Benediktinerabt Nikodemus Schnabel über Hass und Gewalt in Israel

"Diese Regierung ist eine Schande"

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In Israel nehmen Hass und Gewalt drastisch zu. Benediktinerabt Nikodemus Schnabel macht die rechtsextreme Koalition unter Ministerpräsident Netanjahu dafür verantwortlich. Er fordert, dass die USA und Deutschland Druck auf Israel machen, seine Politik zu ändern.

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Lautstarker Protest: Auch Kinder nehmen an den Demonstrationen in Tel Aviv gegen Israels menschenfeindliche Politik teil. Foto: imago/Zuma Wire

Von Kerstin Ostendorf

„Das ist eine neue Dimension des Hasses“, twitterte der Benediktinerpater Nikodemus Schnabel vor einigen Tagen, als jüdische Jugendliche im christlichen Viertel Jerusalems randalierten. Sie riefen „Tod den Arabern“ und griffen Kneipengäste an. Stunden später tötete ein Palästinenser sieben Juden, als sie eine Synagoge verließen. Israelische Sicherheitskräfte feuerten darauf Raketen auf Gaza ab. Schnabel, gerade zum Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem gewählt, ist entsetzt. „Die Geschwindigkeit, mit der die Atmosphäre im Land angespannter und hitziger wird, habe ich zuvor noch nicht erlebt“, sagt er. Verantwortlich macht er die neue rechtsextreme Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. „Diese national-jüdisch Radikalen sehen überall den jüdischen Charakter Israels gefährdet“, sagt er. „Der Hass auf alles Nicht-Jüdische ist unglaublich stark.“

So fordert Itamar Ben-Gvir, Minister für innere Sicherheit, dass Apotheker, Ärzte und Hoteliers aus religiösen Gründen queere Menschen, Palästinenser, Christen und Muslime nicht mehr behandeln oder beherbergen müssen. Zudem diskutiert die Regierung die Einführung der Todesstrafe und arbeitet an einer Justizreform, die die Gewaltenteilung im Land abschaffen würde. Im Koalitionsvertrag verneinen die Regierungsparteien das Existenzrecht eines palästinensischen Staates. „Diese Leute träumen von einer Judaisierung Israels“, sagt Schnabel. 

Auch er erlebt Attacken von national-religiösen Juden. „Ich bin es gewohnt, angespuckt oder verbal angegriffen zu werden, weil ich als Mönch erkennbar bin“, sagt er. Jetzt aber wird er sogar vor Sicherheitskräften attackiert. Das zeigt ihm, dass die Angreifer denken: „Die Regierung steht hinter uns, wir dürfen das tun.“ Bislang hat ihn der Gedanke beruhigt, dass die Radikalen eine Minderheit sind. Heute kann er sich die Lage „nicht länger schönreden“.

„Und dann lächelt dieser Mann mich einfach nur an“

Hoffnung macht ihm, dass in Tel Aviv Hunderttausende protestieren. „Diese Regierung ist eine Schande für Israel“, sagt Schnabel. Er hofft, dass die USA, Deutschland und andere europäische Staaten mehr Druck auf Israels Regierung machen, ihre Politik zu ändern.

Die Christen im Land, knapp zwei Prozent der Bevölkerung, werden kaum etwas ausrichten können. „Weder die Juden noch die Muslime warten auf die Christen als Vermittler“, sagt Schnabel. Aber: „Wir können helfen, im Alltag die Gewalt zu überwinden.“ Dazu gehöre, sich von eigenen Vorurteilen zu befreien. Er beobachte sich oft dabei, wie er innerlich verkrampfe und mit einer Attacke rechne, wenn ihm ein national-religiöser Jude auf der Straße entgegenkomme: „Und dann lächelt dieser Mann mich einfach nur an und grüßt im Vorbeigehen. So etwas gibt es auch.“