"Alte Mauern, neues Leben": Hirzbacher Marienkapelle

„Ein Gesamtkunstwerk“

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Sie war einstmals der älteste Sakralbau im Hanauer Land: die frühromanische Hirzbacher Marienkapelle. Heute ist sie ein Kulturzentrum auf dem Hofgut Kapellenhof, einem landwirtschaftlichen Biobetrieb im Weiler Hirzbacher Höfe. Unsere Serie
„Alte Mauern – neues Leben“ führt diesmal in die südliche Wetterau. Von Heike Kaiser



Die Hirzbacher Marienkapelle (links) ist rund 1000 Jahre alt und steht Besuchern jederzeit offen. Hier kann auch geheiratet werden.


Was früher ein Kuhstall war, ist heute ein Seminarhaus. In einem gemütlichen Raum, von dem aus man freie Sicht auf die gegenüberliegende 1000-jährige Marienkapelle hat, sitze ich Christoph Neizert gegenüber, dem heutigen Eigentümer des Hofguts Kapellenhof. Auf der anderen Seite der großzügigen Hofreite wohnt Neizert mit seiner Familie in einer Fachwerkscheune von 1776.
Die Kapelle jedoch, Zentralpunkt des  zur  Gemeinde  Hammersbach  (Wetterau) gehörenden Weilers, ist und wird auch in Zukunft die Hirzbacher Marienkapelle bleiben. Neizert hat das kleine frühromanische Gebäude Ende der 1980-er Jahre einem gemeinnützigen Förderverein unentgeltlich  zur  langfristigen Nutzung für kulturelle Zwecke zur Verfügung gestellt. Heute finden dort Konzerte, Ausstellungen, Theater und Vorträge statt, und wer will, kann sich in der Marienkapelle auch standesamtlich trauen lassen: „Wir haben hier etwa 50 Hochzeiten pro Jahr“, freut sich Christoph Neizert. Der Standesbeamte wohnt bloß ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt. Ein Schild an seinem Zaun verrät, dass er „im Dienst“ ist.
„Die Kapelle ist der älteste Sakralbau im Hanauer Land“, berichtet Neizert. Wer das kleine Gotteshaus im frühen zwölften Jahrhundert erbaut hat, weiß man nicht. Wohl aber, dass im Jahr 1254 Graf Reinhard von Hanau die Kapelle samt Kapellengut dem Hospitals- und Bettelorden der Antoniter schenkte, der im nahegelegenen Roßdorf ein Kloster hatte. Als der Orden 1803 aufgelöst wurde, waren die Antoniter längst nicht mehr in Hirzbach. Bereits seit 1566 gab es keinen katholischen Gottesdienst mehr in der Marienkapelle, denn in der Reformationszeit hatte sich die Grafschaft Hanau der neuen Glaubensrichtung angeschlossen. Das gesamte Anwesen fiel Anfang des 19. Jahrhunderts an die damalige Pächterfamilie.
Seit 1988 gehört es Christoph Neizert – samt Marienkapelle, die zu einem regionalen Kulturzentrum geworden ist. „Obwohl sie nicht mehr geweiht ist, wird hier einmal jährlich ein ökumenischer Gottesdienst an Christi Himmelfahrt gefeiert“, berichtet der Hofbesitzer.

Förderverein will Stücke vom Geschichtsverein zurückhaben

Ein farbig bemalter romanischer Triumphbogen, der einst die Öffnung zwischen Chor und Hauptschiff der frühromanischen Kapelle trug, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts ins Hanauer Museum gebracht. Dort fiel er während des Zweiten Weltkrieg einem Bombenangriff zum Opfer. „Nur noch zwei Kapitelle und ein Sakramentshäuschen sind übrig und lagern vergessen im Keller des Hanauer Geschichtsvereins“, bedauert Christoph Neizert. „Seit Jahren versucht der Förderverein der Marienkapelle, die Spolien wiederzubekommen, aber der Geschichtsverein ist bislang nicht zu der längst überfälligen Restitution bereit.“ Dabei sei es so wichtig, „diese Stücke wieder hier an Ort und Stelle zu haben“, unterstreicht der Eigentümer des Gebäudes.
Neizert hat zehn Jahre lang in Nord- und Südamerika gelebt, unter anderem an der Columbia-Universität in New York studiert, in Kalifornien ein Unternehmen geleitet und acht Jahre lang für eine amerikanische Bank gearbeitet, vier Jahre davon verbrachte er in Frankfurt. „Damals wollte ich gern aufs Land ziehen und habe 1988 das damals völlig verfallene Hofgut Kapellenhof gefunden“, erzählt der heutige Bio-Landwirt. Er hat das Gut unter Denkmalschutz stellen lassen, zehn Jahre renoviert, das Seminarhaus aufgebaut und Ende der 1990-er Jahre mit der ökologischen Landwirtschaft begonnen.
„Ich habe zunächst zwei Hektar Land erworben, heute bewirtschafte ich 180 Hektar“, berichtet er. Neizert betont, dass der Kapellenhof „seit Anfang an ein Biobetrieb ist“. 2016 hat er mit der Schafzucht begonnen, inzwischen gehören 300 Tiere zur Herde, robuste Lacaune-Schafe aus der Auvergne, die eine gute Milchleistung haben.

Die einzige Bio-Schafskäserei im Rhein-Main-Gebiet

Das Hofgut Kapellenhof produziert Joghurt, Frischkäse, Camembert, Schafskäse handgeschöpft, Räucherkäse, Eis, Wurst und Fleisch, Feldfrüchte und Getreide. 17 Mitarbeiter  gehören zu dem landwirtschaftlichen Betrieb. „Wir sind die einzige Bio-Schafskäserei im Rhein-Main-Gebiet“, auf dieses Alleinstellungsmerkmal ist Christoph Neizert besonders stolz. Bioproduktion, Wohnen – im Weiler leben 100 Menschen –, Bildung im Seminarhaus, Kultur in der Kapelle: „Ein Gesamtkunstwerk“, sagt Neizert.
Aber vielleicht am wichtigsten: Auch heute noch ist die Hirzbacher Marienkapelle vor allem ein Ort der Stille.
Von Heike Kaiser

Hofführungen werden angeboten.
Info: info@hofgut-kapellenhof.de, www.hofgut-kapellenhof.de, Telefon 06185 / 695 - 99 79