmann Foto: Ruth Lehnen

Die schwere Tür schließt sich. Nun sind wir vier ganz allein. In einem Labor im Untergeschoss eines Bürohauses im Frankfurter Westend, in dem eine Messe gefeiert werden soll. Eine Messe im Labor? Zwei Teilnehmer, ein Mann und eine Frau, haben Kappen mit Elektroden auf ihren Köpfen. Ihre Gehirnströme werden während der heiligen Handlung gemessen. Alles beginnt mit Stille.

Ich bin ziemlich nervös. Es geht mir durch den Kopf, dass mein Gehirn zu alt ist für die Messung. Das hat mir Projektleiter Dr. Sven Boenneke im Vorhinein erklärt. Nur Menschen bis kommen dafür infrage. Sie dürfen kein Metall am Körper haben, keine Linkshänder sein. Ganz schön schräg, findet mein altes Gehirn. Aber als Lektorin darf ich mitwirken an diesem Tag der Weltpremiere.

Im Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Grüneburgweg 14 in Frankfurt am Main, wollen an diesem heißen Junitag Wissenschaftler herausfinden, was das Erleben der Messe im Gehirn eines katholisch-gläubigen Menschen auslöst und was im Gehirn a-religiöser Menschen. Die Untersuchung „EEG & Messe“ dient „der Erforschung der Wirkung und Wahrnehmung von Liturgie“, wie es im Teilnehmerbogen heißt, den jeder unterschrieben hat.

Dr. Sakamoto verfolgt die Gehirnströme

Im Vorraum vor dem Labor sitzen Projektleiter Dr. Sven Boenneke, Theologe und Spezialist für Liturgie, und Versuchsleiter Dr. Yasuhiro Sakamoto, Spezialist für „neuronale Bildwissenschaften“. Boenneke verfolgt durch ein kleines Fenster, was im Labor genau vor sich geht. Sakamoto hat seine Bildschirme so aufgebaut, dass er sieht, was die Messinstrumente liefern: Er kann die Gehirnströme der beiden Probanden vergleichen. Für einen, der sich nicht auskennt, sehen sie aus wie wirre schwarze Linien. Am Vormittag ist das Experiment Messe mit EEGMessung schon erfolgreich gelaufen, und die Wissenschaftler waren sehr zufrieden: Zum Beispiel in der Stille nach der Kommunion zeigten die Hirnströme des jungen Katholiken ein deutlich anderes Muster als die Hirnströme der Soziologiestudentin, die mit dem Glauben nichts am Hut hat.

Vielleicht hat es aber auch daran gelegen, dass ihr die ganze Situation gar nicht vertraut war? Jetzt wird das Experiment mit anderen Teilnehmern wiederholt. Während wir drei Katholiken uns mehr oder weniger innig, mehr oder weniger routiniert in die Abläufe hineinfinden, und ich mit belegter Stimme die Lesung lese: „Der Geist nimmt sich unserer Schwachheit an ...“ – da denkt sich so ein a-religiöser Mensch vielleicht: „Was soll das alles?“

Im Grunde bin ich jetzt froh, dass ich keine 64-Kanal-EEG-Kappe auf dem Kopf habe, keine Elektroden den Forschern womöglich übermitteln könnten, wie schwach ich mich fühle. Schwach im Glauben, sowohl an die Wissenschaft wie an Jesus, der doch gerade hier unten zugegen sein muss. Denn wir feiern seinen Tod und seine Auferstehung.

Es ist eine „echte Messe“, darauf hat Professor Klaus Peter Dannecker vom Liturgischen Institut Trier großen Wert gelegt. Er ist heute Nachmittag der Zelebrant, und ihm scheint die besondere Situation hier im Labor nichts auszumachen. Er wirkt konzentriert und ruhig. Dannecker hat für das Forschungsprojekt „Wirkungsästhetik der Liturgie“ mit Professorin Melanie Wald-Fuhrmann vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik zusammengespannt. 

(https://www.aussicht.online/artikel/warum-muss-die-messe-ins-labor). Heute ist ein Tag, auf den sie länger hingearbeitet haben, der Tag der Pilotstudie, der weitere Studien folgen sollen.

Messe im Labor
Die Messe im Labor mit einem zelebrierenden Priester im Messgewand, zwei mitfeiernden Probanden – einer katholisch, eine nicht im Glauben zu Hause. Foto: Ruth Lehnen

Als das Hochgebet im Labor beginnt, steht Dr. Boenneke draußen auf. Das hat er auch heute Morgen als Zeichen seiner Andacht getan. Dr. Sakamoto hingegen bleibt sitzen. Er hat mir erzählt, dass er nicht religiös ist. Aber er hat auch davon berichtet, wie er gleich am ersten Tag in Deutschland in Leipzig in die Thomaskirche geraten ist. Dort habe die Orgel gespielt, ein wunderbares Erlebnis sei das gewesen.

Sakamoto geht es heute um „die Daten“ – sie spielen für ihn die Hauptrolle, ihre Auswertung wird ihn noch eine Weile beschäftigen. Aber ihm sind auch die Menschen sehr wichtig. Er habe gelernt, dass die Probanden sich im Labor immer wohlfühlen müssten, erklärt er und versäumt nicht, sich bei jedem Studienteilnehmer ausdrücklich zu bedanken.

Im Labor ist es zu einem Missverständnis gekommen. Professor Dannecker war davon ausgegangen, dass die a-religiöse Teilnehmerin darüber aufgeklärt worden ist, dass sie nicht an der Kommunion teilnehmen kann. Irgendwas hat mit der Kommunikation nicht gestimmt, sie hält ihre Hände hin zum Brotempfang. Der wird ihr verweigert. In ihrem Gesicht malt sich die Kränkung.

Nach exakt 27 Minuten ist die Messe vorbei. Wir haben bei den Fürbitten für das Forschungsprojekt gebetet: „Für dieses Forschungsprojekt: begleite uns durch deinen Geist, damit wir mit unserem Tun die Ausbreitung Deines Reiches fördern.“

Die „a-religiösen Teilnehmer“ bleiben allerdings mit möglichen Fragen weitgehend allein, denn heute geht es um Wissenschaft. Ein Gebet habe sie ein bisschen gekannt, meint Stefanie Boff, die Soziologiestudentin: dieses Standardgebet. Professor Dannecker gibt Nachhilfe: Sie meine das Vaterunser. Und für Tamara Miracle wird die Erfahrung der Messe, die sie in ihrem Leben heute zum zweiten Mal gemacht hat, wohl folgenlos bleiben. Interessant sei’s gewesen, aber öfter brauche sie das nicht, sagt die angehende Förderschullehrerin.

Einen Engel im Labor entdeckt – beinahe

Bei der ersten Messe heute Morgen war Bernhard Schütz Lektor gewesen. Der Notar aus Maintal ist in der Frankfurter Domgemeinde aktiv. Er glaubt, dass das EEG zum Beispiel Wohlbefinden und Entspannung messen kann, das „rein Menschliche“. „Was sich für uns in der Messe ereignet, ist nicht messbar“, meint er: „Gott wendet sich mir zu und zwar ganz unmittelbar.“ Schütz findet es interessant, dass sich die Naturwissenschaft dafür interessiert, aber es amüsiert ihn auch ein bisschen. Beinahe hätte er im Labor einen Engel ausgemacht, den Elektrod-engel. Am Schluss war es aber doch nur das Elektroden-Gel.

 

Zur Sache: „Wirkungsästhetik der Liturgie“

  • Mit dem Projekt „Wirkungsästhetik der Liturgie“ (WæL) wird mit empirischen Methoden die Wirkung gemeinsamen Feierns und Betens in der katholischen Liturgie erforscht. Themen sind dabei Gesang und Stille, Aufmerksamkeit und Sammlung sowie Leib und Liturgie. Auch der Zusammenhang von liturgischem Erleben und liturgischem (Vor-)Wissen wird erfasst.
  • Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der Musik-Abteilung des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik in Frankfurt (Professorin Melanie Wald-Fuhrmann) mit dem Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft der Theologischen Fakultät Trier und dem Deutschen Liturgischen Institut, Trier (Professor Klaus Peter Dannecker).
  • Für die Forschung werden Ansätze aus Kognitions-, Emotions- und Sozialpsychologie sowie den Neurowissenschaften herangezogen, aber auch Erkenntnisse aus der Ritualforschung und der Theaterwissenschaft.
  • Seit Herbst 2017 laufen Umfragen und Feldforschungen unter anderem in der Dompfarrei Frankfurt. (nen)
Ruth Lehnen